Beiträge von Isleen Vhagar

    Isleen wandte sich in einer schnellen, fließenden Bewegung um, als sie angesprochen wurde. Ihr Leben auf L'Lal'Loria hatte sie eine natürliche Wachsamkeit gelehrt, die sie nie wieder ablegen würde. Allerdings erkannte sie Khi'LeisaHs Stimme sofort und entspannte sich noch in der Bewegung. Während sie ihren Sohn weiter wiegte, schlich sich Wärme in ihre bernsteinfarbenen Augen. Einerseits wegen Khi'LeisaHs Lob und Aufregung. Andererseits weil sie ihre Schwester von Herzen liebte. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich bereit bin", gab sie leise zu. "Ich denke, die Tagesritte werde ich schon überstehen ohne mich zum Gespött zu machen..." Khi'LeisaH wusste, dass Isleen keineswegs eine geborene Reiterin war. Auf L'Lal'Loria hatte sie einen viel zu niedrigen Stand eingenommen um jemals selbst eines der mächtigen und wertvollen Nachtmahre zu besitzen und so war es noch nicht allzu lange her, dass sie begonnen hatte, das Reiten zu lernen. Nur aufgrund ihrer enormen Körperbeherrschung hatte sie schon einige Fortschritte gemacht, aber dennoch stellten gleich mehrere Tagesritte hintereinander eine Herausforderung für sie dar. "... allerdings überlege ich ehrlich, ob wir diese Form des Reisens auf Dauer beibehalten sollten. Es ist nicht sehr effizient. Aber diesmal werden wir es so handhaben... man erwartet es." Nicht nur die Familie, deren Zustimmung sie für eine Änderung benötigte, sondern auch die Bewohner der Ländereien, auf denen sie Tribut einsammelten, lagen längst auf der Lauer, um die neue Herrin der Feste und ihren Tross in Augenschein zu nehmen. "Was mich nervöser macht als die Tagesritte, sind die Abende bei den Gastgebern. Wenn es etwas gibt, was ich noch weniger beherrsche als das Reiten, dann ist es Konversation pflegen. Ich bin froh, dass Mogh'Tar und ihr beide mich begleitet."


    Lucerys hatte sich inzwischen beruhigt und Isleen trat erneut an die Kutsche heran und bettete ihn neben seine Schwester, die bereits selig schlummerte. Sie hoffte, dass auch er ihrem Beispiel beim baldigen Schaukeln schnell folgen würde. Danach ging sie zurück zu Khi'LeisaH und nahm ihre Hand. "Und jetzt komm, Schwester... wir müssen aufbrechen. Über die Halle sprechen wir, wenn wir wieder zurück sind. Aber ich bin froh, dass sie dir gefällt." Mit diesen Worten umarmte sie, bei den Tieren angekommen, ihre Schwester noch einmal. "Ich hoffe, du wirst neben mir reiten? Du hast mir Geschichten versprochen, erinnerst du dich? Über deine früheren Reisen mit deiner Tante. Ich bin gespannt darauf, sie zu hören, wenn wir an die Orte deiner Kindheit kommen." Dann stieg sie auf und als schließlich alle ihre Tiere erklommen hatten, gellte ein Ruf des Aufbruchs über den Tross hinweg und dieser setzte sich in Bewegung, ließ den Innenhof und das Tor der Feste hinter sich und erreichte schließlich das weite Land der Provinz Tron'Jenars, das sich am Fuße des Hügels ausbreitete, der zur Feste hinaufführte. Sie passierten das Dorf, wo ein Großteil der Bewohner am Straßenrand stand, um dem Tross zu winken und gute Wünsche zuzurufen. Isleen ließ Naschereien und andere Kleinigkeiten, auch durchaus die ein oder andere Münze verteilen, bevor sie schließlich auch das Dorf passiert hatten. Es würde nun etwa drei Stunden dauern bis sie am frühen Mittag ihr erstes Ziel erreichen würden, ein paar weitere Dörfer, wo sie den ersten Tribut einholen würden. Mogh'Tar stimmte ein fröhliches, lautes Wegelied an, dass der Rest der Krieger nur zu gerne aufgriff. Isleen nutzte die Gelegenheit und beugte sich zu Khi'LeisaH hinüber. "Erzähl mir von dem, was war. Und von dem, was kommen wird."

    Ein letztes Mal blieb Isleen auf der Schwelle der Großen Halle stehen und wandte sich zu ihr um. Erst vor wenigen Tagen, zum Ende der Hochzeitsfeierlichkeiten ihrer Schwester Khi'LeisaH, war das Herz der Feste in seiner neuen Gestalt enthüllt worden. Damit waren die monatelangen Renovierungsarbeiten an der Feste zu einem krönenden Abschluss gekommen und Isleen musste zugeben, dass sie stolz auf das Ergebnis war. Es war vor allem die Halle gewesen, deren Neugestaltung ihr am Herzen gelegen hatte. Sie stellte das Zentrum der Feste dar, war der Hort der fünf Throne, die Stätte aller offiziellen Verkündungen und der meisten Feierlichkeiten - und sie hatte zu viel Blut gesehen. Nicht zuletzt das Blut der vorherigen Herrin der Feste, Iman'Dra von Tron'Jenar, die nur ein paar Schritte weiter mit aufgerissener Kehle ihr Ende gefunden hatte. Es war eine Überraschung für Isleen gewesen, als ihr Vater ihr danach den vakanten Posten der Herrin der Feste angetragen hatte, aber sie hatte sofort gewusst, dass sie bei einer Zusage niemals einfach nur Iman'Dras Feste übernehmen würde wie sie gewesen war. Zu diesem Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, hatte sie gestanden und hatte entsprechend gleich nach ihrer Ernennung mit der Planung und Durchführung der Umgestaltung begonnen.


