Beiträge von Ashitaka Tokusawa

    Ashitaka versicherte Khi'LeisaH, dass es ihm rein gar nichts ausmache, würde sie noch einmal mitkommen. Im Gegenteil. Er hatte gerne Gesellschaft. Und warum auch nicht. In Bezug auf die Eingeweihten war es immerhin eine öffentliche Veranstaltung. So machten sich die beiden in Ashitakas Auto wieder auf den Rückweg in die Stadt hinein. Inzwischen war es Abend geworden und Khi konnte in der dämmrigen Stimmung die vielen Lichter der Stadt anschauen, die sich besonders schön im Fluss brachen. Zurück in Manhattan lenkte Ashitaka seinen Wagen ausgesprochen zielstrebig weiter. Er kannte die Gegend inzwischen wie seine Westentasche und als der Gedanke in ihm aufkam, ließ er ihn lächeln. Er liebte New York. Es gab Momente, die geprägt waren von Arbeit, Stress und Streit, aber die gab es in jedem Leben, wie ihm sehr wohl bewusst war und es schmälerte seine Freude daran, hier sein zu können, keineswegs. Er war auf dem Weg, seinen Traum zu verwirklichen - und auf diesen Traum fuhren sie geradewegs zu: Die Juilliard.

    "Schau", erklang Ashitakas Stimme da leise im Innenraum des Wagens, wo bisher eine Weile Stille geherrscht hatte, während er seine kleine Freundin die Chance gegeben hatte, sich gänzlich vom Rennabenteuer zu erholen und die Stadt anzuschauen. Eine seiner Hände löste sich vom Lenkrad und deutete vor sich durch die Windschutzscheibe. So Khi seiner Geste mit dem Blick folgte, tat sich ein recht gewaltiges Szenario vor ihr auf. Drei Wolkenkratzer erhoben sich majestätisch in den Himmel hinein und an diese angebaut befand sich ein weiteres Gebäude, sehr viel flacher und niedriger, jedoch weitläufig und nach vorne hin spitz zulaufend, sodass die ganze Konstruktion Ähnlichkeiten mit einem altmodischen Seeschiff zu haben schien. Die Beleuchtung des Abends tat ihr übriges, um es entsprechend beeindruckend aussehen zu lassen. Ashitakas Lächeln vertiefte sich. "Die Juilliard", sagte er leise und in seiner Stimme klang die latente Ehrfurcht mit, die er nach wie vor empfand, wenn er sich klar machte, dass er es bis hierher geschafft hatte. Ehrfurcht, aber gleichsam auch ein Ton, der wie ein liebevolles Streicheln klang. Es war offensichtlich, dass er eine tiefe Verbundenheit zu diesem Gebäude und allem, was es verkörperte und was sich darin befand, fühlte. "Die beste Schule für Tanz, Schauspiel und Musik auf diesem Planeten und vielleicht auch noch besser als die besten auf anderen Planeten. Ich hab das Ranking gerade nicht im Kopf, aber hier passiert schon einiges. Es ist ziemlich hart, hier aufgenommen zu werden und eine Ehre, wenn du hier lernen darfst." Er lächelte geschmeidig auf, wissend, dass die Aufnahmeprüfung für ihn tatsächlich ein Leichtes gewesen war und man ihn trotz seiner Jugend bereits sehr früh aufgenommen und ihn gar nicht erst auf eine Warteliste gesetzt hatte.

    Doch Ashitakas Ziel war gar nicht die Schule, dorthin wollte er heute nicht mehr. Er lenkte den Wagen daran vorbei und fuhr weiter. "Wenn du Interesse hast, führ ich dich mal rum", bot er an, während sie in eine Seitenstraße etwa einen Block entfernt einbogen. "Aber heute Abend nicht mehr. Heute Abend steht das Sally's an", grinste er und wie auf's Stichwort hielt er an, parkte mit ein paar präzisen Zügen rückwärts ein und deutete dann auf den Laden, von dem sie unweit zum Stehen gekommen waren. Das Sally's war von außen nicht besonders spektakulär. In elegant-stilisierten Lettern prangte in weißer Schrift der Name über der rot gestrichenen Eingangstür, die sich beständig öffnete und schloss, während junge Leute, allein oder in Grüppchen, schwatzend und lachend hinein strömten oder das Etablissement wieder verließen. Die Geschäftigkeit hier ließ sich nicht leugnen. Ashitaka sprang auf dem Honda, umrundete diesen und öffnete Khi, wie auch vorhin bereits, galant die Beifahrertür, damit sie aussteigen konnte, bevor er mit ihr die Straße überquerte und auf den Eingang zuhielt. Bereits jetzt hörte man aus dem Inneren Musik heraus klingen. Doch es war nicht das, was Khi'LeisaH sich vielleicht unter Barmusik oder ähnlichem vorstellen würde. Nein, tatsächlich waren die Fetzen, die sie hören konnte, die klaren Klänge live gespielter Instrumente, die gerade eher nach klassischer Musik klangen. Ashitaka schmunzelte, während er die Tür nach innen hinein öffnete und Khi vorgehen ließ. "Keine Sorge, es ist keine echte Konzerthalle", versicherte er ihr bereits jetzt.

    Drinnen angekommen ging es durch einen keinen, mit weichem, roten Teppich ausgelegten Flur, in dem man ablegen konnte bis zu einer Holztür und durch diese hindurch befand man sich nun schlussendlich im richtigen Innenbereich des Lokals. Sie befanden sich sofort auf einer Art Empore, die sich kreisförmig und breit gebaut durch den ganzen Raum spannte und auf der die Tische standen, an die man sich setzen konnte, während in regelmäßigen Abständen Treppen von dieser abgingen, die nach unten führten. Ashitaka führte Khi bis zum Geländer der Empore und so sie hinab schaute, erhaschte sie die Quelle der Musik, die hier ganz deutlich und mit wunderschöner Akustik zu hören war, da der Raum sich nach oben hin weit öffnete. Wie in einem Orchestergraben fand sich unter ihnen die gut sichtbare Bühne und gleich davor eine Tanzfläche, auf der sich ein paar Leute zur Musik wiegten. Die Bühne war besetzt mit einem Pianisten, zwei Violinistinnen, einem Cellisten und fünf Flötisten. Ashitaka neigte sich zu Khi. "Zufall, dass sie gerade spielen", meinte er. "Es wird nicht immer Klassik gespielt hier, im Gegenteil. Es gibt verschiedenste Musik, verschiedenste Tänze, je nachdem, wer vorgebucht hat oder wer spontan Lust hat. Rika und ich haben hier auch schon spontan gespielt. Das Sally's wird meistens von Schülern der Juilliard aufgesucht und die probieren sich gerne aus und führen gerne vor, was sie können", grinste er, dann löste er sich wieder von ihr und sah sich suchend um. "Ah", rief er dann aus und hob die Hand in eine Richtung. "Da ist sie ja. Komm", forderte er das Mädchen bei sich auf und so sie sich umwandte und ihm folgte, gingen sie auf den Tisch zu, an dem Mariko bereits saß und in einer Tasse rührte. Als die beiden näher kamen, stand sie auf. Eine grazile junge Japanerin war es, die Khi entgegen sah und sie aus dunklen Augen interessiert und durchaus nicht unfreundlich musterte. Die Gesichtszüge waren fein modelliert, die dunklen, schmalen Augen standen ein wenig weiter auseinander, die Lippen waren voll und weich, was im Ganzen gesehen den Eindruck eines herzförmigen Gesichts nur verstärkte. Ihr langes Haar war in leuchtendem Rotton gefärbt und sie trug schwarze Stoffhose, weiße Bluse mit ein paar Rüschen an Ärmel und Ausschnitt sowie eine passende Wildlederweste und dazugehörige Stiefel. Sie lächelte mit geschlossenen Lippen auf, als die beiden schließlich bei ihr ankamen. "Da seid ihr ja... ich dachte schon, du hättest deine Karre zu Schrott gefahren auf Nellies Strecke und müsstest jetzt herlaufen", bemerkte sie und Ashitaka schnaubte auf. "Meine... Karre?!" Schmollend sah er sie an und Mariko grinste nur noch breiter. Das hatte sie nämlich gewusst! Sowas von gewusst! Triumphierend blickte sie gen Khi und streckte ihr die Hand entgegen. "Hey, schön dich kennen zu lernen. Ich höre, du kommst aus den Weiten der Galaxis zu uns... ich bin Mariko. Oder Rika. Wie du willst."

    Nellie nickte. "Alle paar Wochen. Je nachdem, wie ich Zeit finde. Muss ja auch alles programmiert werden. Aber wir machen's immer wieder gerne. Wenn ich jemals erwischt würde, wäre ich allerdings echt am Arsch. Ich bin Technikerin für eine der Werften. Wenn die wüssten, dass ich hier sowas veranstalte, wäre ich die Karriere ziemlich schnell los." Sie grinste schief. "Also verrat mich nicht, okay? Und komm nochmal vorbei!"

