"Commodore Fey, Ihre Tochter ist hier, um Sie zu sprechen", ertönte Lieutenant Malin Skoras Stimme aus der Kommunikationseinheit in dem Labor des PMC, in dem Anouk gerade dabei war, diverse Abstrichproben zu sammeln und auszuwerten. Überrascht sah sie auf. "Welche?", forschte sie ohne Umschweife und latent trocken nach. Immerhin hatte sie vier Möglichkeiten, von der sie eine ausschloss und eine weitere als recht unwahrscheinlich einschätzte. Blieben noch zwei. "Miss Sinaida", erwiderte der Lieutenant und Anouk zog leicht die Brauen zusammen. Ida war immerhin eine der zwei plausiblen Möglichkeiten gewesen. Trotzdem verwunderte es sie. "Schicken Sie sie in mein Büro, Malin. Sagen Sie ihr, dass ich gleich bei ihr bin", wies sie an.
Anouk beendete die Verbindung, irritiert und alarmiert. So rasch wie möglich lagerte sie die Proben ein. Die Arbeit unterlag Sicherheitsstandards und konnte so leicht kompromittiert werden, dass sie sich die Zeit dafür zwingend nehmen musste. In ihrem Feld war es schwierig, einfach alles stehen und liegen zu lassen. Dennoch kreisten ihre Gedanken um den plötzlichen Besuch Sinaidas im PMC. Sie war immer mit Abstand die Ruhigste und Besonnenste unter ihren Kindern gewesen. Ein Mädchen, das die Welt von Beginn an mit sehr viel Wissensdurst und Ernst begutachtet hatte. Eine Wissenschaftlerin von klein auf, die mit fünf Jahren begonnen hatte, eigene, kleine Experimente durchzuführen und obwohl Anouk wusste, dass das vulkanische Blut in ihr daran sicherlich einen großen Anteil hatte, so hoffte sie doch innerlich gleichsam, dass auch ihr eigener Hang zu Naturwissenschaft und Fakten ihre Tochter ein wenig inspiriert haben mochte, auch wenn ihr Weg sie nicht in die Medizin geführt hatte. Sie hatte Astrophysik studiert und nun die Chance erhalten, in einem der Wissenschaftsinstitute auf Vulkan zu forschen und dort ihren Doktorgrad zu erwerben. Um 1900 heutiger Bordzeit sollte der Frachter ablegen, der sie zu diesem neuen Ziel bringen sollte und Anouk wusste, dass irgendetwas dahingehend nicht in Ordnung sein konnte, wenn sie sie jetzt sprechen wollte. Sinaida hatte sie bisher nie bei der Arbeit besucht und säuberlich alle Anliegen bis nach dem Dienstschluss ihrer Mutter aufbewahrt. Wenn sie jetzt hier war, hatte es einen gravierenden Grund.
Anouk durchlief die Desinfektionsschleuse vor dem Labor und trat schließlich hinaus, wendete sich nach rechts und ging raschen Schrittes den Gang hinab bis sie ihr Büro erreichte. Sobald sie es betrat, erhob sich Ida von dem Stuhl, auf dem sie ohnehin nur auf der Kante gesessen hatte und drehte sich zu ihr um. "Mum... entschuldige, dass ich dich störe." Anouk schüttelte den Kopf. "Nein, schon gut... so lange du einen Moment warten konntest. Was ist passiert?" Sinaida legte die Hände in den Rücken. "Es... hat sich eine neue Abflugzeit für meinen Frachter ergeben", berichtete sie. Anouk hob eine Braue. "Und wenn es so dringend ist, dass du deswegen herkommst, dann nehme ich an, die Abflugzeit wurde... vorverlegt?" Ihre Tochter nickte. "Sie fliegen bereit um 1500 Bordzeit. Also in nicht mal zwei Stunden. Ich dachte... wenn du nicht zu beschäftigt bist, sollten wir vielleicht noch einmal zusammen zu Mittag essen." Anouk musste lächeln. "Das würde ich sehr gern tun, Liebes... schön, dass du dir die Zeit nimmst."
