Beiträge von Iman'Dra joH

    Iman'Dra sah von den Zinnen der Feste Tron'Jenars hinab über den Innenhof und das so vertraute Umland, wie sie es eh und je getan hatte. Das Tageslicht war bereits beinahe zur Gänze geschwunden und immer wieder erkannte man Fackelzüge, Lichter aus der Ferne, denen die Tore der Feste geöffnet wurden. Die Präfekten und andere geladene Gäste reisten von allen Teilen des Kontinents her an, um den neuen Kindern der Fürstenfamilie die Ehre zu erweisen. Morgen Abend um diese Zeit würde das große Fest für die Prinzen und Prinzessinnen in vollem Gange sein. Ein Fest, für das sie das Nötigste getan und als Herrin der Feste ihre Pflicht verrichtet hatte. Ein Fest aber, dem sie wohl selbst fernbleiben würde. Noch haderte sie mit sich, was diese Frage anging. Immerhin war eine dieser neuen Prinzessinnen ein Mädchen, das offiziell ihre Enkeltochter sein würde. Ein adoptiertes Waisenkind, bereits zehn oder elf Jahre alt, das Dara'Jan und Adina als ihre eigene Tochter anzunehmen wünschten. Eine noble Geste, ein großer Schritt, der den Idealen des Hauses mehr als nur entsprach, das wusste sie sehr wohl. Etwas, worauf man stolz sein müsste.


    Und doch fühlte Iman'Dra in ihrem Inneren keinerlei Widerhall, wenn sie daran dachte. Wie es dieser Tage auch mit allem anderen zu sein schien, was sie früher berührt, sie stolz und froh gemacht hätte. Das Wachsen der Familie. Corums erstes Kind, ihren Neffen, den sie immer so besonders geliebt hatte. Selbst der alte Mogh'Tar würde nun offiziell ein Vater sein, wenngleich die Wahl der Mutter ein wenig... gewöhnungsbedürftig sein mochte, bedachte man, dass es sich offiziell um seine Großnichte handelte, wenn die beiden auch keinerlei Blut teilten. Und doch hatte sie auch Mogh'Tar immer geliebt, ihn als einen besonderen Freund gesehen, mit dem der Streit immer eher liebevoll und neckend gewesen war. Es gab etwas in ihr, das sich für ihn freuen wollte. Und für Corum, der so lange alleine gewesen war und jetzt eine Frau gefunden zu haben schien, die ihn glücklich machen konnte. Für D'Ankwar und Nina, denen viele Enkelkinder geschenkt wurden. Ein Teil von ihr sehnte sich danach, den Schritt hinein zu machen in das Licht und die Feuer der Großen Halle. Zurück in eine Position ehrlichen Respekts. Zurück in die Mitte der Familie.


    Ihr Gesichtsausdruck verschloss sich, sie presste die vollen Lippen zusammen, um ein schmerzhaftes Knurren in ihrer Kehle zu unterdrücken, als ihre Gedanken an diesem Punkt angekommen waren. Langsam, beinahe schwerfällig wandte sie sich schließlich von ihrem Platz an den Zinnen ab und stieg die Stufen ins Innere der Feste hinunter. Sie fühlte sich ausgelaugt, alt gar. Etwas, das ihr ein verächtliches Schnauben entlockte, als sie sich dessen bewusst wurde. Nicht einmal die Hälfte der Jahre, die sie leben konnte, hatte sie bereits hinter sich gebracht und aus purem Willen heraus straffte sie ihre Haltung, als sie weiter in die Feste hineinging, diese durchquerte, um schließlich aus einer Seitentür heraus nach draußen zu treten. Sie gestand sich keine Schwäche zu, schon gar nicht vor den Augen der Feste, die ihrer Herrin beständig folgten und nur darauf lauerten, einen schwachen Moment zu erhaschen, den sie gegen sie nutzen konnten. Nein, diesen Gefallen würde sie ihnen nicht tun. Noch war sie die Herrin dieser Burg, die Schwester des Epetai und eines der hohen Mitglieder der Fürstenfamilie Tron'Jenar, zudem eine gestandene Kriegerin, die ihr Gesicht zu wahren hatte, koste es, was es wolle. Selbst in ihren privaten Gemächern nahm das Gefühl, beobachtet zu sein, mehr und mehr zu in den letzten Wochen und so gab es nur einen Ort, an dem sie das Gefühl hatte, wahrlich sie selbst sein zu können. Fort von allen Augen und Ohren, von allen Fingern, die hinter ihrem Rücken auf sie zeigten und allen Stimmen, die im Schatten über sie flüsterten. Sie wusste sehr wohl, dass es all dies gab seitdem sie bei der Familie in Ungnade gefallen war.


    Ihre Schritte führten sie wissend und sicher an den Hauptwegen des Innenhofes vorbei, wo noch immer reger Betrieb herrschte und durch ein Nebentor in den Mauern hinaus auf das angrenzende Land. Ein Pfad, den sie früher sehr oft benutzt hatte, als sie sich noch aus der Feste hatte hinaus- und hineinschleichen müssen, damit ihr Bruder nichts von ihrer heimlichen und damals verbotenen Beziehung zu Henry mitbekam. Mehr als ein Vierteljahrhundert war seit jenen Tagen vergangen und doch fühlte sie noch immer einen Hauch von Leben und Freiheit, wenn sie jenen alten Weg benutzte, um sich davonzustehlen. Und auch heute trugen ihre Füße sie hinab an den Waldrand - doch im Gegensatz zu damals wartete heute dort nichts auf sie. Keine kleine, erleuchtete Schmiede, kein Lagerfeuer vor dem Häuschen, keine Holzstämme, auf denen der alte Schmied gesessen und seine Pfeife geraucht hatte. Keine Bilder aus Rauch, die seine Magie ihr hatte entgegenwehen lassen, sobald er ihre Gegenwart gespürt hatte. Keine weiße Wölfin, die, ihm zu Füßen, auf sie gewartet hatte. Nicht einmal mehr das Haus stand noch an der Stelle, an der es einst gewesen war. Alles hier, früher eine ganz eigene Welt und für viele Jahre ihr geliebtes Zuhause, war heute dunkel, tot und kalt.


    Still überquerte sie den Platz und ging noch ein Stück weiter in den Wald hinein bis sie unter einem der ältesten Bäume innehielt und sich langsam auf eine seiner mächtigen Wurzeln niederließ. Vor ihr, schon ein wenig verwittert und von der Natur gezeichnet, ragte ein kleines Steinkreuz aus dem Boden auf, welches sie vor beinahe 19 Jahren an dieser Stelle aufgestellt hatte. Zwar hatte es keinen Leichnam Henrys gegeben, den man hätte bestatten können, aber sie hatte damals getan, worum er sie gebeten hatte und seinen uralten Templer-Mantel und sein Schwert an dieser Stelle begraben. Es war das Nächste zu einer Gedenkstätte, was sie seit der Vernichtung der Schmiede noch hatte und in der Stille der aufkommenden Nacht lehnte sie ihren Kopf an die raue Rinde des Baumstammes an und streckte die Hand aus, um das steinerne Kreuz mit den Fingerspitzen zu streifen. Müde schloss sie die Augen und stellte sich vor, wie das Feuer der Schmiede sich auf ihrer Haut anfühlen würde, wie sich jener schwere Mantel, der hier begraben lag, um ihre Schultern legte. Eine kurze, flüchtige Erinnerung verriet ihr noch einmal etwas von Henrys Duft, eine fließende Ahnung nur, die so schnell verging, wie sie gekommen war.


    "Ich habe an dir versagt...", sprach sie schließlich leise in die Dunkelheit hinein. "Alles, was ich nach deinem Tod wollte, war dafür zu sorgen, dass dein Vermächtnis am Leben bleibt. Dass sie verstehen, wer du wirklich gewesen bist. Dass sie das ganze Bild sehen. Ich bin keine Närrin, Henry... ich weiß, was du getan hast. An mir, an Anderen. Ich habe es schon gewusst, als du noch hier warst. Nicht alles... nein. Du hattest deine Geheimnisse, auch vor mir, auch ganz am Ende noch. Dein größtes und schrecklichstes verfolgt mich noch heute. Aber... ich weiß auch, dass du mehr warst als das. Viel, viel mehr. Ich habe dich gesehen... genug, um dir zu helfen, einen Fluch zu brechen, der mehr als ein Jahrtausend lang bestanden hat, auch... auch wenn das bedeutet hat, dass du fortgehen musstest. Ich weiß, wie tief du geliebt hast. Wie tief du bereut hast. Dass deine Magie nicht nur Böses und Dunkles, sondern Wundervolles zustande bringen konnte. Dass du mehr warst als all die schrecklichen Taten, die sie alle konsequent an ihren Fingern abzählen bis diese bluten. Und ich... ich habe versucht, es ihnen zu sagen. Wieder und wieder. Es IHR zu sagen. Ihr klar zu machen, was für ein besonderes Wesen sie ist. Dass sie aus unserer Liebe und deinen Gebeten entstanden ist und dass es dein letzter Wunsch war, dass es sie geben mag. Dass du sie mehr geliebt hättest als ich je für sie in Worte habe fassen können. Dass sie stolz sein kann auf ihren Vater, auf ihr Blut, auf einen Mann, der vielleicht ein grausames, aber auch ein im gesamten Universum einzigartiges Leben gelebt hat. Sie war ein Wunder... und als sie noch ein Kind war, eine kleine Feengestalt, da hatte sie es verstanden. Das in ihren Augen zu sehen, war mein einziger Trost. Ich konnte dich sehen in ihren Augen, Henry... und wusste, dass es noch einen Sinn hatte, dass ich nach dir hier zurückgeblieben bin. Und jetzt..."


    Iman'Dra hielt inne, öffnete die Augen und starrte einen langen Moment blicklos ins Leere. Wären ihr Tränen gegeben, vielleicht würden sie jetzt fließen. Doch selbst für ein Knurren oder Schreien fühlte sie sich gerade zu leer und taub. Und müde. So, so müde. "Jetzt haben andere Stimmen die meine in ihr überschrien. Lilith trägt ihren Rachenfeldzug an dir über Dara'Jan aus und hat alles zerstört. Und ich sage nicht, dass sie nicht ein Recht hat, wütend auf dich zu sein. Dich vielleicht sogar zu hassen. Ich gestehe ihr zu, dass sie dir niemals vergeben muss für das, was du an ihr verbrochen hast. Aber sie hat kein verdammtes Recht dazu, Dara'Jan in ihre Entscheidungen hineinzuziehen! Dies ist ihre Geschichte, nicht die unserer Tochter... und nun hat sie ihr eingeredet, dass es ein Glück für sie ist, dass sie dich nie kennen lernen konnte! Sie nennt sie 'die Unberührte', weil sie vor deinem Zugriff bewahrt wurde und verdreht ihr mit ihrem Hass die Sinne! Wie Dara'Jan vor mir stand... so rechtschaffend, so überzeugt von all den Parolen und die Worte, die aus ihrem Mund kamen, waren nichts anderes als Liliths tausend Jahre alte Geschichten, geistlos wiederholt in ihrer eigenen Idee von Schwarz und Weiß und ich... ich kann ihr nicht vergeben, dass sie sich so einfach von dir abwenden kann... ohne dich auch nur zu kennen. Ich kann es nicht. Und so lange ich es nicht kann, so lange wird die Familie mich verachten. Das weiß ich. Ich kenne sie alle lange und gut genug. Und du... du hast es schon damals gewusst... dass sie mich, dass sie uns nicht verstehen, nicht wahr? Als sie uns verbieten wollten, zusammen zu sein..."


    Iman'Dra erinnerte sich lebhaft an diese Zeit. Gerade erst waren sie auf Auriga angekommen, hatten die Feste erbaut, Tron'Jenar hatte noch in den Kinderschuhen hier in der Föderation gesteckt... und es hatte D'Ankwar nicht gefallen, dass seine neue, junge Schwester, die frisch ernannte Herrin der Feste, mit dem eher argwöhnisch betrachteten, undurchsichtigen und einzelgängerischen, wenngleich genialen Schmied anbandelte, der als Verwandter seiner ersten Frau seinen Weg ins Haus gefunden hatte. Viel später erst hatte sie herausgefunden, dass er niemals mit dieser Frau verwandt gewesen war, ohne dass es noch eine Rolle für sie gespielt hätte. Sie war ihm längst verfallen gewesen. "Du hast mir angeboten, meinen Bruder zu töten, weil er uns nicht gestatten wollte, zusammen zu sein...", flüsterte sie. "Und heute würdest du es wieder tun, würdest du noch leben und sehen, dass sie mich alle schneiden trotz all der Jahre zusammen... und wieder würde ich dir sagen, dass du es nicht tun sollst, weil ich D'Ankwar und den Anderen zu viel verdanke. Und weil... weil ich sie alle noch immer liebe... auch wenn sie mich für eine Verrückte halten. Aber es... es wäre schön zu wissen, dass es noch jemanden gäbe, der hinter mir steht, wenn du noch bei mir wärst..." Es war besonders die Einsamkeit der letzten Wochen und Monate, die ihr langsam aber sicher zuzusetzen begann. Es gab in der gesamten Feste niemanden, der nicht zu Dara'Jan halten würde in dieser Sache und das wusste sie. Wie könnte sie auch nicht? Es war ihr von ihnen allen durchaus eindrucksvoll demonstriert worden. Aber sie konnte einfach nicht nachgeben. Es wäre ihr wie ein letzter, finaler Verrat an ihrem Mann vorgekommen.


    Lange Minuten schwieg sie, wissend, dass kein Wunsch und keine Sehnsucht es schaffen konnten, Henry wirklich wieder bei ihr sein zu lassen. Wenn sie eines gelernt hatte in den letzten fast zwanzig Jahren, dann war es mit Sicherheit das gewesen. "Morgen Abend findet seit langem wieder ein Fest in den Mauern Tron'Jenars statt", sprach sie schließlich leise weiter. "Der kleine Corum hat einen Sohn... und selbst Mogh'Tar ist Vater geworden. Und auch unsere Tochter hat mit ihrer Frau noch ein Mädchen adoptiert... eine zweite Enkeltochter für uns, egal, wie die Dinge stehen. Sie ist, was sie ist. Die Familie wächst und es wird gefeiert. Alle werden da sein. Und ich fühle mich nicht nach einer Feier, aber... ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser Abend entscheidend sein wird. Es ist so eine dumme Ahnung... als könnte der morgige Abend noch einmal dafür sorgen, dass sich der Wind dreht, der Kurs ändert... ich weiß nicht, in welche Richtung, aber... so, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben." Sie atmete tief durch. Es war ihr, als läge ein schweres Gewicht auf ihrer Brust und egal wie, es wurde Zeit, dieses Gewicht loszuwerden. Langsam stand sie auf und sah noch einmal lange auf das Kreuz hinab, bevor sie auf ein Knie hinabging, sich vorneigte und den moosbedeckten Stein mit den Lippen berührte, ihn küsste. "Ich liebe dich", hauchte sie. "Ich werde dich immer lieben. Es ist mir egal, was sie sagen, was sie denken... ich liebe dich." Und dann wandte sie sich um und ging bedächtigen Schrittes zur Festung zurück, wo sich der Tumult inzwischen beruhigt hatte und die Nachtruhe eingekehrt war. Auf dem gleichen Schleichweg wie zuvor betrat sie das Gelände und verschwand nach oben in ihre Gemächer.