    Ashitaka legte Khi'LeisaH in diesem Moment den Arm um die Schultern. "Ich unterbreche ja nicht gerne...", begann er, als Nellies Schnauben ihm auch schon dazwischen funkte. "Ja, klar. Weil du ja so ungern im Mittelpunkt stehst, Schätzchen." Ashitaka sah kurz schmollig zu ihr hinüber. "Nicht mein Punkt. Aber danke dafür, Nellie. Nein..." Er sah wieder zu Khi hinüber. "Es ist bloß fast schon sieben und wir müssen noch ein ganzes Stück weit zurückfahren. Meine Freundin würde dich gern kennen lernen, wenn es dir recht ist. Im Sally's. Hab ich dir das nicht vorhin schon erzählt? Ja, oder?" Nachdenklich zog der junge Mann die Brauen zusammen. Das Rennen hatte alle anderen Gedanken so akut aus seinem Kopf gewischt, dass er sich nicht sicher war. Schließlich zuckte er die Achseln. "Egal. Ihr Name ist Mariko, sie studiert mit mir an der Juilliard." Nellie schmunzelte. "Rika ist schon in Ordnung", meinte sie und sah zu Khi'LeisaH. "Viel Spaß dabei. Grüßt sie von mir. War wirklich nett, dich kennen zu lernen, Khi." Eine spontane Umarmung folgte und als Ashitaka und Khi sich anschickten aufzubrechen, verabschiedeten auch die Anderen sich herzlich.


    Ashitaka setzte sich erneut hinter das Steuer und lenkte den Wagen vom Navy Yard fort und zurück in die Innenstadt. Entspannt, selbstsicher und noch immer ein wenig berauscht vom Sieg des Rennens fuhr er jetzt jedoch vollkommen unspektakulär. Er wusste seine halsbrecherischen Künste für die Rennstrecke zu bewahren. "Hat es dir gefallen?", forschte er nach. "Ich weiß, es kann ein bisschen seltsam sein. Aber ich fühl mich wohl unter den Leuten. Bei uns zu Hause ist häufig alles so... gestelzt. So zwingend und unbequem. Wie ein Anzug, der zu eng sitzt und zwickt und den man nur trägt, weil es dem Anlass entspricht. Aber hier..." Er zuckte leicht die Achseln. "Die Leute sind bunt und unverfälscht. Das mag ich."

    Ashitaka ging auf ihre Frage nicht mehr ein. Für ihn war es nett. Rennstrecken waren sein zweites Zuhause und neben seinen Klaviertasten wohl das, was er am Besten zu beherrschen wusste. Ein kurzes, dunkles Lachen entfuhr seinen Lippen, als er ihren letzten Satz hörte und seine Augen verengten sich gleich darauf spielbereit. Kaum waren sie in die dritte Runde eingebogen, als der junge Mann auch schon das Gaspedal durchdrückte. Der Motor des Hondas heulte auf wie ein gepeitschter Löwe, bevor er sich dem Willen seines Meisters beugte und mit aller Kraft Fahrt aufnahm. Ashitaka wusste genau, wie lange er Zeit hatte, bevor er das Gas wieder wegnehmen musste und für den Moment war es in Ordnung, da sich eine Gerade vor ihnen erstreckte. Noch 200 Meter. Sein Wagen verfolgte Kims, kam näher, verblieb jedoch hinter ihm, kam nicht ganz heran, denn auch der Verteidiger der Spitzenposition wusste natürlich bei dieser Gelegenheit entsprechend zu beschleunigen. Nicht verwunderlich, alles Andere hätte Ashitaka auch nur misstrauisch werden lassen. Hätte ihn eine Falle wittern lassen. So blieb jedoch alles weiterhin in normalen Bahnen und somit voraussehbar. Die erste Kurve näherte sich. Eine scharfe Rechtskurve, die bei einer solchen Geschwindigkeit - so sie aufrecht erhalten wurde - unweigerlich dazu führen musste, dass man aus der Strecke herauskatapultiert werden würde. Das sagte einem der gesunde Menschenverstand, man musste kein Rennfahrer dafür sein, um darüber Gewissheit zu haben. Und doch... doch wurde Ashitaka nicht langsamer. Er spürte instinktiv, wie sich seine Beifahrerin anspannte, wie sie den Atem anhielt, sich jedoch offenbar nichts zu sagen traute, was ihm nur recht war. Er brauchte seine ganze Konzentration für die Rennstrecke und die Reaktionen seines Wagens und er hatte nicht vor, seine nächsten Schritte auszudiskutieren. Vertrauen war essenziell.

    Er raste weiter auf die Kurve zu. 100 Meter. 50. Kim bremste ab, man sah die Rückleuchten seines Autos aufleuchten, was der junge Japaner mit einem wölfischen Lächeln zur Kenntnis nahm. 30 Meter. "Ashitaka...", hörte er neben sich Khi'LeisaHs Stimme in einer etwas höheren Klangfarbe, als müsse das Mädchen sich beherrschen, die aufkommende Panik nicht zu deutlich heraus zu lassen. Er antwortete ihr nicht, zu fokussiert auf das Geschehen. Sah, wie Kim wild gestikulierte und nun in die Eisen ging, um die Kurve zu nehmen, während Ashitaka weiter aufschloss. Nun neben ihm war und wo Kim ihn mit weit aufgerissenen Augen fassungslos anstarrte, ging es nun um Sekundenbruchteile, die darüber entscheiden mussten, ob diese Fahrt ein jähes Ende für den Honda und seine Besatzung nehmen würde oder nicht. Dieser Irre! Das war es, was die Augen des blondgelockten, kleinen Mannes zu schreien schienen, während er sich notgedrungen von Ashitaka überholen ließ. Seis drum. Der würde ohnehin gleich Sand fressen. Oder sein eigenes Lenkrad, je nachdem, wie leichtsinnig er dieses Spiel weiter trieb. Und dann würde der kleine Pianist schon sehen, wie schön es war, mit fehlenden Frontzähnen vor Publikum zu stehen! Jawohl!

    Ob es am betazoidischen Erbe seiner Mutter oder an seinen eigenen Wunschvorstellungen lag blieb offen, aber in diesem Augenblick meinte Ashitaka ganz genau zu wissen, was sein Kumpane dachte und er warf ihm infolgedessen beim Überholen ein blendendes Lächeln zu, das die schönen Züge des Jungen zum Leuchten zu bringen schien. Vielleicht ein letztes Aufblitzen vor dem Ende? Wohl kaum. Denn in der letztmöglichen Sekunde, löste Ashitaka plötzlich den Fuß vom Gas, doch statt das Bremspedal zu bedienen, schnellte seine Rechte hervor, packte die Handbremse, riss sie bis zum Anschlag nach oben und ein Ruck ging durch den Wagen, der sie beide unweigerlich nach vorne warf. Die Gurte spannten sich an, hielten, was sie versprachen und der junge Fahrer wirbelte das Lenkrad herum, wo der Wagen ins Schlingern kommen wollte, hielt gerade genug gegen, damit der Honda mit einem empörten, kreischenden Schlittern um die scharfe Kurve glitt und wo die Reifen so gequält wurden, das man leichten Rauch aufsteigen sehen konnte, hielt Ashitaka die Sache bis zum letzten Moment unter Kontrolle. Dann löste er die Handbremse wieder, schwenkte zeitgleich mit einer Hand das Lenkrad wieder herum und nahm erneut volle Fahrt auf. Die nächste Gerade, die sich ihnen präsentierte, befuhren sie auf der Spitzenposition. Zufrieden entspannte sich seine Haltung und er gönnte sich einen Blick in den Rückspiegel, wo er Kim im Innenraum seines Wagens fluchen sah, was er mit einem leisen Glucksen kommentierte.

    Der Rest der Runde war nicht viel mehr als eine Formsache. Es gab nichts Heimtückisches mehr, was ihn den Sieg kosten könnte. Nur noch reines Fahrgeschick war von Nöten und dieses bediente er mühelos. Als sie die Ziellinie überquerten, verschwand die Holoprojektion und sie verließen die Halle, fuhren ins Freie hinaus, wo Nellie und sämtlicher Anhang der Rennfahrer bereits jubelnd auf sie warteten. Gemächlich brachte Ashitaka seinen Wagen zum Stehen und grinste zu Khi hinüber, sagte jedoch nichts, sondern sprang hinaus, wobei er die Gratulationen, die ihm entgegen gerufen wurden, mit einem kurzen Heben seiner Hand quittierte und eilte geschmeidigen Schrittes zur Beifahrerseite, um ihr galant die Tür zu öffnen, sich leicht zu verneigen und ihr die Hand zu reichen. "Junge Lady... es war mir eine Ehre", säuselte er dabei und wo dies bei vielen Mitgliedern seiner Familie sehr ernsthaft geklungen hätte, war bei ihm deutlich der Schalk heraus zu hören.