Keine halbe Stunde später saßen die beiden miteinander in Howard's Tearoom, einem Lokal der traditionell englischen Küche, das vor allem Sinaida sehr mochte. "Ich werde nie begreifen, was du an weißen Bohnen auf Toast so großartig findest", schmunzelte Anouk, nachdem sie bestellt hatten. "Naja... es ist... nahrhaft. Sättigend. Vielleicht ein bisschen zu sättigend. Und nicht zu vergessen... köstlich!" Sinaida lächelte. "Howard macht die beste britische Küche... zumindest auf der Station. Ich werde diesen Laden auf Vulkan vermissen. Vielleicht sollte ich mir Bacon dazu bestellen. Auf Vulkan wird es sehr vegetarisch." Anouk lachte. "Das ist wahr... vermutlich müssen wir dir Carepakete von Shepard, Bajor oder Terra schicken, damit du überlebst", scherzte sie. "Du weißt, dein Dad würde dir einen Ochsen schlachten und dir nach Vulkan schicken." Sinaida verschluckte sich beinahe an ihrem Tee und setzte diesen leise lachend wieder behutsam ab. "Großartig. Wahrscheinlich würden sie mich aus dem Programm werfen, wenn er ankäme", entgegnete sie. Anouk lächelte und streckte die Hand aus, um die ihrer Tochter zu ergreifen. "Ich bin wirklich stolz auf dich, Liebes. Nach Vulkan zu gehen ist so ein großer Schritt... wie fühlst du dich damit? Bist du bereit?" Ida umschloss Anouks Hand und nickte. "Ja... ja, ich denke schon. Ich habe so lange darauf hingearbeitet, diesen Platz zu bekommen. Ich weiß, ich bin nie vulkanisch erzogen worden, aber... es ist trotzdem in mir. Ich glaube, ich könnte mich wohlfühlen auf Vulkan. Auch wenn ich nicht aus reiner Logik bestehe. Aber sie ist keinem Wissenschaftler fremd." Anouk nickte. "Und du bist eine herausragende unter ihnen. Ich finde immer noch, du hättest in der Starfleet Academy..." "Mum, bitte. Wir haben doch darüber gesprochen, oder? Ich sehe mich nicht in der Sternenflotte, aber ich schließe es auch nicht völlig aus. Zuerst möchte ich aber meinen Doktor machen, bevor ich entscheide, ob ich als Wissenschaftsoffizier in die Flotte eintreten. Kannst du so lange warten?" Sie sahen sich einen Moment lang an. Dann senkte Anouk den Blick. "Natürlich. Entschuldige, es ist deine Entscheidung, Ida. Es ist nur... mir tut die Sternenflotte leid. Sie würde auf einen verdammt guten WO verzichten müssen, wenn du dich für den Zivilistenweg entscheidest", neckte Anouk sie und schlug den Blick ein wenig verschmitzt nach oben. "Du willst nur eine Tochter, die zumindest tendenziell deinen Weg einschlägt. Wenn nicht Medizin, dann wenigstens die Flotte", konterte Sinaida und drückte Anouks Hand ein wenig fester. "Hast du von Sanju gehört?"