    Der alte Steinboden der Halle war aufgeschlagen und die oberste Schicht entfernt worden. Eine mühselige Arbeit, auf die Isleen jedoch bestanden hatte. Nie wieder sollte jemand über denselben Stein laufen, über den das Blut Tron'Jenars geflossen war, sei es Iman'Dras oder das früherer Toter. Ersetzt worden war er mit einem Mosaikboden, welcher in den äußeren Bereichen des Raumes in gediegenen Farben begann. Je mehr er jedoch auf die Mitte der Halle zuging desto häufiger blitzten glänzend grüne Steine hindurch bis diese schließlich einen zarten Kreis um das Zentrum bildeten. In diesem Zentrum war aus kleinsten, fein geschliffenen und auf Hochglanz polierten Steinfragmenten das genaue Abbild des Wappens Tron'Jenars geformt worden. Die schweren Holztische und -bänke waren säuberlich abgeschliffen, in einem tiefdunklen Braun lackiert und neu arrangiert worden. Sie hatten ihren Platz an beiden Seiten der Halle gefunden und umfingen das Wappen sowie den Weg zu den Thronen, deren Platz als einziger derselbe geblieben war. Trotz aller Veränderungen war es Isleen wichtig gewesen, einen Eindruck von Stabilität und Beständigkeit aufrecht zu erhalten für alle, die die neue Halle zu Gesicht bekommen würden und kein Detail war wohl so aussagekräftig in dieser Hinsicht wie die Throne der Fürstenfamilie selbst. Die steinernen Wände der Halle waren in ihrer Natürlichkeit belassen, jedoch getüncht worden, sodass sie in einem hellen Silbergrau erstrahlten, welches den gesamten Raum viel größer und höher erscheinen ließ als zuvor, nicht zuletzt deutlich gemacht durch den Kontrast zu den absichtlich dunkel gehaltenen, glänzenden Holzmöbeln. Das größte Wunderwerk aber mochte die neue Verglasung der Fenster darstellen. In der Tradition L'Lal'Lorias war Isleen auf den Gedanken gekommen, Tron'Jenars größte Geschichten und Persönlichkeiten durch Bilder darzustellen, die in den bunten Farben der Fenster verewigt worden waren. Ganz links begann die Chronologie mit der Gründung des Hauses durch Hagne'Ktarr und BasH'Uta auf Thul Saduun, gefolgt von der Neugründung auf Auriga II. Die beiden Fenster zeigten die Urgründer, danach die ersten großen Fünf D'Ankwar, Nina, SoHra'Jan, Mogh'Tar und Iman'Dra und die dazugehörigen Planeten. Ein respektvoller Tribut an die Vergangenheit. Das Fenster im Zentrum, welches hinter den Thronen zu finden war, war indes zeitlos und sollte Tron'Jenars Natur widerspiegeln. Es zeigte die Feste und einen Strom von Wesen aller Spezies, die auf Tron'Jenars Boden lebten, welcher auf sie zuhielt und Tron'Jenar damit als das auswies, was es war: Ein Hort der Zuflucht und Freiheit. Das vierte Fenster, zur rechten Seite des Raumes hin gelegen, zeigte erneut Gestalten der Fürstenfamilie: Die der Kinder der ersten großen Fünf, die mit viel Sorgfalt in ein gemeinsames Bild aus buntem Glas gefasst worden waren. In der Mitte fanden sich der Älteste, Prinz Corum, an seiner linken Seite Prinzessin Ssihanna, neben dieser Prinzessin Dara'Jan. An Corums rechter Seite seine Schwester, Prinzessin Khi'LeisaH und neben dieser Isleen selbst. Vor den erwachsenen Kindern des Hauses standen derweil vier Jüngere. Ein großer Blondschopf mit einem verschmitzten Lächeln, dem Ssihanna und Dara'Jan jeweils eine Hand auf die Schulter gelegt hatten - Prinz Arju'Tai. Khi'LeisaHs Hände ruhten derweil auf den Schultern des ältesten der drei gezeigten weißhaarigen Kinder, der kleinen Prinzessin Rhaenys. Sowohl sie als auch ihre beiden Geschwister wirkten in diesem Bild älter als sie es zu diesem Zeitpunkt bereits waren. Isleen hatte sich das Aussehen ihrer drei Kinder, die auch Mogh'Tars Kinder waren und damit in dieses Bild gehörten, anzeigen lassen, um ihnen ein deutlicheres Gesicht geben zu können. Und so hielt sie darauf schließlich die Hände ihrer älter dargestellten Zwillinge, Prinz Lucerys und Prinzessin Visenya, was das Bild der neun Nachkommen der ersten Fünf komplettierte. Das letzte Fenster ganz rechts zeigte derweil kein direktes Bild. Stattdessen war ein Schriftzug in die bunten Scheiben gefasst. Dieser sagte:


    "Aus zwei wurden viele, aus einem Traum Wirklichkeit.

    Vereint, ungebrochen, stark, steht das Haus der Freiheit."