    "Du verrückter Hund!!", vernahm er bereits währenddessen das wütende, helle Heulen Kims in seinem Rücken, der rotwangig und mit bebenden Nasenflügeln aus seinem Wagen gesprungen war. Ashitaka grinste Khi zu und so sie sein Angebot annahm, zog er sie kurz zu sich. "Das Löwchen versucht zu brüllen", schnurrte er amüsiert, berauscht und angetan von seinem eigenen Erfolg. Hach ja. Ja! So sollte das Leben immer sein. "Ich weiß gar nicht, was du hast, Kimmy!", rief er da auch schon und wandte sich erst jetzt zu seinem Freund um. Feixend. "Ich hab dir schon so oft angeboten, dir mal die Funktionen einer Handbremse näher zu bringen... aber du nutzt sie ja doch nur, um deinen Wagen vor dem Kleidergeschäft artig vorm Bergabrollen zu beschützen", lächelte er samtig. Die Zufriedenheit ließ seine ebenmäßigen Züge nur noch hübscher wirken. Bevor Kim auf die Provokation eingehen konnte, war es jedoch Nellie, die sich dazwischen schummelte, Ashitaka kurz umarmte und dann Khi den Arm um die Schultern legte. "Ich LIEBE den Jungen auf Rennstrecken!", lachte sie, unbeeindruckt vom Testosterongerangel in der Luft. "Na? Wie haben dir meine Strecken gefallen?" Sie grinste Khi mit funkelnden Augen an.

    Ashitaka sah noch immer auf den feurigen Abgrund und spürte sein Herz unangenehm fest gegen seine Rippen pochen. Ihm war bewusst, dass die Holoszenarien dem tatsächlichen Aufbau der Hallen nachempfunden waren, in denen sie fuhren. Es waren ausgesprochen geräumige Lagerhallen mit mehreren Ebenen und man wusste nie genau, wie Nellie sie für das nächste Rennen umgestalten oder sogar umbauen würde. Das war es, was die Rennen so gefährlich machte - keine Sicherheitsprotokolle, nur brenzlige Strecken, aufgehübscht durch Holoszenarien wie diese. Ashitaka war sich sicher, dass er, Khi'LeisaH und die übrigen Fahrer einen äußerst unschönen Unfall gehabt hätten, wären sie vor dem Krater nicht rechtzeitig zum Stehen gekommen.

    Doch diese Gedanken versiegten, als er plötzlich die leise Stimme seiner Beifahrerin hörte. Ruckartig sah er auf, folgte ihrem Blick und ihrem Deuten und erspähten den Pfad nun selber. Es ging um Sekunden, Sekundenbruchteile gar. Keine Zeit zu verlieren. Sein trainiertes Ohr hörte bereits, wie mindestens einer der Motoren um sie herum lauter wurde. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass noch jemand dabei war, Fahrt aufzunehmen.

    Es war Kim. Der kleine blonde Lockenkopf hatte es ganz offensichtlich in sich, war ein ausgezeichneter Fahrer und verfügte über ein gutes Auge sowie sauber ausgeprägte Reflexe. Noch bevor Ashitaka reagieren konnte, hatte er bereits seinen eigenen Wagen herum gerissen und jagte den vereisten Pfad hinab. Ashitaka fluchte, legte den Gang ein und rammte seinen Fuß auf das Gaspedal, während er das Lenkrad in seinen geschickten Händen herum wirbelte. Er folgte Kim auf dem Fuß und auch die Anderen hatten nun endlich begriffen, dass das Rennen wieder Fahrt aufnahm und blieben ihnen auf den Fersen. "Weißt du, Khi...", bemerkte der junge Japaner mit zusammen gebissenen Zähnen. "Das nächste Mal, wenn du sowas Essentielles entdeckst, flüsterst du im geschlossenen Innenraum des Autos besser nicht... hört ohnehin keiner außer mir zu." Er warf ihr einen raschen Blick aus den Augenwinkeln zu, zwinkerte und ließ ein verschmitztes Lächeln aufblitzen, bevor er seine volle Konzentration erneut auf die Aufgabe legte, die es zu bewältigen galt. Aber Kim war ein harter Gegner. Obwohl Ashitaka ihm fortwährend auf den Fersen blieb und mehr als einmal zu einem Überholmanöver ansetzte, gab dieser ihm niemals genügend Freiraum, um die Aktion durch zu ziehen. Mit einem entnervten Stöhnen gab Ashitaka schließlich für den Moment auf und fuhr die vereiste Piste hinter Kim ab, sodass sie auf dem zweiten Platz aus der Halle ins Freie schossen.

    Der dritte Gebäudekomplex ließ nicht lange auf sich warten. Innen angekommen grinste Ashitaka auf. "Nellie war nett!", rief er frohen Mutes. "Eine Rennstrecke!" Tatsächlich. Selbst wenn es ein wenig fantasielos sein mochte, hatte Nellie ihnen das Szenario einer soliden Rennbahn zur Verfügung gestellt, um die, die die beiden Landschaften überstanden hatten, in ein würdiges Finale zu führen. Keine Fallen mehr. Nur Geschwindigkeit und Geschick fürs Fahren - und das bewies Ashitaka nun. Er war nicht umsonst mit seinem Vater schon auf diversen echten Rennstrecken um Preise gefahren. In der ersten Runde hielt er sich noch hinter Kim. "Drei Runden müssen hier gefahren werden, bevor die Ziellinie erscheint", erklärte er Khi nebenbei. Gerade entspannte er sich ein wenig, da er gar nicht erst zu überholen versuchte. Noch nicht. "Die erste Runde: Strecke studieren." Das erklärte, warum er keine Überholversuche unternahm. Er wollte sich ansehen, womit er es zu tun hatte. "Die zweite Runde..." In diese bogen sie gerade ein. "... Kimmy in Sicherheit wiegen." Ein wölfisches, kleines Lächeln legte sich auf sein schönes Gesicht. Es war trotz allem nicht so, als wäre diese Fahrt nun gemächlich. Die Geschwindigkeiten waren halsbrecherisch, die Kurven scharf. Doch Ashitaka hatte seinen Wagen gut im Griff und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Die dritte Runde..." Seine Augen zogen sich zusammen, sein Lächeln schwand, er legte all seine Konzentration auf die Strecke und den Wagen vor sich. Jetzt kam es drauf an. "... Angriff."

    Ashitaka warf dem verängstigten Mädchen neben sich einen kurzen, aber ausgesprochen amüsierten Seitenblick zu. Mehr als einen Sekundenbruchteil hatte er dafür allerdings nicht, bevor die Strecke wieder seine volle Aufmerksamkeit erforderte. Was für ein Unterschied es doch war, Khi dabei zu haben und nicht Mariko. Sie hatte ihn dieser Clique vorgestellt, nachdem er nach New York gezogen war und ihr erzählt hatte, dass er schon von Kindesbeinen an mit seinem Vater an alten Rennwagen geschraubt hatte. Ein lustiger Zufall, denn Mariko fuhr zwar selber nicht, war aber schon von Kindesbeinen an mit Nellie befreundet, hate ihr Talent und ihre Leidenschaft für verrückte Holoabenteuer gekannt und war eine erfahrene Beifahrerin in solchen Rennen - was man ihr auch anmerkte, wenn sie mit ihm zusammen fuhr. Latente Panikausbrüche, wie sie von seiner jetzigen Gefährtin gerade kamen, gab es bei ihr nicht.

    "Gewinnen", war seine kurze, aber präzise Antwort auf ihre Frage und noch während er das sagte, begann sich das Szenario um sie herum aufzulösen. Der Dschungelpfad verschwand, die schwüle Hitze verging und es wurde kurz dunkel, bevor sie aus der ersten Halle hinaus schossen und sich plötzlich wieder im dämmrigen Navy Yard wiederfanden. Die schnell wechselnden Lichtverhältnisse präsentierten eine Herausforderung für die Augen und Ashitaka verengte diese kurz, während die Pupillen sich weiteten, sich ungesehen neu justierten und fokussierten. Nach wie vor umgab sie der röhrende Klang der Motoren der anderen Wagen. Kim und Wilson fuhren vor ihnen, allerdings in komfortabler Sichtweite und Khi'LeisaH konnte sehen, wie diese ungebremst in den offenen Eingang der nächsten Halle vordrangen. Kaum zwei Sekunden später verschluckte dann auch sie und Ashitaka wieder die Dunkelheit des Gebäudes, bevor sich erneut alles zu verändern begann. Was nun?