    "Wäähh? Was soll das heißen... 'Wäähh'?!", empörte sich Iman'Dra gespielt. "Um das hier zu sehen, wurden schon Kämpfe ausgetragen, ihr kleinen Banausen! Ein Krieger sagt nicht 'wäähh' und versteckt sich vor dem Anblick einer Kriegerin! Aber, naja... irgendwann seid ihr, so Kahless es will, alt genug, um das besser zu verstehen." Diese klingonische Lebenslektion hatte jedoch sein müssen - immerhin hatte der Kleine reichlich Potential, um ein ordentlicher Krieger zu werden! Schmunzelnd nahm sie dann den Kuss in Empfang, während sie sich gleichzeitig anhörte, was der junge Prinz ihr zu berichten hatte. "Ah. Dara'Jan hat dich angerufen, lu?" Gutes Mädchen. Auch in der Ferne vergaß sie nie die Familie. "Gib mir das", sagte sie nebenbei und deutete auf einen langen Überwurf aus grün gefärbtem Leder, der achtlos über einen Stuhl geworfen und infolgedessen daran herab gefallen war und nun wenig dekorativ um das Bein des Stuhles herum drapiert lag. Als Arju'Tai ihrem Wunsch nachgekommen war, zog sie es zumindest schon einmal grob über, sodass die beiden jungen Herren wieder beide Augen benutzen konnten.

    "Soso... deine Kusine ruft dich also an und ihre Liebste später auch noch... warum war sie nicht dabei? Hat Dara sie oder sie Dara aus dem Schlafzimmer geworfen?", lachte sie ein wenig rau, wobei sie freilich gleichzeitig hoffte, dass nichts dergleichen wirklich passiert war und sie auch nicht davon ausging, dass es so war. Im Gegenteil war die Beziehung ihrer Tochter mit Adina und deren... Intensität ein konstanter Faktor für allgemeine, stille, liebevolle Belustigung. A-Hörnchen und B-Hörnchen.

    Iman'Dra verwarf den Gedanken und die Frage allerdings quasi zeitgleich, da es den kleinen Jungen vor ihr sicherlich keinen Deut interessieren dürfte, wer warum aus wessen Schlafzimmer geworfen worden war oder auch nicht. Stattdessen zog sie ihn, nun halbwegs bekleidet, mit einem schnellen Griff auf das Bett hinauf. "Und sie sagt, ich hab was für dich hier? Warum sollte ich? Etwa, weil der junge Prinz Geburtstag hat?" Sie lächelte nun ein ehrliches Lächeln, zog ihn in ihren Arm hinein und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. "Alles Gute, Kind... möge Kahless dich beschützen in deinen Kindertagen, dir begegnen in deiner Weihe und dir Kraft und Stärke schenken, wenn du einst ein Krieger bist", wünschte sie ihm, wissend, dass sie ein wenig vorgriff. Noch war er klein. Aber er würde nicht ewig ein Junge sein und im nächsten Jahr konnte er bereits die erste Jagd durchlaufen und das Fett der Beute nutzen, um die Kerze selber herzustellen und die Flamme zu entzünden, die von diesem Tag bis zum Tag seiner Kriegerweihe brennen würde. "Und jetzt komm! Schauen wir, was ich für dich finde!" Sie gab ihm einen kleinen Klaps, um ihn dazu zu animieren, von ihrem Bett zu springen, schlug selber das Fell zurück und stand auf, wobei der Überwurf sie immerhin bis zu den Knien bedeckte. Für den Moment reichte das.


    Iman'Dra scheuchte die beiden Buben ins Nebenzimmer, ihren kleinen, persönlichen Wohnraum, in dem sie sich kaum aufhielt, aber diverse Sachen dort aufbewahrte, die ihr am Herzen lagen. Wie immer, wenn sie hier hereinkam, wanderte ihr Blick einen Moment lang zu der Vitrine, in der, in schweren Samtstoff eingeschlagen, seit Jahren die schwarze Klinge Kilgorin schlummerte. Henrys letztes Schwert, in das er all seine verbliebene Macht eingeschlossen hatte, bevor er ihr schlussendlich abgeschworen hatte und das nur sein eigenes Blut führen konnte. Dara'Jan würde es bald bekommen... es waren nur noch Monate bis zu ihrer Kriegerweihe. Welch ein surrealer Gedanke, dass dieses Schwert, das seit sechszehn Jahren in einer Vitrine ruhte, tatsächlich geschwungen werden würde.

    Doch sie hatte heute nicht die Zeit, sich näher damit zu beschäftigen, da die beiden jungen Herren ihre Aufmerksamkeit forderten. "Na, dann schauen wir mal, ob ich wiederfinde, was Dara mir hier gelassen hat...", meinte sie gespielt nachdenklich. Freilich wusste sie ganz genau, wo die Geschenke ihres Neffen standen. Aber es schadete nichts, den jungen Prinzen ein wenig zappeln zu lassen.

    Sie schmunzelte über die vor Spannung verzerrten Gesichter der Kinder, als sie schließlich vor einem der Schränke in die Hocke ging, die untere Tür öffnete und umsichtig wohl das Aufwändigste und Schönste herausholte, was ihre Tochter bisher je geschnitzt hatte. Sie wusste, dass sie bereits im letzten Jahr mit diesem Projekt begonnen hatte, um es zu Arju'Tais Geburtstag fertig zu haben und glücklicherweise hatte es während des Angriffs keinen Schaden genommen. Sachte stellte sie es vor den Jungs auf dem kleinen Tisch ab, sodass sie es betrachten konnten. "Dara'Jan sagte, du kennst die Geschichte von diesem Schiff und den Figuren... aber sie hat dir auch einen kleinen Brief dazu geschrieben", meinte sie noch sachte und legte diesen zu dem Geschenk.

    Arju'Tai und Hikaru bekamen ein Holzschiff zu sehen, das vielleicht einen halben Meter Länge und etwa zwanzig Zentimeter Breite aufwies, allerdings recht hoch war, da auf dem Schiff selber noch einmal ein hübsches Haus geschnitzt worden war mit allem Drum und Dran. Fensterläden, zwei Stockwerke, sogar ein Kamin und Dachbalken für Möwen und Eulen, die darauf saßen. Denn es war nicht nur das Schiff und das Haus darauf, das Dara säuberlich gearbeitet und angemalt hatte. Nein, dazu gab es allerhand Figuren, mit denen es sich sicherlich schön spielen ließ: Giraffen, Nashörner, Schweine, Ziegen, Zebras, Hasen, Stinktiere und diverse Vögel. Immer zwei von jeder Sorte. Dazu die Figur eines Mannes mit langem Bart und ausgebreiteten Armen - Noah auf seiner Arche und seine Tiere dazu.

    Und während die beiden Kleinen dies noch bewundern durften, wandte sich Iman'Dra bereits ab, um auch ihr Geschenk für den jungen Prinzen hervor zu holen. Nachdenklich wiegte sie es einen Moment in der Hand, noch außerhalb der Sichtweite des kleinen Empfängers. Eine schöne Arbeit, sie war zufrieden damit. Und nach allem, was geschehen war mit Arju'Tai, empfand sie es als ein gutes und würdiges Geschenk. Sie hatte über eine Klinge nachgedacht. Verdient gehabt hätte er es sich wohl. Aber selbst ihr, die sehr dafür einstand, denen Klingen zu geben, die sie das Recht verdient hatten, sie zu tragen, erschien das Kind noch ein wenig zu jung dafür. Im nächsten Jahr mochte das schon anders aussehen, aber für jetzt würde das reichen, was sie sich erdacht hatte, um ihm ein Gefühl des Erwachsenseins und der Ehrung zu geben. Die Kriegerin stand auf, ging erneut zu dem Tisch zurück und stellte nun darauf, was sie in der Hand hielt. "Und das, mein junger Prinz, ist mein Geschenk zu deinem Ehrentag."

    Arju'Tai konnte einen durchaus ordentlichen Humpen erkennen, den seine Tante da vor ihn hingestellt hatte. Aus gutem Stahl gearbeitet und mit allerhand Symbolen verziert, wirkte er keineswegs weniger prunkvoll als die Trinkkrüge der erwachsenen Mitglieder der Familie. Im Gegenteil war dieser ganz besonders schön, denn neben den Symbolen prangte prominent ein aus Harz gearbeitetes Bild eines weißen Wolfes auf blauem Hintergrund auf dem Gefäß. Iman'Dra lächelte den Jungen sanft an. Ein Ausdruck, den man an ihr eigentlich nur sah, wenn sie mit Kindern zu tun hatte. "Damit du nicht mehr bei den anderen Kriegern Blutwein stibitzen gegen musst. Du hast gesehen, dass dir das nicht gut bekommen ist, lu? Das hört jetzt auf... denn jetzt hast du deinen eigenen Blutweinkrug und heute Abend, wenn du wieder da bist, werden wir mit der Familie auf deinen Geburtstag anstoßen und du wirst ihn einweihen, tIqwIj... lu?"

    Iman'Dra befand sich noch in ihren Räumlichkeiten an diesem frühen Morgen auf Tron'Jenar und war gerade dabei, sich selbst dazu zu überreden, sich für den Tag bereit zu machen. Sie war spät dran für ihre Verhältnisse, aber die vergangene Nacht war lang gewesen, da sie all die Handwerker, Zimmerleute und sämtliche anderen Helfer, die bei den groben Arbeiten an der Feste beteiligt gewesen waren, eingeladen und mit ihnen gefeiert hatte. Nur eine kleine Zusammenkunft. Ein großes Fest für den Wiederaufbau Tron'Jenars würde es erst geben, wenn die Prinzessinnen von ihrer Reise zurück kommen und die Familie damit wieder vollständig sein würde. Ein freudiger Tag, auf den sie bereits wartete. Es würde gut sein, sie alle wieder hier zu haben.

    Und so lag sie noch in den warmen Fellen des eigenen Lagers und sinnierte darüber nach, warum sie den durchaus ansehnlichen Baumeister eigentlich hatte ziehen lassen letzte Nacht. Bedauerlich. Sie musste schon zu betrunken gewesen sein, um ihm klar zu machen, dass er es sich durchaus in ihrem Bett hätte bequem machen dürfen. Sie hatte seine Blicke gesehen und wusste, er wäre nicht abgeneigt gewesen. Wo waren die Tage hin, in denen Krieger sich einfach versucht hatten zu nehmen, was sie wollten, wenn sie die Antwort hatten vertragen können? Ein richtiger Krieger, der nicht vor dem Titel der Herrin der Feste oder der Schwester des Epetai zurückschreckte, sondern seinem Instinkt und Trieb folgte und nachsah, ob die Frau mit dem großen Titel nackt noch genauso unnahbar war wie in Rüstung? Sie seufzte. Alles musste man selber machen. Selbst die Männer zu sich einladen. Es war eine Schande.


    Und als habe Kahless sie gehört und wolle sie necken für ihre Gedanken, stürmten plötzlich zwei junge Männer johlend die Tür zu ihrem Schlafzimmer. Viel zu junge Männer für das, wonach ihr gerade der Sinn gestanden hatte! Sie zuckte tatsächlich zusammen, da es eine Weile her war, dass kreischende Kinder durch diesen Teil der Feste getobt waren. Die letzten waren Dara'Jan und Khi'LeisaH gewesen, was inzwischen Jahre zurück lag. Inzwischen waren fast beide Kriegerinnen und somit erwachsene Frauen.

    Sie holte einmal tief Luft. "LES, VLN!", donnerte ihre vollmundige, dunkle Stimme dann von den Mauern wider und dieser klingonische Aufruf, der im Wesentlichen hieß, dass ihr Neffe Ruhe geben sollte, ließ die beiden Jungs ähnlich zur Salzsäule erstarren wie es vorhin auch ihre Schwägerin mit dem Befehl der Forces zu tun verstanden hatte. "Was soll dieser Lärm, hmm?!", fuhr sie gespielt griesgrämig fort und setzt sich im Bett auf, wobei das lange, dunkle Haar ihr über Schultern und Rücken hinab wallte und die Jungs auch durchaus den nackten Oberkörper der Kriegerin zu sehen bekamen, die gar nicht einsah, bekleidet zu schlafen nur für den Fall, dass solch kleine Männer morgens einfallen könnten. Und die obendrein auch wenig Probleme in Nacktheit sah und nicht vorhatte, diese durch Felle zu verbergen wie eine schüchterne Jungfer. Ob Mann, Frau oder Kind, wer unangekündigt in ihre Räume kam, hatte mit dem zu leben, was er oder sie vorfand. Außerdem würden die beiden in ihrem Leben noch genügend nackte Frauen sehen. Es war nie zu früh, um sich daran zu gewöhnen. Streng sah sie die Jungs an, wobei dieser eine, erhobene Mundwinkel, um den es dezent zuckte, ihre burschikose Art Lügen strafte. Sie musterte ihren jungen Neffen und seinen Freund, den kleinen Tokusawa-Jungen, der nun schon eine ganze Weile mit ihnen in der Feste wohnte. Auf Besuch, wie Iman'Dra annahm. Wenn nicht, auch gut. Adina war auch irgendwann von einer Besucherin fließend zur Bewohnerin der Feste geworden.

    "Nun?" Sie streckte eine Hand gen Arju'Tai aus und sah ihn auffordernd an. "Gibst du deiner Tante keinen Kuss, wenn du schon ohne zu klopfen hier reinstürmst am frühen Morgen? Und sagst ihr dann, was du hier zu suchen hast, loQ nIHwI?" Ihr kleiner Räuber, wie sie ihn gerade genannt hatte. Ein prachtvoller Junge. Auch sie wäre durchaus stolz auf einen solchen Sohn gewesen, wenngleich sie natürlich ihre Tochter liebte. Aber Kahless hatte anders entschieden. Kein Sohn für sie. Es grämte sie nicht. Dafür hatte sie den kleinen Arju'Tai, um den sie sich kümmern konnte. Und selbstverständlich wusste sie, was heute für ein Tag war und warum der kleine Rabauke wohl hier war. Aber er konnte ruhig selber damit herausrücken, da sie ihm ohnehin ansah, wie sehr er darauf brannte, ihr zu erzählen, warum er mit seinem Freund hergekommen war.