Anouk verstand die Überleitung mehr als gut. Die Tochter, die so ziemlich keinen Weg eingeschlagen hatte, den Anouk jemals als gesund für sie eingeschätzt hätte. Mehr als einmal hatte sie damit ziemlich richtig gelegen. "Seit ein paar Wochen nicht, nein. Sie zieht sich immer mehr zurück seit sie diesen Kerl in der Air Force kennen gelernt hat..." "Der wie vielte in diesem Jahr ist das schon?", fragte Sinaida. Der Versuch, trocken zu klingen, misslang ein wenig. Die Sorge in ihrer Stimme stach deutlich hervor. Anouks Blick verfinsterte sich. "Ich weiß es nicht genau. Der vierte bestimmt. Ich warte immer noch darauf, dass sie sich fängt, aber... ich beginne mehr und mehr zu glauben, dass alles, was Risiko ist, in ihrer Natur liegt. Wie es in der Natur eurer Tante Fiona lag. Sanju war ihr schon immer ähnlich und ihr Hang dazu, alles zu fliegen, was sie vom Boden kriegt, unterstreicht das nur." Sinaida gab einen zustimmenden Laut von sich. "Naja... sie ist erwachsen. Und wir wissen alle, dass wir nach Hause kommen können, wenn wir Hilfe brauchen. Sie auch." Anouk nahm einen Schluck Wein. "Ich hoffe, du hast recht, Ida. Das hab ich bei meiner Schwester auch gedacht. Bis sie irgendwann nicht mehr kam... aber lass uns nicht über so etwas reden. Die Zeit, die wir noch haben, ist viel zu knapp dafür. Wir werden dich vermissen! Die Kleinen bestimmt besonders." "Vielleicht solltest du aufhören, Jamie und Elena als 'die Kleinen' zu bezeichnen... die Pubertät winkt ihnen schon zu", erwiderte Sinaida. "Ah. Sie sind und bleiben die Kleinen. Segen und Fluch der Nesthäkchen. Und hier kommt unser Essen...", unterbrach sie sich, als Howard heran kam, um zu servieren.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen schlenderten Anouk und Sinaida Arm in Arm zum Turbolift. Es wurde Zeit, sich zur Schleuse zu begeben, wo der Frachter andockte, der Sinaida nach Vulkan bringen würde. "Schade, dass Daddy auf einem Einsatz ist... ich hätte mich gerne persönlich von ihm verabschiedet", meinte Ida und nannte dem Computer das Deck. Anouk lächelte. Es rührte sie auch nach all den Jahren noch, wenn ihr beiden älteren Töchter, die aus vorherigen Beziehungen stammten, Donnie 'Daddy' nannten. "Ich bin sicher, er freut sich sehr, wenn du ihn kontaktierst, sobald du angekommen bist. Oder ihm zumindest eine Nachricht hinterlässt. Im Moment kommt man schlecht zu ihm durch." Sie stiegen aus und gingen auf die Schleuse zu. "Das mach ich. Grüß die Zwillinge von mir, ja? Zu ihnen konnte ich ja wegen ihren Schulzeiten auch nicht mehr... ich melde mich bei euch allen, so schnell ich kann." Die beiden umarmten sich. "Ganz in Ruhe, Ida. Wir können warten. Komm gut an und richte dich in Ruhe ein. Ich hoffe, du fühlst dich auf Vulkan so wohl, wie du es dir vorstellst und deine Arbeit dort bringt die Freude und Erfüllung. Sobald wir können, besuchen wir dich... versprochen." Anouk streckte sich, um ihre Tochter, die ein ganzes Stück größer war als sie selbst, einen Kuss auf die Stirn geben zu können. "Ich liebe dich, Ida... pass gut auf dich auf." Sinaida schloss die Augen. "Das werde ich... und ihr auf euch hier. Wir sprechen, so oft es geht. Bis bald, Mum... ich liebe dich auch." Anouk trat zurück und Sinaida wandte sich um, um durch die Schleuse zu gehen. Noch einmal winkte sie, dann war sie verschwunden. Noch einen langen Moment blieb Anouk stehen und sah ihrem Kind nach, das inzwischen eine erwachsene Wissenschaftlerin war. Leicht nickte sie. Es war gut so, wie es war. Zuweilen war Trennung notwendig, um sich weiter zu entwickeln und sie war sich sicher, dass Sinaida Großes würde erreichen können.