    Als das Szenario um sie herum erneut Form annahm und die Dunkelheit sich lichtete, fanden sie sich auf einem Bergpass wieder. Es ging steil bergan und wo zuvor Hitze das Innere des Wagens geflutet hatte, wurde es nun kalt. Eisig kalt. Schneeflocken wehten ihnen ungezügelt entgegen, getrieben von einem scharfen Sturm, der in seiner Intensität beinahe das Motorengeräusch der Anderen übertönte. Der Weg, auf dem sie sich den Berg hinauf vorarbeiteten, war schmal und stellenweise vereist, erforderte also noch mehr Aufmerksamkeit und Geschick als der Dschungel, da sich zu ihrer Rechten die Bergwand auftürmte, an der sie leicht würden zerschellen können, während zu ihrer Linken ein steiler Abgrund in die Tiefe führte. Beides Alternativen, auf die Ashitaka verzichten konnte. Er biss sich auf die Unterlippe. Verdammte Hölle, hier und jetzt würde es ihm unmöglich sein, die beiden Vorgänger zu überholen. Sein Hauptfokus musste darauf liegen, sich nicht selber zu disqualifizieren, indem er auch nur einen Zentimeter vom Weg abwich und die Wetterverhältnisse machten es ihm nicht leichter. Präzision war gefragt. Mühsam quälten sich die Wagen den vereisten Berg nach oben und mehr als einer fiel den Tücken des Aufstiegs zum Opfer, allerdings würde Khi sich umdrehen oder in die Spiegel schauen müssen, um es wirklich mitzubekommen, da es einige der Wagen hinter ihnen betraf. Nicht die beiden vor ihnen, sehr zu Ashitakas Bedauern. "Verdammte Mistkerle...", murmelte er halb unleidig und halb bewundernd, als er beobachtete, wie sowohl Kim als auch Wilson in der Lage waren, sich doch immer wieder aus knappen Situationen heraus zu manövrieren.

    Eine weitere Kurve folgte, führte sie in einem ausgedehnten Rechtsbogen um eine Felsspalte herum und der Aufstieg... endete plötzlich! Völlig aus dem Nichts heraus schossen sie auf das freie Feld eines Bergplateaus. Der Schneesturm peitschte ihnen entgegen und Ashitaka bremste ohne Ankündigung scharf ab. So scharf, dass es Khi in ihrem Sitz nach vorne warf und wäre sie nicht angegurtet, würde ihr Kopf wohl jetzt Bekanntschaft mit der Windschutzscheibe machen. Sie konnte hören, wie dem junge Mann neben ihr ein Keuchen entwich. "Diese Irre!", stieß er hervor, was er wohl auf Nellie, die Künstlerin des Ganzen, bezog und sowohl als Fluch als auch als Ausruf der Bewunderung meinen könnte. Im Zweifelsfall wahrscheinlich beides und es war nicht schwer zu sehen, worauf er sich bezog: Vor ihnen erstreckte sich ein gewaltiger, kreisförmiger Krater, an dessen Rand sie knapp zum Halten gekommen waren. Innerhalb des Kraters glühte heiße Lava, die kochend und zischend Blasen warf und - obwohl furchteinflößend - doch durch ihr intensives Leuchten in der rauen Winterlandschaft eine faszinierende Schönheit präsentierte. Allerdings waren sie nicht hier, um Landschaften zu bewundern, sondern um ein Rennen zu gewinnen, wie sich selbst Ashitaka mühsam in Erinnerung rufen musste. Auch die anderen Wagen, die noch im Rennen waren, hatten sich inzwischen anhand von Notbremsungen am Kraterrand eingefunden, der eine so enorme Größe aufwies, dass kaum klar war, wie die Rennstrecke weiter verlaufen sollte. Dass es den anderen Teilnehmenden ebenso ging, wurde dadurch deutlich, dass niemand so recht Fahrt aufnahm. Die allgemeine Verwirrung war perfekt. Wie kam man um den Krater herum? Wo ging es weiter? Khi'LeisaH saß allerdings in einem günstigen Winkel und so sie sich vom Anblick der feurigen Abgrundes losreißen konnte, mochte ihr ein schmaler Pfad auffallen, beinahe vollständig von Schnee und Eis bedeckt, der vom Plateau hinab führte...

    Sie rasten in die erste Halle hinein. Im ersten Moment umschloss sie nichts als Dunkelheit, die Augen hatten kaum Zeit sich auf die gedimmten Lichtverhältnisse im Inneren des Gebäudes einzulassen und Ashitaka hielt schlicht die Geschwindigkeit aufrecht und das Lenkrad fest. Die Motoren neben ihnen knurrten und fauchten wütend, während sie wohl gleichsam blind in voller Kraft geradeaus gelenkt wurden. Wer jetzt vor lauter Angst langsamer wurde, würde bereits den entscheidenden Startvorsprung einbüßen und die Wenigsten schafften es dann, sich noch ganz an die Spitze vorzuarbeiten. Man musste schlicht darauf vertrauen, dass der Weg keine Hürden bereithielt.

    Plötzlich änderten sich die Verhältnisse jedoch und zwar so drastisch, dass es Khi'LeisaH vermutlich noch einmal in den Sitz zurückwerfen würde. Diesmal allerdings nicht aufgrund der Kraft des Wagens, sondern weil sie nicht damit rechnen konnte, was sich vor ihren Augen entfalten würde: Die Halle, die sie umgab, löste sich in einen Wirbel aus blendend hellem Licht auf und in der nächsten Sekunde befanden sie sich mitten in einem Dschungel. Riesige Bäume spannten ihr immergrünes Dach über sie aus, verbunden durch Lianen, geschmückt mit bunten Früchten, umgeben von schillernden Blüten. Fremdartige Tiergeräusche waren überall um sie herum zu hören und die feuchte Hitze der Umgebung kroch bis in den Wagen hinein. Der Weg, auf dem die Wagen zum Teil noch nebeneinander einher rasten, war nicht viel mehr als unebenes Gelände. Serpentinenartig wand er sich durch den dichten, farbenprächtigen Wald.

    Ashitaka verengte die Augen. Aha. Erstes Szenario. Sein Griff um das Lenkrad wurde noch ein wenig fester, während der Honda über die Unebenheiten auf dem Boden raste und dem Inneren so ab und an einen beträchtlichen Schlag versetzte. Es kostete seine ganze Konzentration, das Auto unter Kontrolle zu halten und das Spiel zwischen Gas und Lenkung so zu dosieren, dass sie kaum an Geschwindigkeit verloren, aber gleichzeitig nicht frontale Bekanntschaft mit dem nächsten Baumstamm machen würden. Beispiel A war in diesem Falle leider Ty, der sich bisher hartnäckig neben ihnen gehalten hatte, ein Schlagloch jedoch so ungünstig erwischte, dass es ihn herum wirbelte. Dabei riss er sich einen Reifen ab, bevor er seitlich gegen einen der Bäume knallte. Ashitaka quittierte das mit einem unbekümmerten Grinsen und gab noch ein wenig mehr Gas. Ihr Vorsprung hatte sich gerade erweitert.

    Plötzlich gab es jedoch einen unerwarteten, sehr lauten Knall direkt über ihnen. Etwas landete auf dem Autodach, das offenbar ursprünglich von einem der Äste stammte, die sie überdachten. Ashitaka zuckte zusammen und hatte nun alle Mühe, den Honda nicht zu verreißen. Was zur...?! Es bewegte sich auf dem Dach kroch Richtung Windschutzscheibe und dann konnten sie sehen, was es war: Ein Affe, der sie aus dunklen Knopfaugen ansah, seine merkwürdig scharfen Zähne bleckte und einen markerschütternd hohen Schrei ausstieß, als gefiele ihm die Aussicht auf die beiden Personen im Wageninneren keineswegs. Ashitaka fluchte, da das Tier seine Sicht stark beeinträchtigte und wurde unweigerlich langsamer. Diese Chance nutzten prompt zwei weitere Autos, die bisher hinter ihnen gewesen waren, um sich geschickt an ihnen vorbei zu drängeln. So Khi'LeisaH aus den Seitenfenstern sah, konnte sie die beiden Fahrer als Kim und Wilson identifizieren, die sich ganz offensichtlich ins Fäustchen lachten. Ashitaka knurrte und warf kurzerhand mit einem schnellen, ruckartigen Griff den Scheibenwischer an, was das Tier erschrocken zusammen fahren ließ. Es schrie erneut empört, dann bequemte es sich endlich dazu, sich von der Windschutzscheibe zu lösen und wieder in seiner natürlichen Umgebung zu verschwinden. Entschlossen nahm der junge Mann wieder Fahrt auf. "Wer zuletzt lacht...", murmelte er entschlossen.

    Bei ihrer Schlussfolgerung, keine Männer mehr haben zu wollen, nur weil Isamu nicht interessiert gewesen war, verdrehte Ashitaka hinter ihrem Rücken die Augen. Er würde niemals begreifen, was alle an ihm fanden. Er mochte ja ganz gut aussehen, soweit Ashitaka das als jüngerer Bruder beurteilen konnte, aber seine lebenslange Partnerin war das Kloster von Shizuoka und für gewöhnlich ließ er das auch nie jemanden vergessen. Eine recht fordernde Nebenbuhlerin in einer Beziehung, auf die er - Ashitaka - nicht im Entferntesten Lust gehabt hätte. Aber sei's drum. Er musste ihn ja auch nicht heiraten. Trotzdem gefiel ihm Khis Beschluss nicht und das äußerte er auch durchaus. "Jaaaaa... nein", kommentierte er diesen, wobei das erste Wort recht zweifelnd langgezogen wurde, während das letzte doch ziemlich bestimmt klang. "Keine Option, Khi", bemerkte er auf dem Weg nach unten im Aufzug. "Das einzige Szenario, in dem ich dir so einen Satz erlauben würde, wäre, wenn du mir damit mitteilen wollen würdest, dass du dich zu Frauen umorientiert hast und dir eine Freundin suchen willst. Ansonsten weigere ich mich, den Stand der Dinge zu akzeptieren. Du wirst nicht wegen meines Bruders mit 15 Jahren ein Keuschheitsgelübde ablegen, verstanden?" Es war ihm bewusst, dass das vermutlich nur eine Art Trotzreaktion war, die ohnehin nicht anhalten mochte, aber trotzdem störte es ihn.