    Iman'Dra hatte nicht sonderlich gut geschlafen in dieser Nacht. Sie wusste nicht einmal, was es genau gewesen war, das sie wach gehalten hatte, doch Stunde um Stunde hatte sie schlaflos dagelegen, dem Herunterbrennen des Feuers zugesehen und dem Heulen der Wölfe gelauscht. Medeas Kinder wuchsen und gediehen, auch wenn ihre Mutter immer älter und schwächer wurde. Sie würde nicht mehr lange leben, Iman'Dra spürte es, doch sie schob den Gedanken fort wann immer er an die Oberfläche zu kommen versuchte. Es würde schwer genug werden, wenn es so weit war und sie mit ihr alles begraben musste, was ihr von ihrer kleinen gemeinsamen Welt mit Henry noch geblieben war. Sie musste sich nicht jetzt schon damit belasten, so lange die alte Wölfin noch am Leben war.
    Irgendwann war sie schließlich doch eingeschlafen, ein leichter Halbschlaf voller wirrer Träume, der sie noch mehr erschöpft hatte als der Rest der Nacht und so war sie im Morgengrauen mit bleischweren Gliedern von ihrem Lager gestiegen, erleichtert über das erste Tageslicht und fühlte sich nun nach einigen Tassen Raktajino zumindest soweit erfrischt, dass sie sich für handlungsfähig hielt. Doch kaum hatte sie sich angekleidet und ihre Räumlichkeiten verlassen, kam auch schon einer der Bediensteten auf sie zu. "Herrin... es steht ein Pferd für Euch im Hof", vermeldet er pflichtbewusst und Iman'Dra blinzelte irritiert. "Was?", forschte sie unwirsch nach. "Ich habe nicht geordert, dass mein Pferd gesattelt werden soll." "Ich weiß, Herrin, aber...", setzte er zu einer Antwort an, doch seine Worte wurden durch einen lauten Ruf abgeschnitten.
    "SOS!!" Begleitet von dem lauten, aufgeregten Schrei hörte Iman'Dra das sehr wohl vertraute Fußgetrappel ihrer Tochter. Sie wandte sich um und konnte gerade noch die Arme heben, als Dara'Jan ihr auch schon in diese sprang. Ihr Haar war zerzaust und voller Heu, ihr Gesicht mit Dreck verschmiert, doch ihre blauen Augen strahlten ihre Mutter an. Diese zog missbilligend die Brauen zusammen. "Wie siehst du denn aus, Kind? Die Sonne steht noch nicht voll am Himmel und du machst schon den Eindruck, als hättest du seit Stunden auf den Feldern gearbeitet. Was freut dich so?" Iman'Dra wusste das Strahlen durchaus zu deuten und wusste, dass mehr dahinter steckte als Dara'Jans natürlicher Liebreiz, mit dem sie sich immer freute, wenn sie Familienmitglieder begrüßen konnte. Irgendetwas Gutes war ihr widerfahren. "Ich war im Stall, SoS, wir haben das Pferd hingebracht! Oh, es ist so schön, du musst kommen und es anschauen, bitte! Ich bin aufgewacht, als sie es in den Hof geführt haben und schnell runter gelaufen... SoS, komm doch bitte und sieh es dir an!!", drängte das Mädchen und Iman'Dras Verwirrung steigerte sich einmal mehr. "Von welchem Pferd sprecht ihr denn alle nur?!", knurrte sie ein wenig unleidig und sah grimmig zu dem Bediensteten, als sei es seine Schuld, dass sie nicht verstand, worum es eigentlich ging. Dieser straffte seine Haltung und beeilte sich, die Sache zu erklären. "In der Nacht wurde vom Shepard Space Center aus ein Transport mit einem Shuttle angekündigt, das ein Tier enthalten sollte. Wir gaben dem statt und es stellte sich heraus, dass es ein Pferd war, das für Euch bestimmt ist. Ein Geschenk, Herrin. Von einem Lieutenant..." "... Jilko Samaras", beendete Iman'Dra den Satz und seufzte tief auf, fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. In ihren Schläfen pochten Kopfschmerzen, doch sie ignorierte es. Würde der Mann sie denn nie in Ruhe lassen? Hatte sie sich nicht deutlich genug ausgedrückt? "Ich habe ein Pferd. Ich könnte noch hundert weitere haben, wenn ich nur ein Wort an meinen Bruder darüber richten würde. Was soll ich also damit?!", fragte sie unwirsch und der Diener sah sie ein wenig hilflos an. "Sollen wir es zurückschicken, Herrin?", forschte er vorsichtig nach, nicht ganz sicher, auf welchem Fahrwasser er sich mit ihr gerade bewegte. Doch bevor diese antworten konnte, fuhr Dara'Jan dazwischen. "Ghobe!! Bitte, SoS, sieh es dir mal an! Es ist SO hübsch! Wir dürfen es nicht wieder wegschicken!", bettelte sie und Iman'Dra sah zu ihr hinab. In ihre flehenden Augen. Einem Blick, dem sie selten lange standhalten konnte und heute war sie zu erschöpft, um es lange zu versuchen. Erneut seufzte sie und strich dem Mädchen das Heu aus dem Haar und den Schmutz aus dem Gesicht. Zumindest so gut es eben ging ohne Wasser. "Na schön... zeig es mir", gab sie nach und Dara'Jan jauchzte auf, löste sich von ihr, fuhr herum und lief los. Iman'Dra ließ sie laufen, auch wenn sie deutlich langsamer ging. Den Weg zu den Ställen kannte sie selbst gut genug und dort würde sie ihre Tochter ohnehin wiedertreffen.
    Es war außergewöhnlich kalt heute für die Verhältnisse von Auriga II und die frische, von Regen getränkte Luft wehte Iman'Dra entgegen, als sie die Feste verließ und sie atmete tief durch. Es tat gut, klarte ihren schmerzenden Kopf auf und der kurze Spaziergang über die Wiesen bis zu den Stallungen, hob ihre Laune ein wenig. Als sie näher kam, sah sie bereits, wie Dara'Jan den Neuankömmling mit Halfter und Strick heraus führte. Sie lächelte so stolz, als sei die Wahl des Tieres ihre eigene gewesen und Iman'Dra wurde unweigerlich von diesem Lächeln angesteckt. Sie hatte nie zuvor ein Wesen getroffen, dass sich so bedingungslos freuen konnte wie es Dara'Jan gegeben war. "Das ist es also...", sagte sie und trat näher heran, wobei sie ihren Blick über das Pferd gleiten ließ. "Lu... ist es nicht schön, SoS? Und schau mal, es hat ganz liebe Augen!", rief Dara'Jan, griff nach der Hand ihrer Mutter und deutete mit der anderen auf die braunen Augen der Stute. Iman'Dra folgte ihrem Deuten, schwieg jedoch und beobachtete das aufmerksame Ohrenspiel, sah das glänzende schwarze Fell und die seidige Mähne, ließ es die Hufe anheben, um festzustellen, dass diese gepflegt und hart waren und fuhr mit einer Hand einmal über ihren ganzen Körper, um die Statur und den Knochenbau zu prüfen. "Ein schönes, gesundes Tier", urteilt sie schließlich. Doch es hatte einen Schönheitsfehler, das hatte Iman'Dra bereits auf den ersten Blick festgestellt - es war zu klein und zart für einen ausgewachsenen Klingonen. Die Last würde zu schwer sein für ein Pferd der Terraner, weswegen es auf Tron'Jenar längst eine eigene Zucht gab.
    Doch ihr Blick fiel auf Dara'Jan, die begeistert zu ihrer neuen Freundin aufsah und sie dabei ausgiebig streichelte. Das Mädchen würde niemals so groß werden wie die Vollklingonen, nie so schwer, ihre ganze Statur war viel filigraner. "Herrin?", unterbrach der Diener, der sie begleitet hatte, ihren Gedankengang. Sie sah zu ihm hinüber und er reichte ihr einen Brief an. "Diese Nachricht kam zusammen mit dem Tier." Iman'Dra nickte, nahm sie an, öffnete sie und las. Ihr Blick wurde von Zeile zu Zeile zweifelnder und als sie am Ende angekommen war, schnaubte sie halb belustigt und halb abfällig. "Idiot...", murmelte sie, sinnierte noch einen Moment und gab sich schließlich einen Ruck. Sie beugte sich hinab, ergriff Dara'Jan an den Hüften und hob sie mit einem geschmeidigen Griff auf den Rücken des Pferdes als sei sie eine Puppe. Dara'Jan, die damit nicht gerechnet hatte, quiekte auf, strampelte ein wenig und lachte aufgeregt. Das Pferd hob nervös den Kopf und begann mit den Hufen zu scharren. Iman'Dra griff nach dem Halfter und hielt es fest. "Ruhig jetzt!", ging ihr Kommando an ihre Tochter. "Du willst doch nicht, dass es mit dir durchgeht. Halt dich an der Mähne fest, du weißt, wie man ohne Zaumzeug reitet." Immerhin ritten die Kinder Tron'Jenars bereits von klein auf.
    Bei diesen Worten riss sich Dara'Jan sofort zusammen. "Lu, SoS", erwiderte sie und griff in die Mähne, richtete sich richtig auf, drückte die Fersen hinab und saß nun in der richtigen Reiterhaltung auf dem Pferderücken. Iman'Dra führte sie bis zu der Koppel, dann löste sie den Strick. "Dann reite", nickte sie und trat an den Zaun heran, um dabei zuzusehen. Dara'Jan drückte ihre Schenkel fester an den Pferdeleib und gab mit den Füßen ein kurzes Kommando und die Stute begann im Schritt zu gehen. Ohne Zügel konnte das Kind nur durch die Verlagerung von Gewicht und ein wenig durch Zug an der Mähne die Richtung bestimmten, doch sie wusste, dass man auf dem Pferderücken am sichersten war, wenn man sich nicht fürchtete. Eine Lebensweisheit, die den Klingonen sowieso in jeder Situation dienlich war. Und so dauerte es nicht lange bis sie ihre vierbeinige Freundin antraben ließ und ein breites Lächeln trat auf ihr Gesicht, während der Wind ihre Haut kühlte und in ihr Haar fuhr. Ihre Wangen wurden rot vor Aufregung und Kälte.
    Iman'Dra musterte sie, wobei sie ihre Reitkünste dabei nur sekundär interessierten. Sie wusste sehr wohl, dass ihre Tochter reiten konnte, dafür war gesorgt worden. Doch bisher hatte sie nie ein eigenes Pferd besessen, hatte immer nur die Pferde geritten, die zur Ausbildung derer bestimmt gewesen waren, die das Reiten noch richtig erlernen mussten oder ab und an auf dem Pferd ihrer Mutter. Es hatte nicht unmittelbar auf Iman'Dras Liste gestanden, Dara'Jan bald ein eigenes Pferd zuzugestehen, doch es sprach auch nichts dagegen es zu tun. Sie würde bald 13 Jahre alt sein, die Kriegerweihe war nur noch drei Jahre entfernt. Sie hatte sich aus eigener Kraft das Recht auf mehrere kleine Waffen verdient, hatte mit Khi'LeisaH zusammen gar einen Bären erlegt. Sie machte in allem, was es zu tun gab für eine junge Klingonin, gute Fortschritte und war eine vielversprechende Anwärterin auf den Titel einer Kriegerin. Und sie war eine Prinzessin Tron'Jenars. Ein eigenes Pferd würde sie zieren und ihr große Freude machen, das konnte sie sehen. "Lass sie über den Baumstamm springen!", rief sie Dara'Jan schließlich laut zu und deutete auf den mächtigen Stamm des Baumes, den der letzte Sturm auf der Koppel entwurzelt und den man noch nicht weggeschafft hatte. Es war nicht leicht ohne Zaumzeug zu springen, das wusste Iman'Dra. Aber es war machbar und wenn sie fallen würde, würde sie eben fallen. Schmerz war ein guter Lehrer. Wenn sie das Pferd wollte, würde sie es sich verdienen müssen. Zumindest ein wenig.
    Dara'Jan sah bei dem Ruf auf und dann zu dem Baumstamm. Er war groß und breit und kurz biss sie sich auf die Lippen, schätzte den Schwierigkeitsgrad ab und ließ die Stute noch ein paar Runden im Kreis traben, bevor sie bei geeignetem Abstand die Galopphilfe gab. Sie schnalzte auffordernd mit der Zunge und gab dem Pferd einen kleinen Klaps mit der Hand, um es schneller anzutreiben. Als sie dem Baumstamm näher kamen, duckte sie sich beinahe gänzlich flach auf den Pferderücken, verkrallte ihre Hände in der Mähne und fokussierte den Stamm. Immer dorthin sehen, wohin man reiten wollte, auch wenn ihr das Herz bis zum Hals schlug. Und dann legte sie kurz vor dem Absprung, das Bein zurück und gab damit das Signal. Die Stute war gut eingeritten, kannte die Kommandos und Dara'Jan konnte spüren, wie das Tier mit kraftvollem Muskelspiel absprang. Einen Moment war es wie Fliegen, schwerelos schwebten sie über den Stamm hinweg und das Mädchen hielt die Luft an und schloss die Augen, als sich der Boden wieder näherte. Obwohl die Stute doch recht geschmeidig aufkam, fuhr ein Ruck durch den Leib und Dara'Jan, die keine Steigbügel hatte, um sich dagegen zu stemmen, bekam seine ganze Wucht ab. Einen Moment trieb es ihr die Luft aus den Lungen und sie musste sich mit Händen und Beinen an der Stute festklammern, um nicht zu fallen, doch sie blieb oben und öffnete nach einer kleinen Weile wieder die Augen, suchte mit dem Blick ihre Mutter und riss die Arme nach oben, gab einen triumphierenden Schrei von sich und lachte, ließ sich dann hinabsinken und umarmte das Tier. Iman'Dra lächelte. "Sehr gut! Lob sie!", rief sie und Dara'Jan klopfte dem Tier ausgiebig den Hals, streichelte sie und flüsterte ihr freundliche, anerkennende Worte zu.
    Iman'Dra hatte indes die Koppel betreten und winkte Dara'Jan zu sich. Als sie heran geritten kam, hob sie die Arme und die Kleine streckte die ihren aus und ließ sich vom Pferd heben. "Das war toll, SoS! Sie hat ganz geschmeidige Gänge und es war, als würde ich über den Baumstamm fliegen!", erzählte sie. "Dann magst du sie, ja? Du reitest gerne auf ihr?", forschte Iman'Dra noch einmal nach und ihr Mädchen nickte heftig. "Nun... dann wirst du ihr einen Namen geben müssen", meinte Iman'Dra und ein kurzes Schmunzeln huschte über ihre Züge, als Dara'Jan sie verwirrt ansah. "Ich? Aber sie ist doch dein Pferd. Mister Jilko hat es doch dir geschenkt", merkte sie an. "Muss nicht der Besitzer immer einem Pferd den Namen geben?" Iman'Dra nickte bedächtig. "Eben. Darum solltest du ihr ihren Namen bald aussuchen." Iman'Dra hatte ihre Freude daran zu beobachten, wie Dara'Jans Verwirrung allmählich in Erkenntnis umschlug und sie sie mit großen, staunenden Augen ansah. "Sie... gehört mir? Ich... ich bin... die Besitzerin?", flüsterte sie leise, als sie es endlich begriffen hatte und Iman'Dra lächelte. "Lu. Es wird Zeit. Sie gehört dir, mein Augenstern. Kümmere dich gut um sie." Diesmal rechnete sie damit, als Dara'Jan ihr in die Arme sprang und sie fing sie auf und drückte sie fest an sich. Dabei sah sie zu dem Diener. "Gebt Nachricht ans Shepard Space Center. Lasst Lieutenant Jilko Samaras ausrichten, dass ich ihn empfangen werde."

