Einige Stunden waren inzwischen vergangen seit dem tragischen Ende der beiden Fhoi Myore-Schiffe und dem Verschwinden der etwa vierzig Offiziere ihrer eigenen Mannschaft. Die Shinjitai Kaigun hatte ihre Position nicht verändert. Trotz funktionstüchtiger Maschinen waren sie nun quasi im All gestrandet, da ihnen nichts anderes übrig blieb, als auf die Hilfe der Fomorii zu warten. L'Lal'Loria war zu weit weg, um ohne die Transwarptechnologie weiter zu fliegen und nur die Bewohner dieser Welt selbst waren in der Lage, ihnen diese zur Verfügung zu stellen. Auch der Weg zurück in Föderationsgebiet würde inzwischen zu lange dauern und stellte außerdem keine Option dar. Das Bündnis musste geschlossen werden, dafür hatten die Fhoi Myore ihr Leben gegeben. Und ihre Leute mussten befreit werden, wer auch immer die gewesen waren, die sie in ihre Gewalt gebracht hatten.
So hatten sie also keine andere Wahl als zu warten. Die entführten Offiziere zu suchen war auf eigene Faust unmöglich, da das Schiff, auf dem sie sich höchstwahrscheinlich befanden, ebenso über Transwarptechnologie verfügte wie die der Bewohner L'Lal'Lorias und sie von daher nun bereits unendlich weit weg sein konnten. Es gab keine Chance sie einzuholen, bevor nicht Hilfe eintraf, die ihre Reise beschleunigen konnte.
Die Stimmung auf der Brücke war entsprechend gedrückt. Nanami hatte Sams Konsole zu Beginn mit übernommen und ab und an verstohlen zu dem leeren Platz hinüber gesehen. Sie waren nun schon eine ganze Weile lang Kolleginnen und obwohl sie keine engen Freunde waren, mochte Nanami Sam doch recht gerne. Sie war eine stille, freundliche Konstante ihres Alltags und sie arbeiteten auf Shepards OPS Seite an Seite gut und effizient zusammen. Schließlich jedoch hatte einer der Offiziere der Shinjitai Kaigun den Posten übernommen und Nanami von ihren Zusatzpflichten entbunden. Diese war sich jedoch unschlüssig darüber, ob ihr ein fremdes Gesicht an Sams Stelle lieber war als die Leere, die sie hinterlassen hatte.
Verstohlen sah sie zu den übrigen Brückenoffizieren, unter denen angespannte Stille herrschte. Nur ihren Vater Amanosuke Tokusawa, den Kommandanten des Schiffes und Leiter des DC, hörte sie leise mit Caitlin DeLassal, der Fleet-Admiral und seiner langjährigen guten Freundin, sprechen. Sie verstand jedoch keine Einzelheiten und legte für den Moment auch keinen Wert darauf. In den letzten Stunden hatte sie sogar den direkten Blickkontakt zu ihm vermieden, wenn es möglich gewesen war. Es wäre ihr lieber gewesen, diesen Einsatz nicht mit ihm gemeinsam zu fliegen. Was ironisch wirkte, wenn man bedachte, dass er derjenige gewesen war, der sie zu ihrem Ausbildungsweg als Taktik- und Sicherheitsoffizier in der Sternenflotte inspiriert hatte. Er und seine steile Karriere. Sie hatte ihn immer bewundert, hatte so sein wollen wie er, als sie noch ein Teenager gewesen war. Doch spätestens auf der Academy hatte sie feststellen müssen, dass es nicht immer vorteilhaft war, einen Vorzeigeoffizier zum Vater zu haben. Die Messlatte war hoch, der Vergleich immer gegeben. Und nun stand sie auf seiner Brücke und war plötzlich sein Taktikoffizier für diesen Einsatz. Es machte sie nervös. Abgesehen davon, dass es ausgesprochen unangenehm war, dass er den Wurfstern gesehen hatte. Dies hatte ihr Geheimnis bleiben sollen.
Während dieser Gedankengänge war ihr Blick auf ihrem Vater haften geblieben, der nun plötzlich den Kopf hob und ihr genau in die Augen sah, als wisse er, dass sie ihn beobachtete. Ein kurzer Adrenalinstoß jagte durch sie hindurch und rasch wandte sie den Blick ab. Mit schnell pochendem Herzen sah sie auf ihre Konsole ohne wirklich auf die Anzeigen zu achten.
Sie wünschte, ihre Mom wäre hier. Sie war ihre engste Vertraute und ihre beste Freundin. War es immer gewesen und würde es wohl auch bleiben. Sie beide gegen den Rest der Welt. Einen Stiefvater hatte es nie wirklich gegeben und obwohl Nanami in ihren Teenagerjahren eine Weile bei ihrem Vater gelebt hatte, war ihr eigentliches Zuhause doch immer bei Sarah gewesen. Doch selbst ihr konnte sie nicht sagen, was sie im Moment am meisten bedrückte. Dies konnte sie niemandem sagen.
Erst nach einer ganzen Weile sah Nanami wieder vorsichtig auf und bemerkte erleichtert, dass ihr Vater sich wieder seinem Gespräch zugewandt hatte. Sie sah ihn nicht erneut an, um seine Aufmerksamkeit kein zweites Mal zu erregen und ließ ihren Blick dafür zu Lieutenant Jilko Samaras wandern, der offensichtlich sehr unglücklich an seiner CONN-Konsole saß. Er tat ihr leid. Sam und er waren zusammen, da war sie sich sicher. Offiziell gemacht hatten es die beiden noch nicht, aber man musste schon blind sein, um es nicht mitzubekommen. Besonders wenn man den ganzen Tag mit den beiden auf einer Brücke verbrachte. Er musste sich schreckliche Sorgen um sie machen und wirkte ein wenig verloren. Sein Ausdruck spiegelte die gesamte Ratlosigkeit, die die Crew zur Zeit umfangen hielt, vollkommen wieder.
Als die Schicht einige Minuten später endete, übergab Nanami willig ihre Konsole und ging schnurstracks auf Samaras zu. Zum einen war sie sich sicher, dass ihm ein wenig Gesellschaft gut tun würde und zum anderen wollte sie es vermeiden, dass ihr Vater sie nun, da der Dienst fürs Erste offiziell beendet war, abfangen und Fragen stellen würde, die sie nicht beantworten wollte.
"Kommen Sie, Lieutenant", sprach sie Samaras von daher an. "Gehen wir etwas trinken. Ich denke, wir können es beide gebrauchen. Sie nicht auch?"