    Sie beide kamen allerdings vom Thema ab, als Khi den Wagen entdeckte. Welche Antwort sie auch immer hatte geben wollen, wurde von dem Anblick offenbar erstickt und ihre begeisterte Reaktion ließ Ashitaka schmunzeln. Durchaus geschmeichelt schmunzeln, natürlich. Er hatte das Auto selbst wieder aufgebaut und neben seinem Klavier war es sein liebster Besitz, was man dem guten Stück auch ansah. Als er auf der Fahrerseite eingestiegen sah und Khi'LeisaHs Frage vernahm, lachte er leise. "Und wie ich das fahren kann", nickte er. "Vor zwei Jahren bin ich mit meinem Dad die Indy 500 gefahren, eine ziemlich traditionsreiche Rennstrecke in Indianapolis", erzählte er. "Früher war sie sehr berühmt, heute ist es nur noch so ein Szene-Ding. Aber es hat Spaß gemacht. Und seit ich in New York bin, bin ich einige..." Er überlegte. "... naja, so eine Art Straßenrennen gefahren. Es ist kein richtiges Straßenrennen, bei dem wir den Verkehr behindern und uns übelste Schwierigkeiten einhandeln würden. Wir haben unseren Bezirk, wo wir niemanden stören. Aber das wirst du ja gleich sehen."

    Mit diesen Worten ließ er den Motor an, der jedoch im Vergleich zu früheren Jahrhunderten sehr leise und war und ein sanftes Geräusch von sich gab. Ein regelrechtes Schnurren. Ashitaka legte den Gang ein, sah kurz in die Spiegel und fuhr dann los. Zwar konnte Khi'LeisaH die Straße unter sich spüren, spüren, wie die Räder darüber glitten und die Sitze eventuelle Unebenheiten abfederten, doch ansonsten war es dem Gefühl des Fliegens, das ihr eher vertraut sein dürfte, nicht ganz unähnlich. Der Motor war leise und Ashitaka fuhr zwar schnell, aber gleichsam geschmeidig, sodass Khi nie das Gefühl haben dürfte, durchgeschüttelt zu werden. Nur war die Perspektive natürlich eine ganz andere als die des Fliegens. Aus den Fenstern heraus konnte das Mädel den Ausblick auf New York genießen. Eine Weile fuhren sie Richtung Süden und durchquerten dabei fast ganz Manhattan, bevor sich eine gewaltige Brücke vor ihnen aufzutun begann, die sich über den East River spannte. "Die Brooklyn Bridge", sagte Ashitaka, der auch innerhalb Manhattans schon das ein oder andere erklärt hatte. "Darüber müssen wir noch, dann sind wir bald da. Der ehemalige Brooklyn Navy Yard ist unser Ziel", erzählte er und sah kurz zu Khi hinüber. "War früher mal ein Navy-Stützpunkt, was dich jetzt bestimmt nicht sehr überraschen dürfte. Allerdings noch vor dem 3. Weltkrieg. Für die Defence Forces wurde er nicht reaktiviert und das Gelände steht heute leer - bis auf ein paar Lagerhallen. Genau das macht seinen Charme aus", grinste er wissend.


    Etwa 15 Minuten später bogen sie auf den verlassen aussehenden Navy Yard ein, der an den Ufern des Flusses lag. Noch immer fuhr Ashitaka zielstrebig weiter und nach einigen Kurven, tat sich ein Anblick vor Khi auf, den sie so sicherlich noch niemals gehabt hatte: Die versprochenen Lagerhallen zogen sich in einer langen Reihe grau und düster, teils verfallen vor ihnen entlang und zwar soweit das Auge reichte. Was auch immer alles hier gelagert worden war in früheren Zeiten, es musste verdammt viel gewesen sein. Doch das war nicht zwingend das, was Khis Aufmerksamkeit am meisten fesseln dürfte - denn vor der ersten Halle, auf die Ashitaka den Wagen zulenkte, standen ungefähr zwanzig weitere Autos, die dem seinen zumindest ähnlich waren. Zwar waren es andere Marken oder andere Modelle, aber es war offensichtlich, dass es Wagen waren, die auf hohe Geschwindigkeiten kommen konnten. Sie schrien in den unterschiedlichsten Farben und waren zuweilen mit Mustern und Symbolen aufwändig lackiert. Bei fast allen liefen die Motoren bereits und um die Autos herum gruppierten sich vielleicht dreißig Leute, die ganz offensichtlich eine eigene Party feierten. Ashitaka hatte dabei nicht gelogen - fast alle Mädchen, die Khi'LeisaH erspähen konnte, waren leicht bekleidet, bewegten sich zu der überlauten Musik oder räkelten sich über die Motorhauben der Autos, während die Männer entweder mit ihnen tanzten oder lachend in kleinen Gruppen zusammen standen und schillernd bunte, regelrecht neonfarbene Getränke direkt aus den Flaschen tranken. Als Ashitaka heranfuhr, verzog er erneut das Gesicht. "Ah... diese Musik", murrte er. "Warte ab, gleich drehen sie sie leiser", grinste er dann jedoch. Er warf Khi einen Blick zu, sah kurz über ihr Outfit, dann zu den Mädchen zurück, dann wieder zu ihr. "Hmm... ich hoffe, es ist okay für dich, dass du das anhast. Ich bin es einfach gewöhnt, dass die Mädels hier so rumlaufen... aber vielleicht fühlst du dich unwohl. Wenn dem so ist, sag mir Bescheid, okay?"

    Zu einer Antwort kamen sie nicht wirklich, denn kaum hatte Ashitaka angehalten, löste sich ein junger Schwarzer auch schon von seinem Gesprächspartner, riss Ashitakas Fahrertür auf und lachte ihm mit einem breiten Lächeln, das große, weiße Zähne offenbarte, entgegen. "Ash!", rief er, offenbar glänzender Laune, wobei er das Namenskürzel englisch aussprach und somit die eigentliche japanische Aussprache ruinierte. Er machte eine ungeduldige Handbewegung nach hinten und tatsächlich wurde die Musik auf Schlag ein wenig leiser. Offenbar kannte man die Vorlieben bzw. die Abneigungen des jungen Künstlers. Ashitaka grinste und stieg aus und die beiden begrüßten sich mit einem Handschlag. "Hey, ich wusste nicht, ob du heute dabei bist! Schön dich zu sehen, Mann!" "Hey, Ty", zwinkerte Ashitaka. "Klar bin ich dabei... wenn wir schon nochmal ein Rennen hinbekommen haben. Ich bin gespannt, was Nellie sich ausgedacht hat." "Wir alle, Mann, wir alle... aber wer ist denn das da?", forschte der junge Mann, der offenbar auf den Namen Ty hörte, nach und linste in den Honda, auf dem Khi auf dem Beifahrersitz saß. Ashitaka lächelte und ging, um Khi die Tür zu öffnen. Als sie ausstieg, beugte er sich kurz zu ihr vor. "Hab keine Angst... das sind coole Leute", versicherte er ihr leise, dann wandte er sich um. "Das ist Khi", stellte er sie vor und gab sich gar nicht erst mit ihrem langen, vollen Namen ab. "Eine Freundin aus Kindertagen. Sie ist zum ersten Mal in New York und ich dachte, ich zeig ihr ein paar... Insider von dem, was die Stadt zu bieten hat", grinste er und Ty tat es ihm gleich, als er herankam, Khis Hand ergriff und diese mit einer etwas übertriebenen Geste an seine Lippen zog. "Ich bin überwältigt", scherzte er, wirkte dabei jedoch gutmütig und nicht spöttisch. "Mein Name ist Ty", stellte er sich vor. "Willkommen bei uns, Khi. Komm... ich geb dir die Runde", schlug er vor und führte sie, zusammen mit Ashitaka, zu den Anderen. Die Meisten beschäftigten sich immer noch mit sich selbst, aber einige, die offenbar im engeren Bekanntenkreis der beiden waren, sahen ihnen neugierig entgegen. Mit einem großen Hallo wurde Ashitaka begrüßt, der Khi auch hier vorstellte. Der Reihe nach durfte sie die Hände von drei Männern und zwei Frauen schütteln, definitiv alle älter als sie. Zwei der Männer sahen nach Muskelprotzen aus, was Khi jedoch nicht weiter interessieren dürfte, schließlich war sie an ausgewachsene Klingonen gewöhnt. Sie hatten eine freundlich-brummige Coolness an sich und hörten auf die Namen Zach und Willson. Der letzte Mann in der Runde war recht klein, kleiner als sie alle, inklusive Khi und Ashitaka und war obendrein noch zart gebaut. Blond gelocktes Haar fiel ihm bis fast auf den Rücken und generell wirkte er recht feminin. Er stellte sich als Kim vor. Ob dies sein echter Name war, blieb dabei offen, aber das spielte auch weiter keine Rolle in dieser Zusammenkunft. Das erste Mädchen, dem Khi die Hand schüttelte, schien sehr sympathisch und aufgeweckt. Sie hatte blau gefärbtes, kurzes Haar und trug eine Brille, obwohl das in diesem Zeitalter sicherlich nicht mehr nötig gewesen wäre. Auch ihre Kleidung changierte zwischen Hellblau und Türkis. Schien offenbar ihr Ding zu sein. Ihr Name war Nellie. "Ich organisier das alles hier", erzählte sie Khi. "Mach die Holoprogramme und so. Aber du wirst schon sehen." Einzig das zweite Mädchen in der Gruppe, das demonstrativ die Arme um Willson geschlungen hatte, um wohl ihr Revier zu markieren, hatte eine latent arrogante Ausstrahlung. Sie war stark geschminkt, hatte langes dunkelbraunes Haar und große braune Augen. Ihre Kleidung war beinahe non-existent. Mehr als ein Oberteil, das gerade ihre Brüste bedeckte, einen Minirock und ein paar Netzstrümpfe unter ihren Stiefeln trug sie nicht. Willson stellte sie als Ava, seine Freundin, vor. Zwar reichte sie Khi die Hand und ergab sich damit wohl dem Gruppenzwang, aber mehr als ein Nicken bekam sie von ihr nicht. Ty drehte sich zu Ashitaka und Khi, verdrehte leicht die Augen ob Avas Verhalten und grinste dann gleich wieder. "Wo ist Rika, Ash? Hatte sie keine Lust?" Dieser zuckte die Achseln. "Ach, nicht wirklich, glaube ich. Sie übt viel im Moment. Außerdem wollte sie Khi den Platz nicht wegnehmen. Sie kann schließlich öfter mit uns Rennen fahren, nicht wahr?", lächelte er und Ty nickte.