    Iman'Dra sah auf, als es an ihre Tür pochte. Durch das schwere Holz klang der Laut dumpf. In etwa so dumpf wie der Schmerz in ihrem Kopf, den sie sich durch einen Schlag von Mogh'Tars Faust eingehandelt hatte, als sie sich heute in einem spontanen Duell miteinander gemessen hatten. Tatsächlich hatte der alte Mann ihr ihre Grenzen aufgezeigt, nachdem dieser Schlag sie so überraschend an der Schläfe getroffen hatte, dass sie danach kurz benommen gewesen war. Bevor sie recht gewusst hatte wie ihr geschah, hatte sie schon am Boden gelegen und Mogh'Tars Klinge an ihrem Hals gespürt und gleichsam unleidig wie beeindruckt von der Kraft und Schnelligkeit des alten Haudegens hatte sie die Niederlage in Kauf genommen.
    "yI'el!", rief sie als Reaktion auf das Klopfen und sah auf, als Lao'Ghaire, der Bote, den sie auf Shepard gesandt hatte, herein kam und sich kurz verbeugte. "Iman'Dra joH... ich bin gerade wieder vom Shepard Space Center zurückgekehrt. So Ihr es wünscht, will ich Euch berichten", sagte er und musterte eher beiläufig die unbehandelte Blessur im Gesicht der Tai. Doch er schwieg dazu. Zumindest vorerst.
    Iman'Dra deutete ihm mit einer schnellen Handbewegung an, sich zu setzen. "Lu", erwiderte sie dann. "Ihr habt diesen kleinen Offizier getroffen?" Lao'Ghaire nickte. "Das habe ich, Herrin", versicherte er ihr und setzte sich ihrem Geheiß nach. "Und immerhin... er hatte den Blutwein Tron'Jenars im Schrank stehen, den er mit mir geteilt hat", meinte er schmunzelnd. Iman'Dra schnaubte. "Welchen Blutwein sollte man auch sonst im Schrank stehen haben?! Es gibt keinen aus dem Empire seit dem Handelsembargo und selbst wenn es ihn gäbe, wäre es kaum mehr als saures Regenwasser und Targhdreck! Kommt zum Wesentlichen!"
    Lao'Ghaire beschloss, sich mit Scherzen für den Moment zurückzuhalten. Er war bei den Tributreisen oft genug um die Herrin gewesen, um zu wissen, dass sie an besseren Tagen über die Existenz von Tron'Jenar-Blutwein im Schrank eines Sternenflottenoffiziers erfreut, vielleicht gar ein wenig stolz gewesen wäre. Doch ihre Laune schien zur Zeit mit Vorsicht zu genießen zu sein. "Lu, joH!", sagte er somit gehorsam. "Eurem Befehl folgend richtete ich Lieutenant Samaras aus, dass Ihr sein Geschenk angenommen habt. Wie zu erwarten war, wollte er wissen, ob Ihr einem Treffen zwischen ihm und Euch selbst zugestimmt habt. Als ich dies verneinte, wurde er wütend." Iman'Dra hob die Brauen. "Wütend?", echote sie und lachte auf. "Der kleine Mann kann wütend werden? Faszinierend... ich hätte eher Tränen erwartet!", lachte sie grimmig und Lao'Ghaire gestattete sich ein Schmunzeln. "Wurde er nicht bleich vor Furcht, als Ihr vor seiner Tür standet?", fragte Iman'Dra und an ihrem Tonfall war deutlich zu hören, was sie von Jilkos Mut im Angesicht eines Vollblutklingonen hielt. Erfahrung hatte sie damit immerhin. "Ghobe", erwiderte Lao'Ghaire jedoch. "Er schien mir nicht ängstlich. Während des gesamten Gesprächs nicht. Er sagte mir jedoch mehrfach, dass es ihm ein Anliegen sei, Euch zu zeigen, dass er keine Angst vor Euch habe." Iman'Dra gab einen abfälligen Laut von sich. "Nun, das hätte er sich wohl überlegen sollen, als ich ihm meinen ersten Besuch abgestattet habe. Dass er nicht schlotternd zu meinen Füßen lag, war alles!", rief sie und spuckte verächtlich aus.
    "Hat er gesagt, warum es ihm plötzlich so wichtig ist, dass ich ihn für einen großen Mann halte?", verlangte sie dann zu wissen, stand auf und tauchte zwei Krüge in das Blutweinfass neben ihrem Schreibtisch. Eines stellte sie Lao'Ghaire hin, aus dem anderen nahm sie selbst einen tiefen Zug. Das würde ihre Kopfschmerzen schon kurieren. Vielleicht hatte Mogh'Tar ihr einen Knochen in der Stirnwindung gebrochen, der alte Bastard. "Lu", erwiderte Lao'Ghaire. "Zunächst wollte er nicht recht raus mit der Sprache, doch nachdem er begriffen hatte, dass er keine Gelegenheit bekommen würde, vor Euch persönlich vorzusprechen, nannte er mir den Grund. Es scheint wohl so zu sein, dass seine Frau entführt worden ist und er daraufhin einen... Pakt schloss. Einen Pakt mit seinem Gott. Wenn dieser ihm helfen würde, sein Weib unversehrt zurück zu bekommen, würde er im Gegenzug versuchen, sich vor Euch zu beweisen und den Frieden wieder herzustellen. Er sagte, seiner Frau sei der Disput zwischen Euch und ihrem Mann ein Dorn im Auge. Und er müsse sich an das Wort halten, das er seinem Gott gegeben habe, da sie die Entführung tatsächlich lebend überstanden habe." Iman'Dra lauschte ihm schweigend und nahm nachdenklich noch einen Schluck Blutwein. Der Krieger wartete eine ganze Weile, doch als von ihr weiterhin keine Reaktion kam, sprach er sie vorsichtig noch einmal an. "Herrin?" Diese hob den Blick und sah ihn an. Eine stumme Aufforderung weiter zu sprechen. "Er sagte außerdem, sein Gott sei der Gott des Christentums. Ich fragte ihn danach und dachte, es würde Euch vielleicht interessieren", informierte er sie in beinahe sanftem Ton. Er wusste nicht viel von dieser Religion oder diesem Gott, aber zumindest war ihm bekannt, dass der verstorbene Gemahl der Herrin ebenso zu ihm gebetet hatte.
    Iman'Dra schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann warf sie einen Blick aus dem Fenster hinaus zu dem Stück Himmel, das sie von hier aus sehen konnte. Ein Pakt mit dem Gott der Christen. Dieser Gott schien den Handel zu mögen und obwohl sie beide sich kaum kannten, war sie erstaunlich häufig Teil dieser Handelsabkommen. Schon bei Henry war sie es gewesen und sie hatte gesehen, wozu diese Pakte letztendlich geführt hatten. Zu Tod und Trauer, aber auch zu Henrys Frieden und Dara'Jans Geburt. Nein, sie kannten sich nicht gut, sie und dieser seltsame Gott, doch gut genug, um sich wohl nicht ignorieren zu können.
    "Was soll nun geschehen, Herrin?", riss Lao'Ghaires Stimme sie aus ihren Gedanken. Sie hatte beinahe vergessen, dass er noch bei ihr saß. Ein wenig verwirrt sah Iman'Dra zu ihm, sammelte sich dann jedoch rasch. "Meine Antwort bleibt fürs Erste unverändert", antwortete sie. "Aber ich bin immerhin geneigt, seinem Grund Glauben zu schenken. Doch bevor ich das tue, will ich mit seiner Frau reden. Ihr Name ist Lieutenant Samantha Ryno. Schickt ihr eine Einladung nach Tron'Jenar."

    Es war um die Mittagsstunde auf Tron'Jenar und Iman'Dra war gerade dabei die Vorbereitungen zu kontrollieren, die für die anstehende Ankunft Peredurs, des Ältesten der Fomorii und seiner Leute bereits getroffen worden waren. Immerhin handelte es sich diesmal nicht um einen privaten Besuch, sondern um eine offizielle Angelegenheit, in der es, wie D'Ankwar ihr gesagt hatte, um nichts Geringeres als den Abschluss eines militärischen Bündnisses gehen würde. Allein der Gedanke daran veranlasste Iman'Dra dazu, sich innerlich wohlig zu räkeln. Die Schiffs- und Waffentechnologie der Bewohner L'Lal'Lorias war so weit fortgeschritten, dass damit gewaltiger Schaden angerichtet werden konnte - selbst gegen die Standardtruppen des Empires. Sie meinte das Blut J'MPoks quasi schon auf ihren Lippen schmecken zu können, obwohl sie wusste, dass es in der nächsten Zeit mit Sicherheit zu keinem Angriff auf den verhassten Qang kommen würde. Dies würde bedeuten, die Föderation und L'Lal'Loria in einen Krieg zu verstricken, für den niemand gerüstet und bereit war. Doch das störte Iman'Dra nicht. Sie wartete bereits seit über zwanzig Jahren auf ihre Rache, es würde ihr nichts ausmachen noch ein wenig länger zu warten. Das Wissen, dass es durch ein Bündnis mit L'Lal'Loria immerhin möglich wäre, den Feind zu bezwingen, reichte schon aus, um sie für den Moment zufrieden zu stellen.
    "Herrin?" Iman'Dra hielt in ihrem raschen Schritttempo nur bedingt inne, als einer der Krieger sie ansprach und deutete ihm stattdessen mit einer Kopfbewegung an, sich ihrem Weg anzuschließen. Sie hatte reichlich zu tun und was auch immer er ihr zu sagen hatte, er konnte es gewiss auch laufend tun. Rasch folgte er dem stummen Befehl und holte sie ein, um sie zu begleiten. "Es kam vor einigen Minuten ein... Geschenk für Euch. Ebenso eine Nachricht. Vom Shepard Space Center." Iman'Dra zog die Brauen zusammen. "Vom Shepard Space Center?", wiederholte sie und der Ton in ihrer Stimme machte deutlich, für wie wenig wahrscheinlich sie diesen Umstand hielt. "Warum sollte mir dort jemand ein Geschenk machen? Was ist es? Wurde es untersucht? Eine neue Falle des Empires ist nicht auszuschließen, wie seltsam der Weg über Shepard für sie auch wäre!", bemerkte sie scharf. Der Krieger nickte. "Lu, Herrin, doch es gibt keine Anzeichen für irgendeine Art von Falle oder Anschlag. Es scheint zu sein, was es zu sein vorgibt - ein terranisches Schwert. Geschickt von einem Lieutenant Jilko Samaras."
    Erst jetzt blieb Iman'Dra stehen und zwar so abrupt, dass der Krieger erst einige Meter weiter irritiert inne hielt und sich umwandte. Derweil starrte sie ihn an - und brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. Doch klang es ganz und gar nicht herzlich, wenngleich amüsiert, jedoch auf eine Art und Weise, die sehr klar machte, dass sie das, was sie gerade gehört hatte, von ganzer Seele verlachte. "Samaras!", brach es schließlich mit einem schnaubenden Lachen aus ihr heraus. "Bei Kahless, was will dieser Bastard denn von mir?! Zeigt mir das Schwert und die Nachricht! Und keine Sorge, diesen feigen Hund würde sich selbst das Empire nicht als Puppe auswählen!" Die Mundwinkel des Kriegers zuckten bei der Reaktion der Herrin, dann schlug er sich kurz und fest mit der Faust auf die Brust zum Zeichen, dass er den Befehl vernommen hatte und verschwand, um ihn auszuführen.
    Zehn Minuten später hielt Iman'Dra die Waffe und das Schreiben in ihren Händen. Letzterem widmete sie sich zuerst, las es einmal, las es ein zweites und selbst ein drittes Mal. "Als Zeichen dafür, dass ich sehr gründlich über meine Tat, die ich selbst als Schande betitele, nachgedacht habe...", zitierte sie leise und schüttelte leicht den Kopf. "Was auch immer er damit meint... herkommen will er also und weil er weiß, dass ich ihm die Gedärme herausreißen würde, wenn er einfach so hier auftaucht, schickt er das hier vor...", murmelte sie für sich selbst und warf dann einen Blick auf die Waffe, die sie in der anderen Hand hielt. Sie hatte das gute Gewicht echten Stahls und ein edles Äußeres, doch Iman'Dra traute der Sache nicht, da ihr nicht klar war, was um alles in der Welt den Sternenflottenoffizier dazu bewegt haben könnte, diesen Schritt zu gehen, so wie er sich bei ihrem letzten Zusammentreffen aufgeführt hatte. Obendrein müsste er sie schon für verdammt dumm halten, wenn er dachte, dass er sich auf diese Weise wieder einen Kontakt zu Dara'Jan würde erschleichen können. "Gebt es in die Schmiede", wies sie den Krieger an, der es ihr gebracht hatte und reichte es ihm zurück. "Ich will wissen, wie gut die Klinge ist. Wenn er mich beleidigt, indem er mir minderwertige Waffen zum Geschenk macht, wird er die entsprechende Antwort erhalten. Und sag dem Schmied, er soll sich Zeit lassen mit der Untersuchung. Soll Samaras warten."


    Eine Woche dauerte es bis sie das Ergebnis erhielt und immerhin war es eine würdige Klinge, wie sie zugeben musste. Toledo-Stahl in guter Verarbeitung war einer der besten seiner Art auf Terra. Dies besänftigte Iman'Dra zumindest soweit, dass sie bereit war, über eine Antwort nachzudenken. Allerdings keinesfalls mit dem Ausgang, den er sich wünschte, denn sie wollte sehen, wie ernst es ihm war. Wollte die Sache noch ein wenig auf sich beruhen lassen und aus der Ferne studieren. Und so wartete sie noch weitere drei Tage ab bis sie beschloss, dass es Zeit wurde, eine Antwort zu senden. Doch diese würde sie nicht per Terminal verschicken. Oh nein.
    Iman'Dra rief stattdessen den Krieger zu sich, der ihr bereits zu Beginn von dem Geschenk berichtet hatte. "Lasst Euch auf Shepard beamen", wies sie ihn an. "Und überbringt Lieutenant Jilko Samaras die Nachricht, dass die Herrin der Feste seine Gabe erhalten und angenommen hat. Wenn er fragt, ob er die Erlaubnis hat zu mir zu kommen, lautet die Antwort 'Nein'. Wenn er fragt, ob er die Erlaubnis hat, Tron'Jenar zu betreten, so lautet die Antwort gleichfalls 'Nein'. Wenn er fragt, wie ich das Geschenk aufgenommen habe, werdet Ihr ihm sagen, dass Ihr dabei nicht zugegen ward und keine Informationen darüber habt. Seht Euch seine Reaktion genau an und berichtet mir anschließend darüber. Und nun geht."