    Nach einem letzten, langen Rundblick durch die Halle nickte Isleen schließlich einmal still für sich und atmete gleich darauf tief durch. Zwei große Feiern hatte sie organisiert neben der Renovierung der Feste. Man könnte also meinen, ihre Feuertaufen habe sie im Amt bereits bestanden, aber sie wusste sehr wohl, dass dem nicht so war. Zumindest nicht zur Gänze. Denn heute, vier Tage nach dem Ende der Hochzeitsfeierlichkeiten, würde sie auf ihre erste Tributreise gehen. Etwas, das sie von nun an alle paar Monate tun würde, um die Pacht und Abgaben auf den Ländereien der Provinz einzusammeln, denen die Fürstenfamilie vorstand. Zugleich jedoch war sie auf jener ersten Reise dazu eingeladen und angehalten, die Häuser der Präfekten aller anderen Provinzen ebenfalls zu besuchen und somit ihr Debüt als Herrin der Feste zu geben. Sie ahnte voraus, dass ihr dieser Teil ihrer Aufgaben am schwersten fallen würde. Harte Arbeit, Unannehmlichkeiten und Anstrengungen waren ihr nicht fremd und sie hatte in all den Jahren, in welchen sie keine andere Wahl gehabt hatte, eine bemerkenswerte Resilienz und Ausdauer entwickelt, jedoch fehlte es ihr an Können und Übung, wenn es darum ging, sich zu präsentieren. Jahrelang hatte sie sich darin perfektioniert, unsichtbar zu sein, kaum mehr als ein Schatten. Es war schwer, nun das Gegenteil zu werden, selbst auf Zeit. Aber sie hatte diesen Teil ihres Loses akzeptiert, als sie sich als Herrin der Feste verpflichtet hatte und sie hatte nicht vor, ihre neue Familie zu enttäuschen.


    Lärm drang vom Innenhof durch das offene Tor hinein, auf das sie nun mit langsamen Schritten zuhielt. Laute Stimmen riefen sich Befehle, Grüße und Scherze zu. Sporen und Rüstungen klirrten und schepperten, während Krieger und Bedienstete eilig hin und herliefen, um die letzten Handgriffe zu erledigen, die der Tross benötigte, um aufbrechen zu können. Ein Baby weinte und Isleen wusste sofort, dass es eines der ihren war, als sie durch das Tor hinaustrat und kurz die an das Halbdunkel der Feste gewöhnten Augen verengte, als das Sonnenlicht sie traf. Sie hob eine Hand, um für einen Moment Schatten auf ihr Gesicht zu legen und als sie den Tross nun sehen konnte, ließ sie den Blick über diesen schweifen. Innerlich war sie beeindruckt von all den Kriegern in ihren Rüstungen, den Wagen und Pferden, auch wenn ihr Gesicht unbewegt blieb. Die Gerüche von Feuer, Leder, Tier und irgendetwas Essbarem lagen in der Luft und es war Isleen, als fühle sie sich ein wenig schwindelig von all den Eindrücken, der Geschäftigkeit und dem Flirren in ihrer Magengegend, das von ihrer Aufregung zu erzählen wusste. Sie sah Mogh'Tar am Beginn des Trosses stehen, an sein mächtiges Pferd gelehnt, laut scherzend und lachend mit einigen der anderen Krieger. Khi'LeisaH, ihre liebe Schwester und deren neuer Ehemann Ashitaka, die sich beide bereit erklärt hatten, sie zu begleiten, anstatt sofort auf Hochzeitsreise zu gehen, waren damit beschäftigt, ihre Satteltaschen festzuschnallen und aus der Ferne sah es aus, als seien sie miteinander verschworen so wie sie flüsterten, doch Isleen wusste nach all der Zeit bei den Sternenfahrern, dass Verliebte und Verschworene sich zuweilen sehr ähnlich sahen.


    Das Weinen des Babys riss nicht ab und holte Isleen aus ihren Beobachtungen zurück. Rasch stieg sie nun die Stufen zum Innenhof hinab und als ob ihre plötzliche Bewegung erst dafür gesorgt hätte, dass man sie bemerkte, nahmen die Krieger Haltung an und erwiesen ihr den Kriegergruß als sie an ihnen vorbeiging. Sie trug zum heutigen Anlass eine eigens gefertigte Rüstung aus weichem weißen Leder, abgesetzt mit leichter silberner Schuppenpanzerung an einigen Stellen. Dies war allerdings gering gehalten worden, da ihre Stärken in der Beweglichkeit, nicht in der Kraft lagen. Auch ihr Umhang war eher praktisch als opulent, reichte ihr lediglich bis zu den Hüften und wies die grüne Farbe des Hauses Tron'Jenar sowie das eingestickte Wappen auf. An ihrem Waffengurt trug sie ihre Wurfdolche sowie eine ihrer Pistolen, die ihre Mutter ihr gegeben hatte. Auch in diesem Punkt war sie gewiss nicht die typische Kriegerin in schwerer Rüstung und Schwert, sondern eher eine Fernkämpferin mit tödlicher Zielgenauigkeit. Ihr weißblondes Haar war geflochten und für den Ritt hochgebunden worden. So schritt sie in entsprechender Montur an den Kriegern vorbei und hin zu der Kutsche, in der ihre sechs Monate alten Zwillinge gerade untergebracht wurden. Lucerys jedoch schien nicht allzu glücklich über den Aufruhr zu sein und schrie unglücklich bis Isleen ihn in die Arme nahm und ein paar Schritte mit ihm ging, während sie ihn wiegte und so leise summte, dass nur ihr kleiner Sohn es hören konnte. Sie wusste, dass die beiden sich beruhigen und durch das Schaukeln der Kutsche bald einschlafen würden, sobald sie unterwegs waren. Und während sie mit ihm umherging, hatte sie in diesem Moment keine Augen für den Tross und alle, die um sie herumschwirrten. Wer auch immer nun auf sie zukommen würde, würde sie wohl überraschen.