    "Okay, Leute!", hörten sie Nellie dann rufen, die in die Hände klatschte. "In die Wagen! Fünf Minuten bis zum Start! Hopp, hopp!!" Innerhalb von Sekunden löste sich die kleine Party auf, fiel regelrecht in sich zusammen. Sämtliche Fahrer, entweder mit ihren Begleitungen oder eben allein, eilten zu ihren Fahrzeugen. Einige Mädchen blieben dabei übrig, aber das war offenbar Teil des Ganzen, denn sofort begannen sie ein aufgeregtes Kreischkonzert und begannen bereits jetzt vor dem Start, ihre Favoriten anzufeuern. Auch einige Jungs blieben zurück und stiegen in das Anfeuern ein, verzichteten jedoch auf die Teilnahme am Kreischen. Die Motoren, die nicht ohnehin schon liefen, erwachten einer nach dem anderen zum Leben und die Autos wurden in Position gebracht. Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ Ashitaka Khi wieder einsteigen und fuhr dann zur Startlinie vor - die sich genau vor dem Eingang zur ersten Lagerhalle befand. Offenbar würde man dort hinein fahren. Ty, der in seinem roten Wagen neben ihnen zum Stehen kam, ließ das Fenster herunterfahren. "Viel Glück! Und Khi... genieß den Ritt!", lachte er, dann trat Nellie vor sie alle hin. Man hatte eine kleine Schneise für sie gelassen, damit sie den Start anzählen konnte ohne überfahren zu werden. "Zehn, neun, acht...", begann sie mit lauter Stimme zu zählen und Khi konnte spüren, wie Ashitaka sich neben ihr straffte. Seine Hände umfassten das Lenkrad fester. "... sieben, sechs, fünf, vier..." "Du musst mir vertauen, okay? Egal, was du siehst", sagte Ashitaka plötzlich zu Khi ohne sie anzusehen. Sein Blick blieb nach vorne ausgerichtet. "... drei, zwei, eins, GO!!" Bei diesem Wort wurde Khi quasi in ihren Sitz zurückgepresst, als Ashitaka Gas gab. Neben ihr schossen die Autos los, in die Halle hinein und so tat es auch Ashitakas Honda, dessen wahre Kraft sie bisher offensichtlich noch nicht einmal ansatzweise kennen gelernt hatte.

    Ashitaka hatte sich auf das Sofa sinken lassen, während er auf Khi'LeisaH wartete und lümmelte dort nun herum, ein Sinnbild lässiger Eleganz. Er hatte die Beine von sich gestreckt, lag jedoch so, dass seine Schuhe, die er dafür nun nicht abgestreift hatte, den Stoff nicht berührten. Die Arme hatte er hinter den Kopf genommen und sah zur Wendeltreppe, als der Schrei von oben kam. Das brachte ihn zum Schmunzeln. "Also, ich leg mich bestimmt nicht für dich mit deinem Dad an!", rief er zurück. "Ich bin in keiner Verfassung, um gegen einen ausgewachsenen Klingonen anzutreten!" Zumindest so viel gesunden Menschenverstand und Eigenwahrnehmung hatte er. Seine Talente waren ihm wohlbekannt und der Nahkampf gehörte ganz sicher nicht dazu. Noch immer erinnerte er sich mit Unbehagen an die wenigen Unterrichtsstunden, die er als Kind mit seinen Eltern darin hatte durchlaufen müssen. Wie das Ganze ein Ende gefunden hatte, wusste er nicht mehr so recht, aber er ging davon aus, dass er ihnen einfach irgendwann mit seiner Nörgelei so sehr auf die Nerven gegangen war, dass sie es gelassen hatten.

    Das kurze Aufblitzen einer Erinnerung verflüchtigte sich allerdings, als er Khi die Treppe runterkommen hörte und schließlich einen Blick auf sie werfen konnte. Kurz weiteten sich seine Augen, er schwang die Beine von der Couch herunter, setzte sich gerade hin und stand dann quasi in derselben Bewegung auch schon auf, um langsam auf sie zu zu gehen. Dabei wanderte sein Blick unweigerlich über das junge Mädchen in diesen Kleidern. "Wow...", sagte er leise. "Wann bist du denn so richtig erwachsen geworden? Mein Bruder weiß definitiv nicht, was er verpasst", schmunzelte er sachte. Er wusste, es war kein allzu schönes Thema für Khi, aber genau darum lachte er dabei. Es würde sicherlich leichter für sie sein über diese Schwärmerei hinweg zu kommen, wenn man es nicht zu bierernst nahm.

    "Jedenfalls ist es nicht zu heftig, die Mädels dort sind alle ähnlich gekleidet." Was man so unter 'gekleidet' verstand. "Wenn du nichts dagegen hast, werde ich den Kerlen, die dich zu lange anstarren, allerdings mitteilen, dass du gerade 15 bist und sie sich woanders abreagieren sollen", schlug er vernünftigerweise vor. Er konnte darauf verzichten, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, dass Khi'LeisaH von irgendeinem Rennfahrer gestalkt wurde. Während er noch sprach, steuerte er bereits mit langen Schritten die Tür des Lofts an, denn es wurde allmählich Zeit, wenn sie den Start nicht verpassen wollten und da sie sich ebenso gut auf dem Weg unterhalten konnten, hatte er nicht vor noch länger zu warten.

    Als sie aus dem Aufzug ausstiegen, der sie nach unten gebracht hatte, traten sie gemeinsam raus auf die belebten Straßen New York Citys. Khi'LeisaH würde dabei, trotz aller Geschäftigkeiten, sicherlich leicht der blaue Honda auffallen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt war und den Ashitaka zielstrebig ansteuerte. Ein hübsches Ding war dieser Sportwagen, mit Sicherheit sogar, und gut gepflegt obendrein. Auf einen Knopfdruck antwortete dieser per Lichtsignal und zeigte ihnen damit an, dass sie einsteigen konnten. Ganz der Gentleman, der er zumindest zu sein vorgab, öffnete Ashitaka dem Mädchen die Tür und machte einen recht übertriebenen Diener. Er hatte jedoch die Gabe, auch bei eher affektierten Bewegungen noch eine gewisse Eleganz auszustrahlen. "Prinzessin von Tron'Jenar... Ihr Wagen", proklamierte er dabei und grinste sie von unten herauf an.