    Noch am selben Abend, nachdem die Aufregung aufgrund der Urteilsverkündung sich gelegt und die Mitglieder des Tribunals sich wieder in ihre jeweiligen Häuser zerstreut hatten, ließ Iman'Dra nach Qin'Rako schicken. Nach dem Mann, der ihr zweifelsohne das Leben gerettet hatte. Denn auch der beste Familienzusammenhalt, auch die stärksten Beschützer waren nutzlos, so sie nichts von der Gefahr wussten, in der sich ihre Geliebten befanden und somit nicht zur Hilfe eilen konnten. Nur Qin'Rakos beherztem Einsatz war es zu verdanken, dass Tron'Jenar von der geplanten Entführung ins Empire erfahren und sie rechtzeitig hatte stoppen können. Iman'Dra gedachte selbstverständlich, eine solch bedingungslose Loyalität angemessen zu belohnen. Auf ihre Art.
    Qin'Rako hatte nach ihrer Rettung zu seiner Schmiede bei SikacH'tria zurückkehren wollen, doch man hatte ihn nicht gelassen. Iman'Dra, zu erschöpft, um sich um solche Fragen zu kümmern, hatte es zu diesem Zeitpunkt nicht geschert unter welchen Umständen man auf Tron'Jenar von ihrer Situation erfahren hatte, doch Mogh'Tar hatte Qin'Rako befohlen, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen gemeinsam zum Stammhaus zurückzukehren. In den letzten beiden Tagen war er Epetai und Zantai vorgestellt worden und hatte sich auf den Ländereien der Fürstenfamilie und in der Feste selbst umsehen können. Es war eine Ehrenbekundung gewesen, zweifellos, doch Iman'Dra empfand dies als zu wenig und sie wusste, dass D'Ankwar es ebenso sah. Sie wusste allerdings auch, warum er dennoch keine weiteren Schritte eingeleitet hatte, um den Schmied zu belohnen - er wollte es ihr überlassen.
    Und so hatte sie diesem eine anonyme Nachricht zukommen lassen, die ihn zum Abend hin in die Schmiede im Innenhof der Feste bestellt hatte. Zu Henrys Lebzeiten war diese nur sehr klein und bescheiden in der Ausstattung gewesen, da man sie lediglich für die Anfertigung von Hufeisen und Werkzeugen benötigt hatte. Alle größeren, aufwändigeren und feineren Arbeiten hatte Henry für die Fürstenfamilie in seiner Schmiedehütte am Waldrand hergestellt. Doch nach dessen Tod war die Schmiede im Innenhof erweitert worden und man hatte einen neuen Meister gefunden, um die Waffen für das Haus zu fertigen und instand zu halten. Iman'Dra hatte sich nie in größerem Maße für die Wahl des Schmieds interessiert. D'Ankwar hatte ihr diese Aufgabe in Rücksichtnahme auf ihre damals sehr frische Trauer abgenommen und seitdem hatte es nichts zu beanstanden gegeben - allerdings auch nichts zu bewundern. Der Mann verrichtete gute und gewissenhafte Arbeit, doch er würde Henry in seiner Kunst niemals das Wasser reichen können. Kurz dachte Iman'Dra darüber nach, als sie die Schmiede im Innenhof nun zum ersten Mal betrat. Sie hatte im Laufe der letzten Jahre einige Male davor gestanden, um Dinge mit dem Schmied zu besprechen oder ihm Aufträge zu geben, doch niemals hatte sie sie bisher betreten, hatte kein Interesse daran gehabt. Aber heute Nacht lagen die Dinge anders.
    Es war still im Inneren, als sie hereinkam. Sie sah mit einem einzigen Blick all die Werkzeuge, die an einem Ort wie diesem benötigt wurden und ließ die Fingerspitzen über die metallene Oberfläche des Amboss gleiten, während ihr Blick für einen Moment auf das Fass voller Wasser fiel. Die Gerüche nach verbranntem Holz und Kohlen, nach Leder und Stroh lagen in der Luft und in den Dachbalken flatterten einige Vögel umher. Ansonsten war es still, die Arbeiter waren gegangen, die Sonne ging bereits unter und Iman'Dra sah zur Feuerstelle und trat näher heran. Es schlugen keine Flammen mehr darin, der Schmied hatte das Feuer ausgehen lassen, bevor er die Schmiede verlassen hatte, doch als Iman'Dra die Hand darüber hielt, konnte sie die Wärme der Kohlen noch immer spüren. Und sie würde ein Feuer brauchen.
    Mit geübten Bewegungen brachte sie es wieder zum lodern und fachte es mit dem Blasebalg und weiteren Kohlen als Nahrung genug an, um die Flammen schlagen zu lassen. Dann griff sie nach einem der Schwerter, die als Rohlinge auf einem kleinen Tisch lagen und legte es neben den Amboss. Es war handwerklich gut gemacht, doch etwas Besonderes war es sicherlich nicht. Iman'Dra war gespannt, ob ihr Plan aufgehen würde, als sie sich in den Schatten im hinteren Teil der Werkstatt zurückzog und wartete.


    Es dauerte bis knapp nach Sonnenuntergang, als die ersten Schatten fielen, bis Qin'Rako, dem Willen der Nachricht folgend, leise in die Schmiede eintrat. Eigentlich hatte er schon vor einigen Stunden nach Hause aufbrechen wollen. Er war sich sicher, dass Vev'Jeyda und ihr Junge ihn bereits erwarteten, doch die Nachricht ohne Namen hatte dies verhindert. Für eine Weile war er ob ihres Inhaltes skeptisch gewesen, doch das Papier hatte das Siegel Tron'Jenars getragen und so hatte er den Gedanken an eine Falle abgeschüttelt und war nun hier, wo man ihn hatte haben wollen - nur schien niemand hier zu sein.
    Gewiss bemerkte er, dass ein Feuer brannte und dass es, so munter wie es brannte, noch nicht lange her sein konnte, dass man es angefacht hatte, doch er machte sich nichts daraus. Es mochte möglich sein, dass der ansässige Schmied mit seiner Arbeit noch nicht fertig war und bald zurückkommen würde. Er selbst arbeitete gerne bis tief in die Nacht, wenn es dringende Projekte zu beenden galt. Es gab Momente, in denen die Uhr- und Tageszeit gleichgültig waren. Momente, in denen nur zählte, dass der Stahl nicht erkalten durfte. Sein Blick fiel auf eines der Schwerter, dass der Meister dieses Ortes auf einem Beistelltisch hatte liegen lassen. Kurz sah Qin'Rako sich um, doch da nach wie vor alles still blieb und niemand sich der Schmiede zu nähern schien, trat er an die Waffe heran und nahm sie zur Hand, um sie aufmerksamer zu betrachten. Sanft fuhr er mit einer seiner rauen Hände darüber und schwang sie einige Male, um die Balance auszutesten. Sie war gut gearbeitet, ohne Zweifel, und doch...


    Iman'Dra lächelte, als geschah, was sie gehofft hatte. Zufrieden sah sie dabei zu, wie Qin'Rako das Feuer anheizte und das Schwert plötzlich in die Flammen stieß, um die Klinge zum Glühen zu bringen und sie wieder hervorzuziehen, als sie die richtige Temperatur erreicht hatte. Er griff nach dem mächtigen Hammer zu seiner Rechten, legte sein Opfer auf den Amboss, holte weit aus und schlug zu. Funken stoben auf, als der Hammer donnernd auf dem Metall aufkam und tauchten die dunkle Schmiede in jenes einzigartige Licht, das Iman'Dra in früheren Jahren so oft gesehen hatte. Sie zog den Atem scharf ein und keuchte leise auf, als der Stahl unter seinen Händen schrie, während ein wohliger Schauer durch ihren Leib rieselte. Sie hatte sich so sehr gewünscht, dass er dies tun würde. Hatte auf die Instinkte des Meisters gehofft, der wusste, dass diese Waffe noch unfertig war und darauf, dass er nicht würde widerstehen können. Kaum etwas konnte sie so sehr faszinieren, wie einem Schmied bei seiner Arbeit zuzusehen und so folgte sie seinen Bewegungen gebannt, während das Licht der Funken und der vor Hitze schimmernden Klinge sich in ihren dunklen Augen spiegelte. Doch nur noch einen Moment lang. Sie hatte noch etwas zu erledigen, solange er beschäftigt war.
    Sehr leise und sehr behutsam löste sie sich aus ihrer dunklen Ecke und huschte zu dem kleinen Tisch, auf dem er vorhin das Schwert entdeckt hatte. Darauf platzierte sie etwas, was ihr sehr teuer war und was sie speziell für diesen Anlass ausgewählt und mit hierher gebracht hatte - einen ausgesprochen kunstvollen Dolch. Dies war nicht irgendeine Arbeit. Henry selbst hatte diesen Dolch zu Ehren ihrer beider Hochzeit angefertigt. Es gab noch einige mehr davon, da es einer klingonischen Tradition entsprach, solche Waffen zu großen Festlichkeiten an bestimmte Leute zu verschenken, um diese zu ehren und das Fest unsterblich werden zu lassen. Heute jedoch waren nicht mehr viele davon in Iman'Dras direktem Besitz. Im Haus selbst gab es noch einige, die an Hausmitglieder verschenkt worden waren und natürlich hatte sie ihren eigenen und den, den sie für Dara'Jan aufhob bis sie alt genug war, um ihn zu bekommen, doch abgesehen davon war dieser, der nun auf dem Tisch lag, der Letzte dieser Dolche, der noch keinen Besitzer hatte. Bis zu dieser Nacht.


    Irgendwann hielt Qin'Rako schwer atmend inne, musterte die Klinge, die er nun mehrfach gefaltet hatte und warf sie dann in das Wasserfass, wo sie zischend und dampfend erkaltete. Es würde gut werden, das wusste er. Erst jetzt, da er einen Blick aus dem Fenster hinaus warf und feststellte, dass es inzwischen dunkel geworden war, realisierte er, wie lange er schon hier sein und schmieden musste, ohne dass sich jemand gezeigt hätte. Welches Spiel spielte man hier mit ihm? War er einfach vergessen worden? Hatte man ihn zum Narren halten oder ihn der Unverschämtheit überführen wollen, dass er in einer fremden Schmiede arbeitete? Er wusste es nicht zu sagen und unschlüssig sah er zur Tür. Sollte er einfach gehen? Doch es war zu spät, um jetzt noch auf herkömmlichem Weg nach Hause aufbrechen zu können. Vielleicht sollte er eine der Wachen darum bitten, dass er gebeamt werden konnte.
    Während er noch darüber nachdachte, was nun der sinnvollste Schritt sei, sah er sich gedankenverloren in der Schmiede um und sein Blick blieb plötzlich an etwas hängen. Sofort wurde er aufmerksam und seine Brauen zogen sich zusammen, als er misstrauisch aufsah. Der Dolch, der auf diesem Tisch lag, war vorhin noch nicht da gewesen. Er war sich völlig sicher, denn bereits aus der Entfernung heraus konnte er erkennen, dass es sich um ein Meisterwerk handelte, das er sich genauer angesehen hätte, hätte es zuvor schon dort gelegen. Niemals hätte er die Waffe ignoriert. Irgendjemand musste sie dort hingelegt haben, während er geschmiedet hatte. Irgendjemand musste hier sein.
    Er griff nach dem nassen Griff des eben erst fertig geschmiedeten Schwertes und zog es aus dem Fass, brachte sich in Kampfstellung und hob die Klinge herausfordernd an. Im Schein des Feuers perlten glitzernde Wassertropfen daran hinab. "Kommt heraus!", bellte er mit tiefer Stimme in das Innere der Schmiede. "Sofort! Ich mag ein einfacher Schmied sein, aber um Euch den Schädel zu rasieren, wird es dennoch reichen!"