    Isleen sah bereits, als die Kriegerin aufstand, dass es ihr alles andere als wohl war. Sie musste einiges an Flusswasser eingeatmet und geschluckt haben und natürlich wollte dieses Wasser gerne wieder hinaus. Oder vielmehr ihr Körper wollte es aus sich heraus haben. Und da es wenige Dinge gab, die Isleen noch nicht gesehen hatte und noch wenigere, die sie wahrhaft abschreckten oder ekelten, griff sie nach Se'LestiaH, als diese sich abstützte, gab ihr noch ein wenig mehr Halt und wartete schlicht, bis Übelkeit und Erbrechen abklangen. Und als es vorbei und Se'LestiaH trotzdem noch immer so bleich war, führte sie sie langsam ein paar Schritte weiter bis zu einem Schattenplatz unter den ersten Bäumen. "Nein, das hättet Ihr wohl nicht", stimmte sie dabei recht sachlich zu. "Setzt Euch einen Moment." Sie zog ihre eigene Flasche hervor und reichte sie ihr an. "Das hier ist eine Mischung aus Wasser, l'lal'lorianischem Kräutertee und etwas Honig... ich mische es jeden Morgen für meine Tochter und mich. Ich denke, es wird Euch gut tun. Sela Arrush." Sie sprach leise und ein wenig hölzern, kannte sie doch die junge Kriegerin nicht weiter und gehörte eigentlich nicht zu den Leuten, die gerne Unbekannte ansprach, aber so hatte es sich nun mal ergeben.


    Ohne ein weiteres, direktes Wort überließ sie Se'LestiaH ihre Flasche und wandte sich ab, um zurück zu den Leichen zu gehen. Sie zog ihre Dolche aus den tödlichen Wunden hervor, wusch am Fluss das Blut von den Klingen und steckte sie umsichtig wieder in ihren Waffengurt. Isleen hütete diese Waffen wie ihren Augapfel. Nicht nur, weil sie ihr nützlich waren und sie eine seit Jahren gepflegte Leidenschaft für diese Art der Verteidigung hatte, sondern auch, weil diese Dolche ein Geschenk von Adina gewesen waren. Und so war sie einen Moment beschäftigt, ihr Eigentum wieder an sich zu bringen und akribisch zu säubern, bevor sie erneut zu Se'LestiaH zurückkehrte und sich - nach kurzem Zögern - langsam neben ihr niederließ. Eigentlich war die Situation immerhin erledigt und sie könnte die junge Frau einfach sich selbst überlassen und weiterziehen. Aber all die Interaktionen mit Adina, Khi'LeisaH sowie anderen Freunden und Familienmitgliedern in den letzten Monaten hatten dafür gesorgt, dass sie ein wenig offener und weniger sozialunverträglich war als in früheren Jahren. Kurz schwieg sie jedoch etwas ratlos, als sie nun ohne weiteren Zweck neben der Klingonin saß und warf ihr schließlich einen kurzen Seitenblick zu. "Geht es Euch besser?"

    Isleen sah entspannt dabei zu, wie ihr Ziel getroffen wurde und der Fremde zusammensackte. Eine innere Befriedigung breitete sich in ihr aus, während sie sich nun lässig gegen den Baumstamm lehnte und der weiteren Szene zusah. Es war so angenehm, Leute aus der Ferne zu töten. Das Gefühl von Macht, das sich dabei in ihr einstellte, war von fast überwältigender Süße und als die klingonische Kriegerin nun frei war und sich selbst wehren konnte, war ihr Part getan. Ihr war reichlich bekannt, dass die Klingonen sich selbst zu verteidigen wussten und das auch durchaus am liebsten so handhabten, weswegen sie nichts weiter tat und Se'LestiaH die Sache überließ. Der Kampf nahm seinen Lauf und sie sah schon nur noch mit halbem Interesse hin, dachte eher darüber nach, wohin sie wohl als Nächstes gehen wollen würde, um ihre seltene Freiheit noch ein wenig zu genießen, als das Szenario doch erneut ihre Aufmerksamkeit forderte.


    Irgendwie hatte es der mit der gebrochenen Nase geschafft, Se'LestiaH von hinten zu erwischen und ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen, während sie noch dabei gewesen war, seinen Kumpanen zu verprügeln und offenbar geglaubt hatte, dass dieser bereits überwältigt wäre. Normalerweise würde Isleen dies nicht weiter tangieren, was jedoch ihren Blick auf sich zog war die Tatsache, dass der mit der gebrochenen Nase die junge Kriegerin offenbar aus purer Not und um diese Sache zu beenden, zum Flussufer zerrte und mit aller Kraft ihren Kopf unter die Oberfläche drückte. Isleen hob die Brauen. Sah dabei zu, wie die junge Frau strampelte, kämpfte, sich zu befreien versuchte, aber dann kam der zweite Krieger dazu und hielt sie ebenfalls fest, sodass sie kaum noch eine Chance hatte, sich aus dieser Sache herauszuwinden. Und auch hier gefielen Isleen ein paar Dinge nicht. Zum einen waren zwei gegen einen doch eher unfair. Zum anderen - und das war wesentlich relevanter - nahmen sich diese Männer gegenüber einer Frau zu viel heraus. Es war das eine, einer Frau das Feld bestellen zu wollen, das war normal. Aber das zwei Männer sich das Recht herausnahmen, sie zu töten, dazu noch auf unfaire Art und Weise - nein, das ging ihr zu weit.