    Ashitaka nahm das Glas entgegen, als sie es ihm rüber schob und nickte ihr dankend zu. Bei ihrer Frage hob er erneut einen Mundwinkel. Ob er ein Auto hatte? Innerlich lachte er auf, doch das drang nicht nach außen. Nur in seinen Augen konnte sie ein kurzes, amüsiertes Funkeln sehen. "Allerdings hab ich ein Auto", grinste er. "Ist nicht mehr so üblich, wie noch vor ein paar Jahrhunderten, aber du wärst doch überrascht, wie viele Leute noch an Autos schrauben. Ich hab's von meinem Vater gelernt, er hat schon seit ewigen Zeiten eine Schwäche für alte Rennwagen und als Kind hab ich ihm in seiner Werkstatt zugeschaut. Irgendwann hab ich dann angefangen, mitzumachen und wenn wir uns beide mal zufällig bei der Werkstatt treffen, arbeiten wir heute noch zusammen. Ein trautes Vater-Sohn-Ding", grinste er. "Hier in New York hab ich dann festgestellt, dass die Szene doch um einiges größer ist, als ich gedacht hab. Auch in Japan hätte ich das vermutlich entdecken können, aber da ich mich immer so weit von Japan ferngehalten habe, wie es irgendwie ging, hab ich das damals noch nicht ausgekundschaftet. Heute würde ich auch dort Rennen fahren", meinte er und zuckt leicht die Achseln.

    Während er seinen kleinen Monolog gehalten hatte, hatte Khi ihm ruhig zugehört und ihren Saft getrunken. Bei ihrer Ankündigung sich jetzt umziehen zu wollen, wollte er schon schlicht nicken, als sie diesen kleinen Nachsatz brachte. Schnaubend lachte er in das Glas hinein, das er gerade an die Lippen geführt hatte, doch bevor er etwas dazu sagen konnte, war sie auch schon entfleucht. Mit einem breiten Grinsen sah er ihr nach und dieses Grinsen wurde nur noch vertieft, als er sie oben mit sich selbst schimpfen hörte. Er konnte zwar nicht genau verstehen, was sie sagte, aber hier es war still genug, sie laut genug und seine Ohren empfindlich genug, um zumindest den Tonfall einordnen zu können. "Danke!!", rief er ihr nachträglich hinterher und lachte dann leise für sich. Immerhin - vor ein paar Wochen hatte sie noch auf seinen Bruder gestanden. Ob ihn das amüsieren oder beunruhigen sollte, wusste er gerade nicht so genau, aber er verscheuchte den Gedanken ohnehin wieder aus seinem Kopf. Es spielte sowieso keine Rolle, schließlich hatte er Mariko.

    Ashitaka erwiderte die Umarmung, als Khi herankam und ihn so begrüßte. Auf ihren folgenden Redefluss war er allerdings nicht gefasst und seine Brauen wanderten immer höher, während er zuhörte. Irgendwann lachte er leise, als er die Chance bekam und sie sich selbst die Luft zum Weitersprechen nahm, indem sie von dem Saft trank. "Okay, hier ist noch ein Tipp: Wenn du eine Frage stellst, gib deinem Gegenüber ein paar Sekunden, um dir darauf zu antworten, bevor du die nächste Frage anschließt", grinste er breit. "Zu all deinen Fragen... ja, ich würde gern was trinken und schließ mich bei dem Saft einfach an. Nein, ich habe nicht gewusst, dass deine Mum einen Kleiderschrank oben hat, wie du schon selbst bemerkt hast, aber wenn er was Ledriges beinhaltet, würde es für heute nicht schaden. Wenn nicht, ist auch nicht schlimm. Eigentlich kannst du anziehen, was du willst, aber du würdest zumindest... ins Bild passen. Oh, und danke für das Kompliment", schmunzelte er. Wie Khi'LeisaH sicherlich schon bemerkt hatte, trug auch er Lederhose und -jacke sowie darunter ein schlichtes weißes Shirt. "Und was wir machen... tja, um sieben treffen wir uns im Sally's mit meiner Freundin Mariko. Wir sind Stammkunden dort... wie viele andere Studenten der Juilliard auch. Ich denke, es wird dir gefallen. Es gibt immer interessante Leute zu sehen, gute Musik zu hören... und Mariko freut sich drauf, dich kennen zu lernen." Dass sie gerade nicht in bester Stimmung war, verschwieg er. Es war sowieso nicht wichtig für Khi. Mariko würde sich schon zusammenreißen, wenn sie beide nicht alleine waren. "Aber für die Zeit vorher...", fuhr er fort und lächelte ein wenig geheimnisvoll. "... hab ich mich gefragt, ob du schon mal bei einem Autorennen mitgemacht hast? Wenn nicht, dann mach dich auf was gefasst... ich dachte, ich nehm dich heute mal mit zu diesem kleinen... Event." Er zwinkerte ihr zu.

    Ashitaka wich unweigerlich von der Sprechanlage zurück, als er plötzlich Khis schreiende Stimme vernahm, die ihm das doch recht Offensichtliche mitteilte. Woah... wenn man eine 15-Jährige mal von zu Hause raus ließ. Er musste grinsen bei diesem Gedanken, da er schließlich so viel älter mit seinen 17 Jahren selber noch nicht war. Aber immerhin hatte er Erfahrungen in New York gesammelt.

    Als die Tür sich öffnete ging er zu diesem alten Ungetüm, das sich einen Aufzug schimpfte und kletterte hinein. Er schnaubte. "Ehrlich... entweder jemand steht auf Retro-Charme oder das Ding hier hat tatsächlich den 3. Weltkrieg überstanden...", murmelte er, fühlte sich ad hoc wie ein Snob und war vermutlich auch einer, bekam dann aber einen Quergedanken, der ihn noch ein wenig breiter grinsen ließ und amüsierte sich über diesen bis der Aufzug ihn schließlich ruckelnd und rumpelnd bis nach oben transportiert hatte.

    Als Ashitaka die Tür dieser wundersamen Maschine jedoch öffnete, wehte ihn die Lautstärke der Musik fast an die Hinterwand zurück. Angewidert verzog er das Gesicht. Er hasste zu laute Musik. Es war wie überwürztes Essen oder Parfum, von dem man zu viel aufgetragen hatte - es ruinierte den Genuss. Irgendwann war es nur noch Krach, zumindest seines Empfindens nach, der er sich auf einer ganz eigenen und sehr intensiven Ebene mit Musik befasste. Den Drang, sich die Ohren zuzuhalten, unterdrückend, quälte er sich schließlich aus dem Aufzug hinaus. Gerade hatte er nicht so einen wirklichen Blick für seine Umgebung, da er das dringende Bedürfnis hatte, die Verursacherin dieser Lärmbelästigung zu finden, damit sie deren Quelle beseitigen konnte.

    Und so kam er wohl auch an der Küche vorbei und sah Khi'LeisaH in dieser herum tanzen. Unweigerlich hielt er inne und unterdrückte ein Lachen. Statt sie zu rufen beobachtete er sie eine Weile und suchte nebenbei ein Terminal, über welches er Zugriff auf den Computer bekommen konnte. Es war nicht sonderlich schwierig, ein solches auszumachen und er wartete bis das Lied zu Ende war, bevor die Musik für das Mädchen sehr abrupt verstummen dürfte und es einen Moment nahezu unheimlich still wurde. Nach einem Herzschlag wurde die laute Stille jedoch durch ein langsames Klatschen ersetzt. So Khi'LeisaH sich danach umsah, konnte sie Ashitaka erspähen, wie er lässig an die Wand gelehnt am Kücheneingang stand und ihr applaudierte. "Schöne Tanzeinlage...", lobte er sie grinsend. "Nur ein paar Anmerkungen... erstens solltest du dich vergewissern, wer vor deiner Tür steht, bevor du sie öffnest, wenn du nicht im Schlaf ermordet werden willst und zweitens... solltest du zu Musik tanzen, die den Namen auch verdient. In einem schönen Kleid, an einem passenden Ort, zu guter Musik, weißt du? Und nicht zu diesem... Krach." Wieder verzog er das Gesicht und gab sich diesmal mit voller Absicht versnobt. Dann stieß er sich von der Wand ab und kam lächelnd auf sie zu. "Schön, dass du da bist, Khi..."