    Iman'Dra schmunzelte. Mit gespannter Genugtuung hatte sie beobachtet, wie er den Dolch entdeckt und seine Schlüsse daraus gezogen hatte. Er war klug und ein aufmerksamer Mann, das gefiel ihr. Viele Andere hätten wohl angenommen, den Dolch zuvor übersehen zu haben, doch er war selbstsicher genug um zu wissen, dass ihm dies nicht passiert wäre. Sehr gut. Sie brauchte jemanden mit einer guten Beobachtungsgabe, welche Aufgabe er in Zukunft auch erfüllen würde.
    Bei seiner Aufforderung beschloss sie, ihre kleine Scharade zu beenden. Man musste es nicht bis zum Äußersten treiben und er hatte alle Erwartungen, die sie an ihn gehabt hatte, erfüllt, ohne überhaupt zu wissen, dass es Erwartungen gegeben hatte. Warum ihn länger auf die Folter spannen? Mit diesem Gedanken trat Iman'Dra aus den Schatten hervor in das schummrige, springende Licht der Flammen, das goldene Schemen auf sie zu werfen schien. Sie hatte sich für diesen Anlass entsprechend gekleidet - ein rotes Kleid bedeckte sie, unterbrochen von schwarzen Elementen und durchzogen von goldenen Streifen, während weiches, braunes Leder ihre Taille und ihr Dekolleté umschmeichelte und ihre Unterarme als Schoner umhüllte.
    Als Qin'Rako ihrer ansichtig wurde und sie erkannte, blinzelte er überrascht, wich einen Schritt zurück und ließ das Schwert sofort sinken, bevor er den Kopf vor ihr neigte. "Herrin... verzeiht mir. Ich wusste nicht..." "Leg das Schwert weg, Qin'Rako", unterbrach ihn ihre leise, dunkle Stimme. "Du wirst es nicht brauchen. Nicht hier. Nicht jetzt." Rasch kam er ihrer Aufforderung nach, hielt den Blick jedoch weiterhin gesenkt. Offenbar wagte er es sich nicht recht, sie anzusehen. Sie musste ihn mit ihrem plötzlich Auftauchen tatsächlich aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Dieser Gedanke ließ sie einen Moment lächeln, bevor sie seiner Antwort lauschte. "Natürlich... verzeiht mir. Ich hätte... nicht hier arbeiten sollen..." "Oh doch", erwiderte Iman'Dra, während sie näher an ihn heran trat. "Ich hoffte, du würdest es tun. Aber sag mir... warum siehst du mich nicht an? Sind wir keine Freunde seitdem ich dein Gast sein durfte?" Verdattert sah der Schmied nun auf und in ihre Augen. "Gewiss... jedoch verstehe ich nicht. Ihr wolltet, dass ich schmiede? Aus welchem Grund? Ihr habt hier sicher Schmiede, die weitaus besser sind als ich." Sie beide wussten im selben Moment, als er es aussprach, dass es eine Floskel war. Eine Höflichkeit, an die er nicht wirklich zwingend glaubte. Er wusste, was er konnte und sie wusste es ebenso. "Ich habe lange keinem Meister mehr bei der Arbeit zusehen können", antwortete sie von daher schlicht. "Es war mir eine Freude und ein Verlangen." Bei diesen Worten lachte Qin'Rako jedoch leise auf. "Ghobe", schmunzelte er amüsiert. "Kein Meister. Ich bin nur ein einfacher Schmied." Iman'Dra hob die Brauen ein wenig und deutete auf das Schwert, das er hatte fallen lassen. "Und doch konntest du mit absoluter Präzision sagen, dass dieses Schwert nichts taugte, obwohl du es nicht mehr als eine Minute in Augenschein genommen hast. Kann dies ein einfacher Schmied?" Qin'Rako folgte ihrem Deuten und musterte die Waffe. "Nun...", begann er ein wenig zögerlich. "Es war gut gearbeitet, versteht mich nicht falsch. Mit Härte und Verstand. Jedoch... fehlte das Herz. Um dies zu erkennen, muss man kein Meister sein. Man muss nur lieben, was man tut." Er sah wieder zu ihr. "Versteht Ihr das?" Sein Blick begegnete ihrem Lächeln, das sich ob seiner Worte vertieft hatte. Es war ein wenig, wie mit Henry über die Schmiedekunst zu sprechen. "Ohja... das tue ich", erwiderte sie von daher. "Aber sag mir dann, wie du dieses Werk beurteilen würdest", bat sie ihn und ging zu dem kleinen Tisch, auf den sie den Hochzeitsdolch gelegt hatte, den sie nun wieder zur Hand nahm und ihm präsentierte.
    Es war eine ausgesprochen feine und detailreiche Arbeit. Mann und Frau in kriegerischer Hingabe vereint bildeten den Griff, die Klinge war glänzend und verziert mit klingonischen Symbolen, während die Scheide ein einziges Wunderwerk an Präzision zu sein schien und doch fremdartig anmutete. Sie zeigte Kreuzsymbole und betende Figuren, was, wie Iman'Dra wusste, Henrys eigener Kultur und Religion entsprang. Die Waffe war die perfekte Einheit zwischen ihnen beiden gewesen. Ehrfürchtig nahm Qin'Rako sie aus ihren Händen, um sie genauer anzusehen. Wie filigran es gearbeitet war - war dies überhaupt möglich? "Dies ist das Werk eines wahren Meisters, vor dem ich verblasse wie das Licht des Tages, wenn der Abend kommt, Herrin", sagte er bewundernd. "Wie es jeder tat", erwiderte Iman'Dra leise. "Du fragtest mich nach ihm, als ich bei dir zu Gast war...", ließ sie ihn wissen und seine Augen wurden groß. "Es ist seine Arbeit?" "Lu", bejahte sie. "Eine der letzten, die er vollbrachte. Er schmiedete einige dieser Dolche zu Ehren unserer Hochzeit." Qin'Rako nickte leicht und hob den Dolch direkt vor seine Augen, um ihn noch eingehender betrachten zu können. "Eine perfekte Arbeit", urteilte er schließlich. "So voller Macht und doch voller Kunstfertigkeit. Bedauerlich, dass seine Kunst verloren ging. Ich wäre gern ein solcher Meister, wie er es war." Iman'Dra schwieg einen Moment, beschloss dann jedoch, nicht darauf einzugehen und lieber zum eigentlichen Thema zu kommen. Alles andere würde sie auf Dauer nur traurig und unleidig werden lassen. Beides wollte sie für diesen Abend nicht. "Der Dolch gehört dir", erwiderte sie von daher. "Möge das Blut deiner Feinde die Klinge benetzen." Verblüfft sah Qin'Rako sie an und ging dann langsam auf ein Knie hinab, nur um ihr den Dolch anzureichen. "Herrin, ich bin es nicht wert, dies zu tragen, da es aus dem Herzen des Meisters kam, geschmiedet Euch zu Ehren..." Iman'Dra hob jedoch die Hand, um seinen Worten Einhalt zu gebieten. "Du rettetest mein Leben", wand sie ein. "Ohne dich würde mein Blut die verbrannte Erde des Empires tränken. Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet. Steh auf." Er folgte ihrem Wort und stand auf, schüttelte bei ihrem Dank jedoch den Kopf. "Nicht doch. Ich habe nur meine Pflicht getan, wie es jeder tun würde, der diesem Haus verbunden ist." Iman'Dra hob einen Mundwinkel. "Vielleicht... doch wie die Verräter bestraft werden, so werden die Loyalen belohnt." Zuweilen konnte die Welt sehr einfach sein.
    Die Klingonin trat nun noch einen Schritt näher an ihr Gegenüber heran und suchte seinen Blick mit dem ihren. "Ich habe drei Angebote für dich", begann sie. "Doch zuvor muss ich etwas wissen." Qin'Rako nickte ihr zu. "Fragt, so werde ich antworten." "Liebst du Vev'Jeyda?", stellte sie daraufhin ohne Umschweife ihre Frage. Sie musste dies wissen, um sicher sein zu können, dass jedes Angebot und alles, was sie für diesen Abend geplant hatte, kein Bündnis eines Liebespaares unnötig erschweren würde. Für einen kurzen Augenblick schien der Schmied irritiert, dann lachte er leise auf. "Wie eine Tochter", antwortete er lächelnd. "Sie erinnert mich an etwas, was ich einmal hatte. Eine Familie, versteht Ihr? Frau und Kinder... doch das ist lange her. Alle fünf sind sie in den Mienen des Empires gestorben." Sein Blick verfinsterte sich für einen Moment, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Grausame Erinnerung sprach daraus. Doch nach einem tiefen Atemzug fuhr er fort. "Vev'Jeyda und ihr Junge hatten es schwer. Ich musste ihnen helfen." Auch Iman'Das Blick hatte sich gleichsam verfinstert, als er von den Verbrechen des Empires gesprochen hatte. Es gab wohl niemanden auf den Ländereien Tron'Jenars, denen diese elenden Bastarde nichts genommen hatten. "Irgendwann wird das Empire bezahlen... für alles, was sie denen angetan haben, die zu uns gehören", versprach sie ihm. "Doch nun höre mein Wort. Mein erstes Angebot ist nicht sehr aufregend, doch es mag viel Freiheit darin liegen: Du kannst nach Hause gehen und nichts muss sich für dich verändern. Liebst du dein Leben wie es ist, so will ich es dir nicht nehmen. Mein zweites Angebot...", schloss sie unmittelbar an. "... ist der Sitz des Präfekten von SikacH'tria."
    Ein langes Schweigen folgte auf diese Worte, während sie sich ansahen. Iman'Dra abwartend, Qin'Rako nachdenklich, beide vielleicht ein wenig prüfend. "Ich? Der neue Präfekt?", fragte er schließlich. "Wenn du es willst", erwiderte sie. Erneut schwieg er. Dies konnte einen wertvollen Aufstieg bedeuten. Nicht unbedingt für sich selbst, er wurde allmählich alt und würde sein Leben ohne Bedauern so weiterleben können, wie er es seit Jahrzehnten tat, doch für Vev'Jeyda und den kleinen GreHr'tog würde er in dieser Position vieles möglich machen können. "Eine Bedingung", richtete er von daher das Wort erneut an die Herrin, die daraufhin schmunzelte. "Welche?" "Ich will, dass meine alte Schmiede und der Stall in den Besitz von Vev'Jeyda und ihrer Familie übergehen. Sie soll ebenso wie ich keinem anderen Herrn außer sich selbst antworten müssen - und Euch." Iman'Dra nickte. "Hast du dich dann bereits entschieden? Willst du mein drittes Angebot gar nicht hören?" "Oh doch. Ich habe mich nicht entschieden, ich habe lediglich geantwortet. Was ist Euer drittes Angebot?"
    Iman'Dra hob die Hand und griff sachte um sein Kinn herum, suchte seinen Blick. "Mein drittes Angebot ist ein Platz an meiner Seite als mein neuer Schatten", sagte sie. Seit Savo'Narolas Tod, der im Duell mit der kleinen Ka'TharaH von Lao'Koon aus Selbstüberschätzung und ein wenig Pech gefallen war, war Iman'Dra ohne Schatten gewesen und das war nicht die beste Situation für ein Mitglied der Fürstenfamilie, wie die jüngsten Entwicklungen deutlich gezeigt hatten. Was auch immer Savo'Narola Schlechtes und Unredliches getan hatte - und Iman'Dra wusste, dass es einiges gewesen sein mochte - so wusste sie doch ebenso, dass sie niemals in Gefangenschaft geraten wäre, wäre Savo'Narola noch bei ihr. Er war ihr treu ergeben und ein ausgesprochen fähiger Mann gewesen. Qin'Rako hatte derweil Mühe, seine Überraschung zu verbergen. "Als Euer Schatten, Herrin? Hier auf der Feste? Vertraut Ihr mir derart?" "Hier auf der Feste und wohin auch immer ich gehe", ergänzte Iman'Dra. "Du hast bereits bewiesen, dass du das, was ein Schatten zu tun hat, mit Bravur zu tun bereit bist: Du hast mich vor Schaden bewahrt, als ich es selbst nicht konnte." Nun ließ sie ihn wieder los und ging langsam um ihn herum. "Du würdest alle Annehmlichkeiten haben und natürlich Gelegenheit zum Schmieden, so du es möchtest. Für Vev'Jeyda und ihren Sohn würde gesorgt werden, du hast mein Wort - doch bedenke, dass dein Leben sich um das meine drehen würde. Diese drei Angebote mache ich dir. Wähle deinen Lohn mit Bedacht." Qin'Rako folgte ihr mit den Augen ohne sich von der Stelle zu rühren. "Egal welches Angebot ich wähle... Vev'Jeyda und ihre Familie werden frei sein? Versorgt, ohne jemals einem Anderen als Euch zu dienen?", hakte er noch einmal nach und Iman'Dra nickte. "Das schwöre ich dir", antwortete sie. "So lasst es mich bedenken", bat er sie. "Wenn der Tag morgen zur Neige geht, will ich Euch meine Entscheidung mitteilen." Er wusste, er konnte dies nicht sofort entscheiden und auch nicht ganz allein. Er musste und wollte zunächst mit Vev'Jeyda sprechen, herausfinden, welche Lösung ihr am liebsten wäre. Er würde sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen. "So sei es", stimmte die Herrin zu. "Doch liegt noch eine ganze Nacht zwischen uns und dem morgigen Tag, an dem ich deine Antwort erwarte...", merkte sie an, wobei ihre Stimme ein wenig dunkler zu werden schien. Sie hielt inne in ihren Bewegungen und lehnte sich leicht gegen den harten Amboss, während ihr Blick Qin'Rako nicht verließ. Dieser war jedoch noch immer gefangen von den Möglichkeiten, die sie ihm eröffnet hatte und hatte das Gefühl, dringend einen klaren Kopf bekommen zu müssen, sodass er ihr kaum zuhörte in diesem Moment. "Dann ist es Zeit, wieder in meine Welt zurückzukehren, Herrin...", sagte er entsprechend eilig. Es war spät, sie würde gewiss ebenso ihre Ruhe haben wollen um diese Zeit.
    Iman'Dra verbiss sich derweil ein Lächeln. Nun gut, es mochte möglich sein, dass er nicht wollte, was sie wollte. Doch ebenso mochte es gut möglich sein, dass er schlicht nicht verstanden hatte, was sie wollte. Es für undenkbar hielt, dass sie dies wollen könnte, weil sie die Herrin war. Das war freilich Unsinn, sie war ein Wesen aus Fleisch und Blut wie er, kein Titel der Welt würde dies ändern. Sie beschloss also, noch einmal nachzuhaken. Nur um sicher zu gehen. "Gefalle ich dir nicht?", fragte sie den Mann plötzlich, der bereits im Weggehen begriffen war.
    Qin'Rako hielt inne. Diese Frage hatte ihn unvorbereitet getroffen. Einen Moment lang blieb er weiterhin mit dem Rücken zu ihr stehen und sah zur Tür der Schmiede. Natürlich stellte sie diese Frage nicht aus Willkür, das war ihm bewusst. Und ebenso wurde ihm, als er sich nun langsam umwandte, bewusst, dass sie vielleicht nicht immer für den simplen Besuch der Schmiede auf ihrem eigenen Grund und Boden auf solche Art gekleidet sein mochte. Er sah sie an, sah, wie das Feuer ihre Haut wie dunklen Honig schimmern ließ, wie es sich in ihren Augen wiederspiegelte und wie ihr Haar ihren Rücken hinab wallte. Er sah ihre vollen Lippen und ihre üppigen weiblichen Rundungen und trat langsam einen Schritt näher. "Natürlich", antwortete er mit etwas rauerer Stimme. "Ihr seid eine wunderschöne Frau. Wem würdet Ihr nicht gefallen?" Iman'Dra lehnte nach wie vor am Amboss und legte den Kopf ein wenig zur Seite bei seiner Antwort. "Warum willst du dann fortgehen?", raunte sie. "Die Nacht ist jung. Schmiede für mich..." Qin'Rako kam derweil weiterhin näher. "Habe ich das nicht schon?", forschte er leise nach. Sie streckte die Hand nach ihm aus. "Man kann mehr schmelzen und gefügig machen als nur Stahl", antwortete sie verheißungsvoll. "Ach ja? Und was, Herrin?", verlangte er zu wissen und als er ihre Hand ergriff, führte sie diese langsam an ihren Körper, auf dass er umfasste, was sich nach seiner Berührung sehnte. "Wenn du fragen musst, hast du es noch nicht erlebt", hauchte sie leise und als er zu ihr trat, ließ sie ihn ganz nahe kommen und spürte, wie sein Griff allmählich fester wurde. "Oh, ich verstehe... ich verstehe zu gut, Herrin", flüsterte er und neigte sich langsam zu ihrem Ohr hinab. "Und es scheint mir, als sei die Flamme noch nicht hoch genug", flüsterte er. Sie schloss die Augen. "Dann solltest du sie anfachen...", erwiderte sie mit einem lockenden, verlangenden Unterton und im nächsten Moment spürte sie Qin'Rakos Lippen auf den ihren und sie öffnete sie, um den Kuss weich und warm werden zu lassen...