    Und so zog die junge Fhoi Myhore zwei weitere ihrer verboten scharfen Wurfdolche. Sieben von ihnen hatte sie insgesamt, sechs noch zur Hand, also sah sie keinerlei Schwierigkeiten darin, diese Situation schnellstmöglich zu beenden, auch wenn sie aus diesem Winkel heraus keinen direkt tödlichen Wurf würde schaffen können. Zweimal surrte es erneut in der Luft, als ihre Waffen die beiden Krieger trafen, diesmal im Genick und auch wenn sie nicht sofort tot waren, so war die Wucht und die Tatsache, dass ihnen zwei Klingen im Hals steckten, doch definitiv ausschlaggebend genug, um nach vorne geworfen zu werden und Se'LestiaH loszulassen.

    Isleen hörte die beiden röcheln, sah sie taumeln und sprang nun doch leichtfüßig und elegant von ihrem Baum, um langsam durch das Buschwerk hindurch hervorzukommen und am Flussufer sichtbar zu werden. Und so Se'LestiaH noch bei Bewusstsein war, konnte sie nun einen Blick auf die seltsam helle Gestalt Isleens erhaschen. Die blasse Haut, das beinahe weißblonde Haar, kontrastiert jedoch von ihren Augen, die wie Bernsteine schimmerten sowie die Kleidung aus hochwertigem, weichem braunen Leder, in dem man sich gut bewegen konnte und das sie im Wald beinahe unsichtbar machte. Langsam, beinahe schlendernd kam sie näher und warf einen Blick voller Verachtung auf die Männer, die noch immer in einen zähen Todeskampf verwickelt waren und es sah nicht so aus, als habe Isleen auch nur die geringste Absicht, diesen Kampf abzukürzen. Die Männer starrten sie an, einer von ihnen versuchte zu sprechen, doch es kam nichts als ein blutiges Gurgeln hervor und Isleen starrte ihm nur einen Moment lang mitleidlos und nichtssagend in die Augen, bevor sich ihre kühle Aufmerksamkeit Se'LestiaH zuwandte. Sie ging an den Sterbenden vorbei zu ihr ans Flussufer, musterte sie als wolle sie feststellen, wie ernst ihr Zustand wohl war und streckte ihr schließlich, nach kurzem Zögern, probehalber die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.

    Isleen sah der Szene ruhig zu. Nach wie vor saß sie in ihrer Baumkrone, unbemerkt hinter dem Blattwerk und musterte gelassen, wie die drei Krieger auf die fremde, verletzte Frau zuhielten. Wie sie sie packten und trotz ihrer Benommenheit zu Boden drückten und einer der Männer damit begann, ihre Kleidung aufzureißen. Und normalerweise hätte sie sich nun nicht weiter mit dieser Geschichte beschäftigt. Das Konzept eines Verbrechens im Kontext einer Feldbestellung war ihr fremd, auf ihrer Heimat gab es solche Ansichten nicht. Außerdem hatte sie sich seit jeher einen Gefallen damit getan, sich aus Ärger herauszuhalten, der sie nichts anging.


    Sie wollte sich schon abwenden und den Dingen ihren Lauf lassen als sie sah, wie die Frau langsam aufwachte und einem ihrer Peiniger einen Tritt verpasste, hörte, wie dieser aufschrie vor Schmerz und sie danach geschlagen wurde... auf ihren Platz verwiesen. Und es war dieser Schlag, mehr noch als das, was sie mit ihr zu tun gedachten, der Isleen einen kurzen Stich versetzte. Bilder zuckten vor ihrem geistigen Auge vorbei. Bilder von ihrer Mutter, ihrer Großmutter, ihren Tanten und das Gefühl von Schlägen in ihrem Gesicht. Bilder ihrer früheren Herrin Lavernis und des Ältesten Peredur, die aus reiner Langeweile mit ihr gemacht hatten, was auch immer ihnen gefallen hatte. Bilder der 95 Fomorii, die über sie gekommen waren auf Befehl Peredurs und die Schmerzen, die sie in diesen Stunden und Tagen hatte erdulden müssen ohne dass je ein Laut über ihre Lippen gekommen wäre... und unweigerlich wanderte ihre Hand zu einem der unverschämt scharfen, kleinen Wurfdolche, die sie immer in ihrem Waffengurt bei sich trug und schloss sich um dessen Griff. Die Zeiten der Passivität waren vorbei. Sie war keine Sklavin mehr. Hier war sie eine Prinzessin und damit verbunden gab es Pflichten - und Rechte.


