Isamu riss die Augen auf und starrte schwer atmend in die Dunkelheit des Teehauses, in dem er mit Ssihanna nach dem Besuch bei dem Kenja untergekommen war. Sie hatten sich hierher vor einigen Stunden zurückgezogen, um zu reden und beieinander zu sein und hatten schließlich beschlossen, dass es zu spät für den Ritt zurück war und sie hier übernachten würden, um morgen nach Sapporo zurück zu kehren.
Doch Isamu konnte kaum schlafen. Zu viele Gedanken jagten sich noch immer in seinem Geist und keine Technik der Meditation wusste sie heute zu beruhigen. All seine Mechanismen, die ihm für gewöhnlich so vertraut waren wie das Atmen, versagten an diesem Tag und in dieser Nacht, in der er der Wahrheit ins Auge sehen musste. Sie ließ sich nicht beschwichtigen, nicht dazu bringen, sich sanft einzurollen und ihm Raum zu geben. Nein, diese fundamentale Wahrheit über sein ureigenstes Sein und die Bilder der Liebe und des Schreckens, die sie mit sich gebracht hatte, waren unbarmherzig und verfolgten ihn mit ihrem Anspruch zur Wirklichkeit zu gehören bis tief ins Mark hinein. Im Dunkel der Nacht wurden die Tengu und die Yurei, an deren Existenz er nie gezweifelt hatte, die sich ihm aber zuvor auch noch nie so real präsentiert hatten, greifbarer und eine sehr alte Angst begann ihn zu ergreifen. Die Angst eines kleinen Jungen, die er über die Jahre hinweg und durch viel hartes, geistiges Training und gnadenlose Disziplin besiegt gehabt zu haben meinte. Doch einmal mehr hatten die Abbilder böser Geister ihn heute Nacht aus dem oberflächlichen Schlaf aufschrecken lassen.
Leise und behutsam setzte er sich auf und sah zu Ssihanna, die ruhig neben ihm schlief. Ihr Anblick ließ ihn lächeln und ruhiger atmen. Der junge Mann streckte die Hand aus, um sie zu berühren, über ihr Haar zu streicheln, doch hielt mitten in der Bewegung inne. Nein. Es würde sie wecken und das wollte er nicht. Isamu kannte die Reflexe und gut geschulten Instinkte seiner Frau gut genug, um zu wissen, wie leicht es war, sie aus dem Schlaf zu reißen. Und obwohl er sich nach ihrer Nähe, ihrem Rat und schlicht der Stimme eines realen Menschen sehnte, brachte er es doch nicht über's Herz. Sie trug genug und er war damals in Kansai schon zu schwach gewesen, um ihr gerecht zu werden. Nie wieder. Niemals. Die Träume würden vergehen und wenn nicht, dann würde er einen eigenen Ausweg dafür finden. Sie hatten vier kleine Kinder um deren Albträume sich Ssihanna sorgen musste als ihre Mutter... er würde ihr keine weiteren Sorgen bereiten. Vermutlich würde es ohnehin vergehen mit der Zeit. Die Rückführung war noch so frisch. Die Dinge mussten sich in seinem Geist erst setzen und mit der Zeit würden sie verblassen und der Schlaf zurückkehren. Und bis es soweit war, würde er stark genug sein, um allein damit zurecht zu kommen. Er war ein Samurai, ein erwachsener Mann, ein Vater und Ehemann, der Erbe des Shihan, bei allen Göttern!
Isamu atmete tief durch und erhob sich beinahe lautlos von ihrem gemeinsamen Lager. Er ergriff sein Katana, legte es sich um und durchquerte das Teehaus behutsamen Schrittes. An der Tür hielt er noch einmal inne und sah zurück zu der schlafenden Ssihanna. "Schon immer und noch ewig...", sagte er leise und sprach es in seinem Geist gemeinsam mit ihrem früheren Ich, die Szene so klar vor Augen, als geschehe sie in diesem Moment wahrhaftig. Dann verließ er das Haus und trat in die Stille der Nacht hinaus.