    Der Abend hatte sich gestaltet wie die meisten anderen Abende auf Tron'Jenar es ebenfalls taten. Kurz vor Sonnenuntergang war in der Großen Halle das Abendessen aufgetischt worden und Iman'Dra hatte sich mit den zur Zeit anwesenden Mitgliedern der fürstlichen Familie an der Tafel in der Mitte der Halle niedergelassen. Im Augenblick war die Anzahl der Anwesenden allerdings nicht sonderlich hoch, denn abgesehen von den noch unmündigen Kindern von Epetai und Zantai, Khi'LeisaH und Arju'Tai, sowie ihrer eigenen Tochter Dara'Jan befanden sich neben Iman'Dra selbst nur noch der alte Mogh'Tar und Ssihanna im Haus. D'Ankwar, Nina, SoH'rajan und Corum gingen derweil ihren jeweiligen Aufgaben nach, die sie zum Teil weit von zu Hause wegführten. Iman'Dra störte es jedoch nicht weiter. Die Phasen, in denen Mogh'Tar, sie und die Kinder Tron'Jenars die Einzigen am Familientisch waren, gab es regelmäßig und zuweilen gefiel es ihr so. Es zeugte von Alltag und dem guten Gefühl, dass alles seinen Gang ging. Denn wenn wirklich alle an diesem Tisch versammelt waren, gab es bestenfalls etwas zu feiern - schlimmstenfalls jedoch stand eine Krise ins Haus. Und von diesen hatte Iman'Dra nach Ravsais Tod und ihrem eigenen, knappen Entkommen vor einer Auslieferung ins Empire fürs Erste reichlich genug.
    "Ssihanna ist schon wieder nicht zum Essen gekommen." Iman'Dra sah bei diesen Worten auf und zu Dara'Jan, die diese geäußert hatte und folgte unweigerlich deren Blick zu dem leeren Platz ihrer Nichte. Innerlich seufzte sie. Dara'Jans Tonfall sprach von leisem Kummer und von Sorge, was Iman'Dra nicht verwunderte. Ihr kleines Mädchen trug immer schwer daran, wenn jemand in der Familie litt und sie wusste, dass sie selbst daran nicht unschuldig war. Dara'Jan hatte damit aufwachsen müssen, dass ihre Mutter sich in den frühen Jahren ihrer Kindheit oft von der Familie - zeitweise sogar von ihrem Kind selbst - abgeschottet hatte, von Trauer um Henry gepeinigt und gequält. Dara'Jan hatte oft zum Klang der Klageschreie Iman'Dras einschlafen müssen und hatte früh gelernt, die wechselnden Stimmungen ihrer Mutter wahrzunehmen und einzuschätzen, sodass sie im Laufe der Zeit ein ebenso feines Gespür für die Stimmungen Anderer entwickelt hatte. Und nun schlich sie bereits seit Tagen unruhig vor Ssihannas Zimmer herum, in dem diese sich meist aufhielt, wenn sie sich denn in der Feste befand und nicht nach draußen flüchtete, um allein zu sein.
    Auch Iman'Dra machte sich Gedanken um ihre Nichte. Seit sie vor einigen Jahren dem Weg ihres Onkels und ihrer Tante in die militärischen Spezialkräfte der Föderation gefolgt war, hatte sie sie nicht mehr so häufig zu Hause gesehen wie es zur Zeit der Fall war. Zu Beginn war Iman'Dra schlicht davon ausgegangen, dass sie blieb, um bei ihrer Mutter zu sein, dieser eine Stütze zu sein in der schweren Zeit, die sie beide durch den Tod des Ehemanns und Vaters zu bestehen gehabt hatten, doch im Endeffekt war es SoH gewesen, die zuerst die schützende Umgebung Tron'Jenars verlassen und sich wieder ihren Aufgaben gestellt hatte, während Ssihanna noch immer hier war.
    Es war nicht so, dass Iman'Dra etwas dagegen gehabt hätte, dass es so war. Ssihanna gehörte zur Familie und die Tore der Feste standen ihr offen, wann immer und so lange sie dem Schutz dieser Mauern bedurfte. Dafür war ein Zuhause da. Es war noch nicht einmal so, dass sie etwas gegen das permanente Zurückziehen Ssihannas gehabt hätte. Sie selbst war jahrelange Expertin in eben dieser Verhaltensweise und hatte wohl als Allerletzte das Recht, diesbezüglich Vorwürfe auf den Lippen zu tragen. Es war vielmehr das Gefühl der Hilflosigkeit, das sie dabei zuweilen unleidig werden ließ. Zum ersten Mal seit langem war sie selbst nicht das primäre Opfer der Trauer, sondern befand sich in der Rolle des liebenden Beistehers, während jene destruktive Dunkelheit ein Mädchen heimsuchte, das sie bereits als kleines Kind in den Armen gehalten hatte. Und sie musste feststellen, dass diese Rolle kaum dankbarer war, als selbst in Dunkelheit zu versinken.
    "Kommt denn Ssihanna gar nicht mehr zu uns, SoS?", riss Dara'Jans Stimme sie erneut aus ihren Gedanken. Iman'Dra zwang ihre Aufmerksamkeit zu ihr zurück. "Das muss Ssihanna selbst entscheiden, Kind", erwiderte sie, fuhr jedoch gleich fort, da sie ihr eine Ablenkung verschaffen wollte. "Aber sei so gut und lauf zu A'Wolan. Sag dem alten Kauz, er soll mit dir kommen und mit uns essen." Wie geplant griente Dara'Jan bei diesem Auftrag und schlüpfte von ihrem Stuhl, nur um im Hüpfsprung die Halle zu verlassen und den alten Hausheiler aufzusuchen. Iman'Dra hob einen Mundwinkel. Sehr schön. Dara'Jan war mitunter leicht zufrieden zu stellen.


    So saßen die drei Kinder und die drei Erwachsenen etwa eine Stunde später recht gemütlich beisammen. Die Sonne war gerade erst untergegangen und die ersten Sterne zeigten sich in der Dämmerung über Auriga. Das Essen war schmackhaft gewesen, der Blutwein für die Erwachsenen noch schmackhafter und die Kinder begannen bereits zu gähnen und sich auf ihren Stühlen zu räkeln. Iman'Dra beobachtete latent amüsiert, wie besonders die beiden Mädchen es zu verstecken versuchten, während der kleine Arju'Tai schon vor einem Weilchen auf den Schoß seiner Tante gekrochen war und nun an sie angeschmiegt döste. Iman'Dra strich ihm sanft übers Haar und setzte gerade an, den Mädchen zu sagen, dass sie sich allmählich nach oben begeben sollten, als dieser Satz im Keim erstickt wurde.
    "A´WOLAN… WIR BRAUCHEN HIER HILFE!!!"
    Einen Moment lang schien jeder in der Halle zu erstarren. Iman'Dra konnte sich nicht erinnern, Ssihannas Stimme schon einmal so aufgelöst, so voller Panik gehört zu haben. Die Spannung war fast greifbar, die in der Luft lag, als jedem von ihnen - selbst den Kindern - klar wurde, dass etwas Furchtbares passiert sein musste.
    Dann ging plötzlich alles ganz schnell und Stuhlbeine kratzten laut über den Steinboden, als sie geschlossen aufsprangen. Iman'Dra reichte ihren verwirrten, schläfrigen Neffen einer Dienerin an ohne sich lange damit aufzuhalten, bevor sie den Anderen mit hastigen Schritten folgte. Ihrer aller Eile war so groß, dass Iman'Dra sich nicht einmal die Zeit nahm, Dara'Jan und Khi'LeisaH das Mitkommen zu verbieten.
    Bei der Küche angekommen, aus der der Schrei nach oben gedrungen war, wäre sie dann allerdings beinahe gegen die beiden gestoßen, die in der Tür stehen geblieben waren und sich nicht rührten. Ein wenig unwirsch drängte sie sich an ihnen vorbei und brauchte einen Moment, um die grauenhafte Szene vor ihren Augen überhaupt zu begreifen: A'Wolan kniete bei der jungen Kali, einem der Küchenmädchen. Diese lag leichenblass und zitternd vor Schmerz und nahender Todeskälte in Ssihannas Armen und das Heft eines Dolches ragte aus einer tiefen Bauchwunde hervor. Mehr war von der Waffe nicht mehr zu sehen, die Klinge war komplett in die junge Menschenfrau eingedrungen und Blut strömte unaufhörlich aus der Wunde hervor, bedeckte Kalis Kleidung, den Boden, die Helfenden. A'Wolan tat sein Bestes, um die Blutung zu stillen, doch Iman'Dra wusste, dass die junge Frau längst verblutet wäre, würde der Dolch nicht noch in ihr stecken. Sie ahnte, dass es zu spät war, glaubte selbst zu spüren, wie jeder Herzschlag dafür sorgte, dass weniger und weniger Lebenskraft in ihr übrig blieb.
    Es dauerte wohl nur etwa zwei Minuten, bevor eintrat, was Iman'Dra befürchtet hatte, doch es fühlte sich länger an. Der Tod Unschuldiger fühlte sich immer länger an. Als die Augen des Menschenmädchens schließlich brachen, atmete sie tief durch. Sie sah, wie A'Wolan den Blick senkte, spürte das entsetzte Starren der beiden Kinder in ihrem Rücken, die Kali recht gut gekannt hatten, hörte Mogh'Tars leises Fluchen - doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich nun gänzlich auf Ssihanna aus. In das lähmende Schweigen hinein, hallten ihre festen Schritte auf dem Boden wieder, als sie nun gänzlich herein kam. A'Wolan sah auf und setzte an etwas zu sagen, doch ihr scharfer Blick schnitt ihm das Wort ab und selbst Mogh'Tar blieb stumm in diesem Moment, in dem sehr deutlich wurde, dass nicht die Tante, sondern die Herrin der Feste den Raum betreten hatte.
    Iman'Dra blieb neben der Leiche stehen, neigte sich hinab und zog den Dolch mit einem festen Ruck aus dem toten Leib hervor. Nun machte es keinen Unterschied mehr. Einen Moment lang betrachtete sie diesen und verifizierte still für sich, was sie bereits aus der Ferne wahrgenommen hatte, bevor sie das Blut, das an der Klinge haftete, an ihrem Waffenrock abwischte. Dann warf sie Ssihanna die Waffe mit steinerner Miene vor die Füße. "Du solltest ihn zurücknehmen. Er gehört dir doch - nicht wahr?", sagte sie leise. Ihre Stimme war ruhig, doch Ssihanna kannte ihre Tante gut und lange genug, um den tiefer liegenden Zorn heraushören zu können, der recht schnell an die Oberfläche gelangte, als sie nicht sofort reagierte. Iman'Dras Tonfall nahm an Schärfe zu. "Nimm ihn! Und steh auf, wenn ich mit dir rede!", fuhr sie ihre Nichte an, griff nach deren Arm und zerrte sie grob auf die Beine. Es war ihr gleich, ob sie stehen konnte oder nicht. Sie musste sich ohnehin beherrschen, ihre Fäuste nicht sprechen zu lassen und es zeugte von ihrer Liebe zu Ssihanna, dass sie es nicht tat. "Komm mit mir... Dara'Jan, Khi'LeisaH, raus hier und nach oben! Mogh'Tar, A'Wolan, kümmert euch um das hier! JETZT!", grollten ihre Befehle an sie alle durch die Küche. Die Kinder kamen gar nicht erst auf die Idee, ihr nicht zu gehorchen und trollten sich sofort, während sich A'Wolan und Mogh'Tar der Leiche und der Beseitigung der Spuren in der Küche widmeten, sehr wohl wissend, was die Herrin mit 'das hier' gemeint hatte.
    Iman'Dra ging derweil hinaus, in der absoluten Erwartung, dass Ssihanna ihrem Befehl nachkommen und ihr folgen würde. Sie hatte gesehen, dass Dara'Jan in Tränen aufgelöst war, was nicht überraschte, doch gerade konnte sie sich darum nicht kümmern. Gerade musste ihr ganzer Fokus auf Ssihanna liegen, die offensichtlich eine unschuldige Bedienstete umgebracht hatte. Doch es musste eine Erklärung dafür geben und Iman'Dra wollte sie hören.