    Und noch während Se'LestiaH um ihre Freiheit kämpfte und ihre Chancen dabei bedauernswert gering waren, konnte man plötzlich ein leises Surren in der Luft hören und im nächsten Moment sackte derjenige, der sie geschlagen hatte und noch immer über ihr kauerte, nach vorne weg und landete mit seinem vollen Gewicht auf ihrem Körper. Blut strömte aus seiner Halsschlagader, in der einer der Dolche bis zum Griff versunken war, floss über sie hinweg und sickerte langsam in den Boden. Seine Kumpanen hielten den Atem an und sahen sich hektisch um, wobei sie den Griff um Se'LestiaHs Handgelenke lockerten, um besseren Bewegungsspielraum zu haben... was, bei allen Dämonen der Gre'thor ging hier vor sich?!

    Isleen war seit einer langen Zeit nicht mehr so allein gewesen. Auf eine gute Weise allein. Nicht einsam, aber wenn man ein kleines Kind hatte wie sie, waren Auszeiten für sich doch eher eine Seltenheit. Zudem war sie Adinas getreuer Schatten und so in der Regel immer in der Nähe von ihr, Khaliesi und zuweilen auch Dara'Jan. Und selbst wenn nicht, so war ihre laute, schöne, wunderbare kleine Rhae doch immer präsent. Doch hier und heute war dies anders. Nach ihrem Umzug nach Kanada/Terra und ihrer gemeinsamen Reise nach New York, hatte Adina ihr nun gestattet, für einige Tage zurück nach Tron'Jenar zu reisen. Zu ihrer... neuen Familie.

    Wie seltsam es doch war, ohne die Anderen hierher zurückzukehren, weil sie nun selbst an diesen Ort und zu dieser Familie gehörte! Seit dem Ruustai waren nun bereits ein paar Monate vergangen, aber da sie quasi gleich danach weggezogen waren, hatte sie nie wirklich die Chance gehabt, sich an diesen Gedanken so recht zu gewöhnen und noch immer fiel es ihr zuweilen schwer. Immerhin hatte sie ihr Leben lang nichts Gutes mit dem Gedanken an eine Familie verbunden. Nichts als Demütigung und Vernachlässigung von Seiten ihrer Mutter, ihrer Tanten und ihrer Großmutter, einen Vater hatte sie als Fhoi Myhore gar nicht erst gekannt. Und so waren die neuen Eltern, die sie nun auf Tron'Jenar hatte, ein so rares kosmisches Phänomen, dass sie noch immer nicht recht glauben konnte, dass sie sie wirklich als ihre neue Tochter ansahen.


    Und doch war es so gewesen, als sie vor zwei Tagen Tron'Jenar erreicht hatte. Rhae hatte sich schon vorher unwahrscheinlich darauf gefreut, ihre Großeltern zu sehen. Ihre Fragen nach ihnen hatten nicht zuletzt zu Isleens Entschluss geführt, tatsächlich alleine mit ihr nach Tron'Jenar zu fahren, um sie zu besuchen. Als sie angekommen waren, hatte es ein herzliches Willkommen gegeben, so herzlich, dass es sie ein wenig überfordert hatte. Grundsätzlich brauchte sie ihre Zeit, um in neuen Situationen aufzutauen. Aber dafür hatte sie ja ihre kleine Tochter, die absolut kein bisschen Zeit dafür brauchte, sondern stattdessen schon aufgetaut zu sein schien, bevor man die neue Situation überhaupt erreicht hatte, was Isleen die Gelegenheit gegeben hatte, sich, gemeinsam mit ihren Eltern, auf Rhae zu fokussieren bis sie sich selbst wohler gefühlt hatte.


    Inzwischen fühlte sie sich nach zwei Tagen heimisch auf der Feste und hatte sich nun dazu durchringen können, Rhae an diesem Morgen bei ihren Großeltern zu lassen. Es war längst nicht selbstverständlich für sie, für gewöhnlich war ihre Kleine immer bei ihr und nur sehr ausgewählten Personen gestattete sie es, das Mädchen ohne ihre direkte Gegenwart zu beaufsichtigen. Bisher wohl nur Adina und ihrer Schwester Khi'LeisaH sowie deren Freund Ashitaka. Letzterem aber auch im Grunde nur, wenn eine der beiden zuvor Genannten dabei war. Und nun also auch D'Ankwar und Angel, den neuen Großeltern, in die Rhae ganz vernarrt war. Seltsamerweise hatte Isleen ein enormes Vertrauen in den Instinkt ihrer nun zweijährigen Tochter, denn obwohl sie noch so jung war, schien sie ein enormes Gespür dafür zu haben, wer es gut mit ihr meinte und wer nicht. Somit hatte sich die junge Fhoi Myhore auf einen entspannten Spaziergang begeben und Spaziergänge sahen - in Isleens Fall - meistens vor, dabei so unsichtbar wie irgend möglich zu sein. Eine Kunst, die sie bereits seit vielen Jahren trainierte und die ihr schon häufig sehr, sehr nützlich gewesen war.


    Und so wollte es der Zufall, dass sie sah, wie die ihr unbekannte Se'LestiaH auf die drei Krieger zuritt, die sich am Fluss ein Frühstück zubereiteten und die sie aus einem der dicht bewachsenen Bäume bereits seit einer kleinen Weile beobachtete. Sie sah, wie die Kriegerin inne hielt, fortreiten wollte und ihr Pferd scheute. Sah, wie sie fiel und sich nicht regte, was in Isleen ad hoc jedoch keinerlei Mitleid oder den Drang zu helfen aktivierte. Sie kannte die Frau nicht, im Grunde war es ihr völlig gleichgültig, ob sie eine Weile bewusstlos sein würde oder sich bei dem Sturz gar das Genick gebrochen hatte. Allerdings behielt sie ihre Augen auf die Szene gerichtet, als deutlich wurde, dass die drei Krieger am Fluss den Unfall ebenso bemerkt hatten. Leicht verengten sich Isleens bernsteinfarbene Augen, während sie sich vorneigte und durch das Blattwerk hindurch zusah, was die Krieger nun taten...