"Sullivan an Fey", erklang in diesem Moment die Stimme ihrer Stellvertreterin und seit langer Zeit guten Freundin Lilly. Anouk zuckte leicht zusammen. Aus den Gedanken gerissen tippte sie auf den Kommunikator. "Fey hier... was ist los, Lil?" "Du hast eine Nachricht von Tron'Jenar bekommen. SoH'rajan von Tron'Jenar bittet, dass du dich bei ihr meldest. Offenbar geht es um was Medizinisches." Anouk schnaubte leise ob des letzten Satzes ihrer Kollegin. "Große Überraschung. Sie wird mich kaum aus Nostalgiergründen zum Raktajino trinken einladen", entgegnete sie. "Weißt du's? Warst du nicht schon öfter Gast dort?" "Naja... einmal wirklich. Da waren aber auch Sanju und Ssihanna noch gute Freundinnen. Sicher, man kennt sich und ich hab viel ausgeholfen bei den Verletzten unten nach dem Anschlag, aber... egal, geht es etwas genauer? Worum geht es?" "Ich weiß nichts Näheres. Es steht nur da, dass sich neue Pläne ergeben haben medizinischer Art und dass sie dich um Kontaktaufnahme bittet, wenn es dir passt." Anouk zögerte einen Moment, bevor sie sich schließlich einen sichtlichen Ruck gab. "Sag Skoras, er soll meine Termine für heute absagen. Ich habe gerade Ida Richtung Vulkan verabschiedet, Donnie ist sowieso nicht da und die Zwillinge sind heute lange in der Schule... ich beame runter auf Tron'Jenar. Ein bisschen frische Luft auf einer Planetenoberfläche wird nicht schaden. Außerdem bin ich neugierig." "In Ordnung. Halt mich auf dem Laufenden, okay? Lil out."
Anouk nahm ihr PADD zur Hand und schickte zumindest eine kurze Nachricht an SoH'rajan, um sie wissen zu lassen, dass sie spontan vorbei kommen wollte. Sie kann darauf verzichten, den klingonischen Wachen am Tor der Feste erklären zu müssen, dass man sie erwartet, wenn es im Grunde genommen keiner tat. Nachvollziehbarerweise war man auf Tron'Jenar zur Zeit sicherlich ein wenig... intensiv, was Sicherheitsfragen betraf. Anouk konnte es ihnen nicht verdenken. Was geschehen war, musste tiefe Wunden hinterlassen haben. Ein Desaster, dessen Ausmaße sie aus erster Hand gesehen hatte. Nur Stunden nach dem Anschlag war sie mit einem kompletten Team des PMC unten gewesen und hatte mehrere Tage lang bei der Versorgung geholfen. Seit den Tagen des Undinenkrieges hatte Anouk selbst nicht mehr einen solchen Strom an Verletzten gesehen. Doch als sie jetzt in der Nähe der Feste rematerialisierte und einen Blick auf das Bauwerk werfen konnte, hob sie anerkennend die Brauen. Es war eindeutig viel passiert hier. Der Wiederaufbau schien nicht nur in vollem Gange, sondern sogar zu Großteilen bereits abgeschlossen zu sein. Nun ja. Man konnte wohl nicht sagen, dass D'Ankwar und seine Familie zu denen gehörten, die schnell den Kopf in den Sand steckten. Rückschläge wurden abgefangen und man baute auf Ruinen wieder neu auf. Eine bewundernswerte Charaktereigenschaft, mit der Anouk immerhin metaphorisch vertraut war. Sie hatte nie wirklich etwas mit den eigenen Händen gebaut, aber es hatte mehr als einen Schicksalsschlag und mehr als einen Krieg gegeben, aus dem sie sich wieder nach oben gearbeitet hatte.
Sie genoss die milde Luft des Nachmittags, während sie auf das Tor der Feste zu hielt. Wie erwartet standen dort Wachen. "Qapla!", grüßte Anouk passend. "Ich bin Commodore Anouk Fey. Aj SoH'rajan von Tron'Jenar wollte mich sprechen. Sie weiß Bescheid, dass ich herkomme. Ich warte gerne hier, während Sie sie informieren", sprach sie sofort weiter, bevor man ihr Fragen stellte. Wie auf Kommando drehte sich einer der Krieger um und winkte einen Weiteren heran, damit dieser das Einverständnis einholte. Die Feste war dicht, eindeutig. Hier kam sicherlich niemand mehr nur auf Vertrauensbasis herein. Anouk störte sich nicht daran. SoH'rajan würde es regeln oder sie würde schlicht zurück auf die Station gehen.