    Während Ashitaka aus dem Fenster seines Gästequartiers auf der HTC Tron'Jenar K'tarr II starrte und dabei zusah, wie die Erde sich immer weiter aus seinem Blickfeld entfernte, spürte er dem beißenden, stechenden Schmerz nach, der sich seit zwei Tagen durch seine Brust zu wühlen schien. Die Übelkeit wollte kaum nachlassen und entsprechend hatte er kaum einen Bissen zu essen angerührt in all der Zeit. Allein der Gedanke daran ließ in ihm einen leichten Würgereiz entstehen und alles gute Zureden seiner Familie half nicht. Aber immerhin konnte er schlafen, seitdem er seine Eltern an Bord des Schiffes wusste. Warum genau das so war, wusste er nicht und es interessierte ihn auch nicht. Er war nur erleichtert, dass die Schlaflosigkeit der ersten Tage sich verflüchtigt hatte und dass er schlafen durfte ohne Albträume von dem schrecklichen Anblick zu haben, den Marikos Leiche geboten hatte, als er und Khi'LeisaH sie vor zwei Tagen gefunden hatten. Seitdem war nichts mehr wie es in seiner kleinen eigenen Welt gewesen war. Er und Mariko waren seit etwas mehr als einem Jahr zusammen gewesen, hatten zusammen gewohnt und zusammen gearbeitet. Ebenso ein Naturtalent an der Violine wie er es am Klavier war, hatten die beiden schnell Aufmerksamkeit an der Julliard, der besten Musikschule New Yorks, errungen und waren als Duettpartner in einigen Konzerten aufgetreten, die die Schule für sie organisiert hatte. Sie und die Musik waren seit seinem Auszug von zu Hause alles gewesen, womit er sich wirklich beschäftigt hatte und vor einigen Tagen war die schlimmste Katastrophe in seinem Leben noch gewesen, dass Mariko sich künstlerisch und privat umorientieren wollte und mit diesem Harfenspieler Gordon Moore geschlafen hatte. Und nun war sie tot. Ermordet von Leuten, die sie für Khi'LeisaH gehalten hatten...
    Khi'LeisaH. Die liebe Khi. Jähes Mitleid stieg in ihm auf, als er an sie dachte. Seitdem man sich sicher sein konnte, dass sie das eigentliche Opfer der Attacke hatte sein sollen und Mariko nur gestorben war, weil sie zufällig in ihrem Loft übernachtet hatte, war sie ein Nervenbündel gewesen. Ashitaka hatte vor ein paar Stunden nach ihr sehen wollen, aber er war wieder weggeschickt worden, weil sie das Mädchen durch gutes Zureden und leichte Medikation endlich zum Schlafen gebracht hatten. D'Ankwar hatte ihm gesagt, dass er auf Besserung hoffte sobald Khis Mutter Nina zu ihnen stoßen würde und so war der Junge unverrichteter Dinge wieder in seine kleine eigene Höhle zurückgegangen, hatte sich eingeschlossen und den Abflug von Terra beobachtet. Sie waren nun auf dem Weg nach Auriga II. Nach Tron'Jenar, wo Khi'LeisaH zu Hause war. Zum Shepard Space Center, wo Ashitakas Mutter stationiert war und wo er fürs Erste wieder einziehen würde. Wie genau es weitergehen sollte in den nächsten Wochen, das wusste bisher noch niemand. Er am allerwenigsten.
    Terra war inzwischen nicht mehr zu sehen und seufzend wandte sich Ashitaka vom Fenster ab und strich sich mit beiden Händen durchs Gesicht und das Haar entlang. Er stand auf und begann langsam auf und ab zu gehen, während die Gedanken in seinem Kopf wild durcheinander wirbelten. Wie hatte es nur soweit kommen können? Zu Beginn dieser Woche war sein größtes Problem ein unvollendetes Musikstück gewesen. Das und die Frage, wie Mariko wohl auf Khi'LeisaH reagieren würde, die zum Urlaub machen in das Loft ihrer Mutter in New York gezogen war und sich von Ashitaka die Stadt zeigen lassen wollte. Da Mariko in der letzten Zeit recht launisch gewesen war, hatte Ashitaka keine Ahnung gehabt, wie sie es wohl finden würde, dass ein fremdes und zweifellos sehr hübsches Mädchen mit ihm durch die Stadt ziehen wollte. Und während er im Quartier seine Runden drehte, dachte er an diese Anfänge zurück...


    **** Eine Woche zuvor ****


    "Ash, warum sollte ich ein Problem damit haben?", tönte Marikos Stimme vom Bad aus durch die kleine, aber elegante Wohnung, die sie sich in Manhattan teilten. Ashitaka sah von seinen Noten auf, die er gerade korrigierte. Die Harmonien taugten so noch nichts. Sein Gefühl sagte ihm deutlich, wie die Musik klingen sollte, aber es fiel ihm heute schwer sein Gefühl in Noten zu fassen. Unweigerlich musste er an zwei Schriftsteller-Freunde denken, mit denen er hier in New York ab und an was trinken ging und die immer wieder darüber seufzten, dass ihnen zuweilen alle Worte im Weg standen bei dem, was sie eigentlich ausdrücken wollten. Ashitaka konnte dieses Gefühl zur Zeit gut nachvollziehen. Bei Marikos Frage wurde er allerdings von seinem Vorhaben abgelenkt und der junge Mann hob eine Braue. "Ich weiß nicht... ist es so lächerlich zu denken, dass es dir was ausmachen könnte?", forschte er nach. "Ja!", rief Mariko zurück. "Denkst du, ich bin eifersüchtig? Ich bitte dich... sie ist knapp 15 und das erste Mal von zu Hause weg, wenn ich dich richtig verstanden hab. Vermutlich ist sie so schüchtern, dass sie den Mund nicht aufkriegt." Ashitaka lachte nun auf. "Du kennst offensichtlich die Tron'Jenar-Leute nicht, Rika", antwortete er. "Ich hab noch niemanden aus dieser Familie getroffen, der Angst davor gehabt hätte, die Zähne auseinander zu kriegen. Aber sei's drum. Umso besser, wenn's dich nicht stört. Kommst du später dazu? Ich wollte mit ihr im Sally's zu Abend essen." Das Sally's war ein kleiner, aber feiner Künstlertreff, in dem sich viele der Studierenden der Julliard nach getaner Arbeit trafen. Sie beide gehörten dort ebenso zu den Stammgästen.
    Mariko trat aus dem Bad hervor, das Haar in einem Handtuch nach oben gebunden. Kurz schien sie nachzudenken. "Hmm... ich hab Unterricht", erwiderte sie. Ashitaka sah sie an und konnte es nicht verhindern, dass sich ein wenig Frust in seine Augen schlich. "Ach, komm schon, Rika... du hast heute Abend keinen Unterricht mehr. Da sind längst alle Veranstaltungen zu Ende. Wenn du proben willst um die Zeit, dann ist es doch nur dein Privatvergnügen und wir können das auf morgen verschieben und dann zusammen üben. Vielleicht hat Khi ja Lust dabei zu sein." Er stand von seinem Klavierhocker auf und trat an sie heran. "Hmm? Was sagst du? Bitte?" Probehalber versuchte er es mit einem Lächeln. Mariko sah ihn an und hob einen Mundwinkel. "Sieh mich nicht so an...", grinste sie. "Oh, na schön. Ich komm später zu Sally's und lern deine Freundin aus dem weiten, weiten Universum kennen. Gut? Aber was soll sie bei den Proben tun? Die Triangel schlagen?", grinste sie und wandte sich von ihm ab, um ins Schlafzimmer zu gehen. Sie war noch immer im Bademantel und wollte sich etwas anziehen. "Sei nicht so fies", erwiderte Ashitaka. "Vielleicht hat sie Lust zuzuhören. Dir zuzuhören ist doch immer ein Erlebnis...", lächelte er, während er an sie herantrat. Er streckte die Arme nach ihr aus, um sie an sich heranzuziehen, doch Mariko entzog sich ihm und öffnete den Kleiderschrank. "Schleimer", kommentierte sie das Kompliment trocken. "Du hörst dich doch am liebsten selber spielen." Ashitaka zog die Brauen zusammen. "Was soll das denn heißen? Du weißt, ich hab dir immer liebend gern..." "Jaja", unterbrach sie ihn. "Schon gut. Sorry. Ich weiß." Sie wandte sich ihm nun zu und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn sofort wieder versöhnlicher stimmte. "Und jetzt geh schon los, es ist fast vier. Hast du nicht gesagt, du wolltest sie um vier abholen? Nicht, dass sie noch Angst in der großen Stadt bekommt, wenn du nicht pünktlich bist...", scherzte sie und Ashitaka griff nach seiner Lederjacke und zog sie über. "Du hast recht", nickte er. "Auch wenn ich nicht glaube, dass sie Angst bekommt, aber Pünktlichkeit ist eine Tugend, die man eingeimpft bekommt, wenn man bei Offizieren aufwächst... bis später", schließt er die Verabschiedung gleich an und haucht ihr immerhin einen leichten Kuss auf. "Um sieben im Sally's, ja? Ich freu mich!", rief er noch, dann drehte er sich auch schon um und verließ die Wohnung. Draußen schloss er seinen Honda NSX auf und stieg ein. Ein alter Sportwagen aus dem 21. Jahrhundert in blauer Metallicfarbe, den er gemeinsam mit seinem Vater für ihn wieder flott gemacht hatte. Ihre Schwäche für alte Rennwagen war eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen Vater und Sohn. In diesem Jahrhundert war es eher ungewöhnlich, dass man einen so alten Wagen noch auf den Straßen der Großstadt sah, doch das war Ashitaka reichlich egal. Wenn sie in Japan wieder mit Katanas und Pferden durch das Land ziehen konnten, dann konnte er seinen Honda in New York City fahren.
    Schnell hatte der junge Musiker das Gebäude erreicht, in dem Khi'LeisaH wohl vor wenigen Stunden angekommen war. Er parkte sein Auto am Straßenrand und stieg aus, sah daran empor. Er grinste leicht. Es hatte Charakter, das musste er zugeben. Langsam und mit lässigem Schritt ging er zur Haustür und betätigte die Klingel für das Loft. Gespannt, ob Khi wohl angekommen war und ihm öffnen würde.