    Isleen sah Adina nach, als diese, mit der kleinen Khaliesi auf dem Arm, ihren Turm verließ, in dem sie sich durch Adinas Einwirken beim Epetai eine Wohnstatt hatte einrichten dürfen. Diese Behausung war in vielerlei Hinsicht perfekt für sie. Als ehemaliger Wachturm lag sie am Wasser, was das Herz einer jeden Fhoi Myhore ein wenig höher schlagen lassen würde. Aber besser noch war es, dass der Turm hoch genug war, um ihr die Möglichkeit zu bieten, ihre Umgebung jederzeit im Auge haben zu können. Bis weit in den Wald hinein konnte sie Adinas Weg verfolgen, den sie in Richtung der einstigen Zuflucht beschritt, in der heute Isleens ehemalige Herrin, die Hohe Dame Lavernis Ad'Malay, mit ihrem Gefolge sowie Adina und Dara'Jan mit Khaliesi lebten.

    Sie hatte es tatsächlich getan. Hatte es tatsächlich durchgezogen und Prinzessin Dara'Jan von Tron'Jenar geheiratet. Damit war Adina die erste Bewohnerin L'Lal'Lorias - und ganz bestimmt die erste Fomorii! - die den lebenslangen Bund der Sternenfahrer eingegangen war, um sich mit Körper und Geist für immer dieser einen Person zu verschreiben. Isleen klingelte es noch immer in den Ohren, wenn sie nur an das Fest dachte. An die laute Musik, das Gröhlen der Krieger, das Lachen der Mädchen, die Krüge voller Wein, die hart auf festes Holz geschlagen worden waren. Bei der Erinnerung daran verzog sie widerwillig das Gesicht. Was fand sie nur an ihnen? Sie selbst würde es nie begreifen können, wie sich eine elegante Schönheit wie Adina, die aus einer alten, edlen Mondvolk-Familie stammte und als Fomorii hohes Ansehen auf L'Lal'Loria genoss, so sehr für ein Haus der barbarischen Klingonen begeistern konnte. Nicht, dass Isleen die Vorteile Tron'Jenars nicht sehen konnte. Durchaus tat sie das. Es lebte sich hier deutlich freier als je auf Da'Dana'Han. Aber Adinas Hingabe konnte sie nicht teilen - schon gar nicht die zu Dara'Jan.

    Isleens Abneigung gegen die Tron'Jenar-Prinzessin war für niemanden ersichtlich. Wann immer sie sich begegneten war Isleen vorzugsweise still. So es doch zu einem Gespräch kam blieb sie stets höflich, wenngleich recht nichtssagend. Sie achtete auf Daras Wohlergehen, wie sie auch auf das ihrer Herrin und das der kleinen Khaliesi achtete. Ganz so, wie Adina es wünschte und sie wäre im Leben nicht dumm genug, sich etwas anderes anmerken zu lassen. Geschweige denn, es laut zu sagen. Sie hatte zu lange unter der Knute der Hohen gestanden, um nicht zu wissen, wie man den Mund hielt. Fehltritte auf L'Lal'Loria bedeuteten den Tod und auch Adina wäre am Ende des Tages nicht gnädiger, würde sie sie wirklich in der Tiefe kränken. Isleen wusste aus erster Hand, dass Adina nicht weniger grausam war als alle anderen Fomorii. Tatsächlich gehörte sie sogar mit zur grausamsten Art, auch wenn sie es vortrefflich zu verbergen wusste vor... nun ja... Leuten wie Dara'Jan. Oder deren Familie. Oder ihren Freundinnen. Sie alle kannten Adina nicht. Glaubten nur, sie zu kennen. Dara'Jan war den ewigen Bund mit einer Frau eingegangen, die sie nur zur Hälfte kannte. Sie allerdings - Isleen - hatte Adina in ihren gnädigsten und ihren grausamsten Stunden gesehen und wusste sehr genau, welche Herzen in der Brust ihrer Herrin und Freundin schlugen. Und dennoch liebte sie sie - so wie es eine Fhoi Myhore eben vermochte.


    All diese Gedanken glitten ihr durch den Sinn, während sie noch am Fenster stand und Adinas Weg durch den Wald mit den Augen verfolgte. Den größten Schatz trug sie dabei in den Armen. Khaliesi würde sie dereinst alle überragen. Es war ihr ebenso klar wie Adina, da diese ihr Wissen mit ihr geteilt hatte. Und erst als ein Geräusch hinter ihr auftönte, drehte sie sich halb um und sah zu ihrer kleinen Tochter. Rhaeynis war die perfekte Ash'Koach. Das kleine Mädchen war von so heller Haut, so weißem Haar und so klaren Augen, dass es beinahe schon unwirklich schien. Isleen hatte keine Ahnung, welcher der Fomorii es gewesen war, der letztendlich seine Saat in sie gepflanzt hatte, um dieses Kind zu zeugen, aber sie war überzeugt davon, dass er vor seiner Wandlung ebenso ein Angehöriger des Sternenvolkes gewesen sein musste wie sie selbst es war, um ein solch bezeichnendes Mädchen zu empfangen.

    Das Kind krabbelte über den weichen Teppich des Turmzimmers hinweg und erhaschte mit den eifrigen Händchen das Leder des Sessels, in das sie ganz ungeniert die Fingerchen hineingrub. Unter leisem Ächzen, viel Ziehen und Mühen, aber auch mit absolut eisernem Willen, stemmte sie sich schließlich auf die wackligen Beinchen. Isleen hielt einen Moment lang den Atem an und beobachtete sie. Sie sah, wie instabil das Ganze noch war und sollte sie den Halt verlieren, würde es sofort wieder abwärts gehen, aber Rhaeynis war nach Föderationszeit kaum vier Monate alt und auch wenn l'lal'lorianische Kinder sich schneller entwickelten als föderative, so war es dennoch früh, dass sie begann, sich an Gegenständen hochzuziehen. Triumphierend blitzte es in Isleens Augen auf, als sie langsam näher heran ging. Gerade als ihre Tochter Kraft und Koordination ausging und sie wieder einknicken wollte, hielt sie sie fest und hob sie hoch in ihre Arme. "Meine kleine, silberne Löwin...", flüsterte sie ergriffen und hob sie noch ein wenig höher, über ihren Kopf hinweg. Voller unbändigem Stolz betrachtete sie sie. "Du wirst sie einmal alle das Fürchten lehren, meine Rhae...", flüsterte sie und das Funkeln in ihren Augen bekam einen regelrecht manischen Zug. "Du wirst an Khaliesis Seite stehen, wenn die Zeit kommt... und du zeigst jetzt schon, warum es so sein wird, meine starke, wunderbare Tochter..." Und während sie diese Worte noch raunte, ließ sie Rhae wieder ein wenig hinab und schmiegte sie in ihre Arme, küsste die weiche Haut und das flaumige, weiße Haar. "Der Tag wird kommen... alles, was wir uns wünschen, ist auf der anderen Seite der Furcht", flüsterte sie und wiederholte damit Worte, die sie schon früher einmal gehört hatte - und doch erst in der Zukunft wieder hören würde.

    Langsam setzte sie sich auf dem Sessel nieder, an dem Rhae eben noch gestanden hatte, beugte sich vor und griff nach einer Frucht, die die Sternenfahrer Banane nannten und die sowohl sie als auch Rhaeynis ausgesprochen gerne mochten. Sorgsam schälte sie diese, brach ein Stück des weichen Fruchtfleischs ab und reichte es Rhae, die bereits gierig die kleinen Händchen danach ausstreckte. Längst schon war sie nicht mehr nur mit Milch zufrieden und Isleen sollte es recht sein. Sie konnte nicht früh genug wachsen und stark werden. "Tante Adina wird stolz auf dich sein", flüsterte sie ihr zu, als erzähle sie ihr ein wichtiges Geheimnis und biss von ihrem eigenen Stück Banane ab. "Und das wollen wir doch, nicht wahr? Oh, sie wird dich sehr lieb haben... und Khaliesi auch. Wir werden ihnen immer dienen, du und ich. Wir haben sehr viel Glück, weißt du das, meine kleine Löwin?" Sie wiegte das kleine Mädchen, das eifrig das Obst in ihrer Hand zerknatschte und sich den Brei leise gurrend in das Mündchen schob. "Du wirst nie erleben, was ich erlebt habe. Du wirst nie erdulden, dass sie dich zu Boden treten und wenn ich Dara'Jan dafür noch hundert Jahre lang den Staub von den Schuhen wische und ihr Lachen, ihr lautes Wesen und ihre Grobschlächtigkeit ertrage. Sie ist unwichtig, hörst du? Einzig Adina und Khaliesi zählen in diesem Spiel. Dara'Jan wird schnell genug ihren Platz kennen lernen, wenn es soweit ist. Sie ist keine Fomorii, mag sie noch so sehr DNA des Lebens in sich tragen. Aber du, meine silberne Schönheit, wirst in Sicherheit sein. Das verspreche ich dir. Sela Arrush."

    Zufrieden über ihre eigene Gewissheit über ihre Rolle in diesem Spiel und darüber, dass sie das Können hatte, um sie hervorragend zu spielen, sah sie erneut aus dem Fenster. Von ihrer Position aus konnte sie nicht viel mehr sehen als den sich langsam verdunkelnden Himmel und sie lehnte sich entspannt zurück, den letzten Bissen der süßen Frucht in ihrem Mund zergehen lassend. "Uns erwartet ein goldenes Zeitalter...", flüsterte sie noch verträumt und dann kam Leben in sie. Sie nahm ein Tuch, wischte Rhae die Bananenreste vom Gesicht und stand dann behände auf. "Und jetzt spielen wir miteinander, bevor du zu müde wirst, kleine Löwin... Sela Arrush?" Beschwingt trug sie sie hinab in den großen Spielbereich, in dem die beiden kleinen Mädchen bereits den halben Tag in seligem Zeitvertreib verbracht hatten. Doch jetzt musste Rhae auf ihre Kameradin verzichten - also musste Isleen wohl einspringen. Und sie tat es mit Freuden. Es wurde Zeit, gemeinsam Türmchen zu bauen und sie dann einträchtig wieder kaputt zu machen!