    Es dauerte nur Sekunden bis Iman'Dra plötzlich wieder zu Hause war. Einen Moment blieb sie erschöpft im Transporterraum der Feste stehen. Noch immer fehlte es ihr an Energie, noch immer fühlte sie sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig so ausgelaugt, dass sie sich kaum bewegen konnte. MiShaHs Verrat und der Atem des Empires in ihrem Nacken hielten sie in einer gewissen Schockstarre. Doch D'Ankwar blieb an ihrer Seite und führte sie ruhig aus dem Raum hinaus, eine Hand in ihren Rücken gelegt. "Komm. Du solltest Dara'Jan sehen", sagte er. "Sie schläft bestimmt. Es ist mitten in der Nacht", erwiderte Iman'Dra ein wenig automatisiert. "Das ist jetzt gleichgültig. Sie wird wissen wollen, dass du wohlbehalten zurück bist. Sie war wohl dabei, als der Dorfschmied die Nachrichten aus SikaCh'tria brachte. Und du solltest sie sehen", wiederholte er und hatte diesen bestimmten Ton in der Stimme, dem man nicht widersprach. Er wusste, es würde seiner Schwester gut tun, ihre Tochter jetzt zu sehen. Es würde sie aus ihrer latenten Lethargie holen. Sie wacher machen. Ihr Kraft zurückgeben.
    Und so brachte er sie hinauf, durch die Große Halle hindurch und weiter nach oben in den privaten Flügel der Feste, der ihr und ihrem Kind vorbehalten war. Leise öffnete er die Tür zu Dara'Jans Zimmer und gerade, als Iman'Dra hineingehen wollte, erblickte sie im schummrigen Licht einer kleinen Nachtlampe eine Person, die in Dara'Jans Zimmer saß.
    Adrenalin durchfuhr sie so rasend, als habe man ihr Eiswasser ins Gesicht geschüttet und jede Taubheit fiel sofort von ihr ab. Sie löste sich grob von D'Ankwar, durchquerte mit zwei Schritten den Raum, packte die kleine Person am Kragen, riss sie hoch und schlug knurrend zu, ohne auch nur darüber nachzudenken, wer es sein könnte. Jeder, der um diese Uhrzeit und nach allem, was sie gerade erlebt hatte, im Halbdunkel im Zimmer ihres Kindes saß, war eine Bedrohung. Sie spürte, wie unter ihrer Faust Knochen brachen als wären es zu trockene Zweige, spürte, wie feuchtes Blut ihre Fingerknöchel benetzte. Die Person in ihrem Griff, die offenbar selbst geschlafen hatte, stöhnte schmerzerfüllt auf und versuchte reflexartig von ihr wegzukommen. Im selben Moment spürte Iman'Dra D'Ankwars Hände um ihre Schultern, der sie unerbittlich von ihrem Opfer losriss. All dies hatte kaum drei Sekunden gedauert und sie taumelte zurück. "Iman'Dra, hör auf! Das ist Mina!", fuhr ihr Bruder sie an und erst jetzt erkannte auch Iman'Dra die Frau, die im ersten Moment wieder auf ihrem Stuhl zusammen gesackt war und sich das blutende Gesicht hielt. "Verdammt... was tut sie hier?!", stieß sie hervor. Ihr Atem jagte, während ihr Blick sich auf die Verletzte fokussierte. Ein wenig schlechtes Gewissen regte sich in ihr, doch noch wurde es überlagert durch den Unwillen, irgendjemanden um diese Uhrzeit bei Dara'Jan zu sehen. "Sie passt auf Dara auf, bei Kahless, das Kind war außer sich vor Angst um dich!", knurrte D'Ankwar, ließ seine Schwester nun los, da sie keine Anstalten mehr machte, Mina angreifen zu wollen und kniete sich zu dieser. "Wird es gehen? Das tut mir leid...", hörte Iman'Dra ihn leise zu ihr sagen. Mina murmelte etwas, das wie "Schon gut..." klang und D'Ankwar half ihr auf. "Komm, ich bring dich zu A'Wolan. Es wird dir gleich besser gehen." Den Blick, den Iman'Dra noch auf sie erhaschen konnte, bestätigte ihr, was sie bereits gespürt hatte - sie hatte ihr den Kiefer gebrochen. Nun wurde die Stimme ihres schlechten Gewissens deutlich lauter, doch sie selbst schwieg für den Moment und ließ Mina und D'Ankwar gehen. Sie würde nach der Behandlung mit ihr sprechen und sie um Verzeihung bitten.
    "SoS..." Iman'Dra wandte sich um und sah in die großen Augen ihrer Tochter, die aufrecht in ihrem Bett saß, offensichtlich verwirrt und erschrocken von der Szene, die sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Einen Moment sahen die beiden sich nur in die Augen, Dara'Jan zu perplex, Iman'Dra zu erschöpft um sich zu rühren. Doch dann warf das Mädchen die Decke zurück, sprang auf die Matratze, lief darüber hinweg zum Fußende, an dem Iman'Dra stand und schlang ihre Arme und Beine um den Körper ihrer Mutter, die sie reflexartig auffing, die Arme um sie legte und sie so oben hielt. Ihr geschwächter Körper, dem eine intensivere Behandlung im Krankenbereich der Feste sowie ein wenig Nahrung, Blutwein und Schlaf gut tun würde, protestierte zwar gegen das volle Gewicht Dara'Jans, das es zu tragen galt, doch Iman'Dra achtete nicht darauf. Sie bei sich zu spüren war wichtiger als jede Rücksicht auf Verletzungen.
    Wie sie es erwartet hatte, spürte sie den schmalen Körper ihrer Tochter erbeben, als dieser die Tränen kamen. Sie hörte sie schluchzen. "Sht...", flüsterte Iman'Dra, ging zu einer der Bettseiten und setzte sich mit ihr darauf nieder, wobei sie Dara'Jan auf ihren Schoß nahm und weiterhin festhielt. "Du musst nicht weinen. Es ist alles gut... wir sind Krieger, wir weinen nicht. Das weißt du doch, hmm?", sprach sie leise auf sie ein und Dara'Jan musste unter Tränen lächeln. "Lu... ich weiß. Aber... der Mann, der herkam, hat gesagt, dass sie dich gefangen genommen haben und ins Empire bringen wollten!", stieß sie aufgeregt hervor und sah ihre Mutter mit großen Augen angsterfüllt an. Einen Moment zögerte Iman'Dra, doch dann entschied sie sich dafür, ihr die Wahrheit zu sagen. Vielleicht nicht alles. Aber genug, um ihr klar zu machen, dass eine Bedrohung nie ganz ausgeschlossen werden konnte. "Lu, das ist wahr", antwortete sie von daher. "Das Empire hat P'Tojas, den Präfekten von SikaCh'tria erpresst, um mich zu bekommen. Sie wollten Onkel D'Ankwar zwingen mit ihnen zu verhandeln. Du weißt, dass das Empire sehr gefährlich ist, Dara'Jan... nicht wahr?" Die Kleine nickte. "SoS, wenn... wenn Rag'Nar und Onkel Mogh'Tar und die Anderen nicht gekommen wären... wärst du dann ins Empire gebracht worden? Hätten sie dir dann dort weh getan?", fragte sie und Iman'Dra schluckte einen Moment. Sie wusste, dass sie diese Frage bejahen musste, wenn sie völlig ehrlich sein sollte. Doch sie wollte Dara'Jan die Vorstellung dessen ersparen, was sie im Empire wohl mit ihr getan hätten. "Vielleicht. Aber selbst wenn... ich wäre zurückgekommen. Und weißt du, warum?" Dara'Jan legte die Hand auf den Schwertgriff von Mithrodin und sah dann wieder zu ihrer Mutter auf. "Weil du so stark bist?", fragte sie und Iman'Dra musste lächeln. "Ghobe. Weil ich dich nie wirklich verlassen werde. Niemals. Und weil ich immer zu dir zurückkomme, auch wenn ich dich für eine kleine Weile allein lassen muss. Hörst du?" Das Mädchen lächelte und schmiegte sich vertrauensvoll an sie an. "Versprichst du das?", fragte sie. "Ich verspreche es. Ich geb dir mein Wort als Kriegerin. Und mehr kannst du nicht verlangen, hmm?" "Doch!", trumpfte Dara'Jan auf. "Ich verlange dein Wort von einem Hausmitglied von Tron'Jenar zum anderen!", verkündete sie feierlich und Iman'Dra hob die Brauen. "Oh... so ein gewichtiges Wort verlangst du? Na schön..." Sie lächelte, nahm Dara'Jans Hand und legte sie auf ihre Brust, an die Stelle, unter der ihr Herz schlug. "Dann will ich dir nicht nur mein Wort geben, sondern ich will schwören, von einem Mitglied des Hauses Tron'Jenar zum nächsten, dass ich dich nicht verlassen werde, so lange noch ein wenig Kraft und Leben in mir ist. Qapla!" "Qapla!", rief auch Dara'Jan, die die Wichtigkeit eines solchen Schwurs durchaus einschätzen konnte. Immerhin war sie in der Kultur der Klingonen aufgewachsen und erzogen worden. Dann gab sie ihrer Mutter einen Kuss, bei dem sie sie leicht in die Wange biss. Liebkosungen dieser Art waren üblich in ihrem Volk und sie konnte spüren, wie ihre Mutter ein wenig fester in ihr Haar griff und sich mit ihr drehte, sodass sie beide auf dem Bett zu liegen kamen. "Du solltest jetzt schlafen", meinte Iman'Dra. "Schläfst du bei mir, SoS?", bat das Kind und obwohl Iman'Dra wusste, dass sie sich eigentlich zu A'Wolan begeben sollte, rührte diese Frage sie an.
    Als Dara'Jan noch kleiner gewesen war, bis etwa vor einem Jahr, war es sehr häufig vorgekommen, dass sie bei ihr geschlafen hatte, doch in letzter Zeit merkte man, dass sie allmählich erwachsen zu werden begann. Und obwohl sie noch immer sehr liebevoll und anhänglich gegenüber ihrer Mutter und ihren Tanten und Onkeln war, wurde sie in anderen Dingen privater. Wie es normal war. Iman'Dra störte sich nicht wirklich daran. Doch es war schön, eine solche Bitte doch ab und an noch einmal zu hören. "Lu", antwortete sie von daher, ließ sie für den Moment los und entledigte sich ihrer Rüstung und Waffen, um sich nur in Unterkleidung neben Dara'Jan ins Bett zu legen. Als sie sie erneut an sich zog, entdeckte diese die Diamantfigur, die sie um den Hals trug. "Das ist hübsch", bemerkte sie und nahm sie in die Hand. "Woher hast du das, SoS?" Iman'Dra schwieg einen Moment und strich Dara'Jan übers Haar. "Von deinem Vater", antwortete sie schließlich. "Es war ein Geschenk von ihm." "Wirklich?", murmelte das Kind, inzwischen bereits wieder im Halbschlaf. Es war sehr spät und die Wärme des Bettes und die vertraute Nähe ihrer Mutter machten sie schläfrig. "Das hab ich aber vorher noch nie gesehen..." "Ich weiß, Prinzessin. Ich hab es vorher nie getragen", erwiderte Iman'Dra leise und als sie merkte, dass Dara'Jan bereits eingeschlafen war, gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich liebe dich", flüsterte sie. Noch vor ein paar Stunden hätte sie nicht damit gerechnet, heute neben ihrem Kind einzuschlafen. In Sicherheit. Mit diesem Gedanken schloss auch sie die Augen und ergab sich ihrer Erschöpfung.


    Zwei Tage später war Iman'Dra wieder vollständig genesen. A'Wolan hatte sich gleich am nächsten Morgen um die Reste der Verletzungen gekümmert. Gutes Essen und Ruhe hatten ihr übriges dazu getan. Außerdem hatte sie sich bei Mina für ihren Angriff entschuldigt, die es mit erstaunlich viel Humor genommen hatte. Auch sie war von A'Wolan doch recht schnell wieder hergestellt worden und nun auf die Station zurückgekehrt.
    Iman'Dra indes hatte heute wichtige Dinge zu erledigen. Dinge, die ihr am Herzen lagen und die kein langes Hinauszögern erlaubten - die offizielle Verurteilung von P'Tojas und MiShaH. Sie hatte sich von ihrem Schock erholt und war nun voller Tatendrang, denn es war ihr nicht nur ein persönliches Anliegen, diese Sache angemessen zu bestrafen, sondern ebenso eine wichtige Hausangelegenheit. Jeder, der auf diesem Kontinent und somit unter der direkten Jurisdiktion des Fürstenhauses Tron'Jenar lebte, sollte sehen und wissen, was mit denen geschah, die ihren Eid brachen, zu Verrätern wurden und der Fürstenfamilie Schaden zufügten.
    Zu diesem Zweck war am Morgen das Tribunal versammelt worden. Dieses bestand aus den Oberhäuptern aller unabhängiger Häuser, Klingone oder andere Spezies, die sich unter Tron'Jenars Banner versammelt und ihren Eid auf das Haus geschworen hatten. Die gesamte Arena, die um den Hauptkampfplatz der Feste errichtet worden war, war bis auf den letzten Platz vollständig besetzt. Die, die darin keinen Platz mehr gefunden hatten, konnten das, was darin geschah, über Monitore einsehen, die überall auf dem Gelände errichtet worden waren. Jeder, der es sehen musste, aber auch jeder, der es sehen wollte, bekam die Gelegenheit dazu.
    Iman'Dra stand in einem der Gänge, durch die die Krieger bei einem Duell gehen mussten, bevor sie in die Arena hinaustraten, um sich ihrem Kampf zu stellen. Von dieser Position aus hatte sie einen guten Blick auf den Kampfplatz selbst, auf den MiShaH und P'Tojas in diesem Moment geführt wurden. In dessen Mitte wurden sie an zwei Pfähle gekettet, während es in den vollbesetzten Rängen zu wütendem Geschrei kam, als man ihrer ansichtig wurde. Iman'Dra rührte sich nicht. Noch nicht. Sollten sie die Beschimpfungen erdulden. Es war das Mindeste, was sie verdienten.
    Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und wandte leicht den Kopf um. D'Ankwar trat neben sie. "Es wird Zeit, Schwester. Bist du sicher, dass du es selbst tun willst? Du weißt, du musst es nicht. Ich kann sie ebenso verurteilen." "Ich bin sicher", erwiderte Iman'Dra. "Das hier ist mein Privileg. Ich war ihr Opfer." D'Ankwar nickte. "Dann wird die Familie von der Tribüne aus dein Urteil über die Verräter erwarten", sagte er und wandte sich um, um seinen Platz auf eben jener Tribüne einzunehmen. In die Roben des Hauses gekleidet fanden sich dort die anwesenden Familienmitglieder D'Ankwar, seine Frau Nina, seine Schwester SoHra'jan, sein Onkel Mogh'Tar, seine Tochter Khi'LeisaH und natürlich seine Nichte Dara'Jan. Als der Epetai seinen Platz eingenommen hatte, wurde es still. Man erwartete den Beginn der Verurteilung.
    Noch einen Moment ließ Iman'Dra die Stille wirken, dann setzte sie sich in Bewegung und trat durch den Gang hinaus in die Arena. Sie spürte das Sonnenlicht auf sich, als sie auf den Platz hinaustrat. Es ließ die metallenen Elemente ihrer Kleidung, die Spange, die den grünen Umhang mit dem aufgestickten Wappen des Hauses Tron'Jenar zusammenhielt und die stählernen Schnallen und Sporen an ihren ledernen Stiefeln, glänzen. Ebenso wie den Schmuck, der ihre beiden Hände zierte. Kunstvoll und filigran gearbeiteter Stahl umfing ihre Finger beinahe vollständig. Es war dekorativ, aber zugleich äußerst zweckmäßig. Wenn sie damit zuschlug, würde der Schlag eindrucksvolle Spuren hinterlassen.
    So trat sie in Rüstung, Waffenrock und Umhang, mit hohen Lederstiefeln und dem Waffengurt, der Mithrodin hielt, vor die beiden Gefangenen. Einen Augenblick schwieg sie und suchte ihrer beider Blick. Während P'Tojas sie ansah und Iman'Dra latenten Trotz in seinen Augen zu erkennen meinte, hielt MiShaH den ihren gesenkt. Iman'Dra trat auf sie zu bis sie direkt vor ihr stand. "Selbst jetzt bist du noch feige", raunte sie ihr zu und trat wieder zurück, bevor MiShaH antworten konnte.
    "Krieger!", rief die Herrin der Feste dann mit lauter Stimme, die alle Ränge der Arena zu erreichen schien. "Oberhäupter der Häuser, die uns, dem Haus Tron'Jenar, die Treue gelobt haben! Ihr seid heute hier versammelt um Zeuge davon zu werden, was passiert, wenn man diesen Eid, den ihr alle geleistet habt, bricht!" Sie hielt kurz inne und begann dann langsam vor den Gefangenen auf und ab zu schreiten. "Dies ist KEINE Verhandlung! Dies ist KEINE Suche nach Beweisen! Dies ist eine Verurteilung auf Basis dessen, was sie mir selbst angetan haben und ich stehe für die Wahrheit dieser Geschehnisse mit meinem Wort und meiner Ehre ein! Und wenn irgendjemand von euch, den Oberhäuptern, einen dieser beiden, die hier verurteilt werden sollen, dennoch verteidigen will, so möge er JETZT vortreten, sprechen und sich dem Urteil Tron'Jenars ebenso stellen!"
    Wie es Iman'Dra erwartet hatte, blieb es still auf den Rängen. Niemand war so ehrlos oder so dumm, Partei für die zu ergreifen, die in Ungnade gefallen waren. "Gut! So soll berichtet werden, wie der Eid gebrochen wurde!", fuhr sie schließlich fort. "Ich kam als ihre Herrin und als ihr Gast gleichermaßen in ihre beiden Häuser! Um seine Familie zurückzubekommen, hatte P'Tojas sich vom Empire erpressen lassen... sie sagten ihm, er bekomme Frau und Kinder zurück, wenn er mich ausliefere! Und anstatt seinem Eid treu zu sein und sich auf sein Fürstenhaus zu verlassen, anstatt darauf zu vertrauen, dass wir alles in unserer Macht stehende getan hätten, um seine Familie aus ihrer misslichen Lage zu befreien, wenn er sich uns nur anvertraut hätte, beschloss er, nach den Regeln des ehrlosen Empires zu spielen! Er ließ mich gefangen nehmen und führte selbst die Verhandlungen, um mich ausliefern zu lassen! Er glaubte, Tron'Jenar betrügen und vernichten zu können, um sich und die Seinen zu retten!" Schreie von den Rängen wurden laut. Wilde und wüste Beschimpfungen regneten auf P'Tojas nieder und Iman'Dra ließ sie einen Moment schreien, bevor sie die Hände hob und es wieder still wurde. "Darum...!", begann sie. "... wird P'Tojas nun dazu verurteilt, von Tron'Jenar selbst verschlungen zu werden! Wie ihr alle wisst, ist der Wolf das Wappentier des Hauses, ist der Wolf Tron'Jenar selbst! So höre also, P'Tojas: In sieben Tagen von heute an wirst du mit auf den Rücken gefesselten Händen den hungrigen Wölfen des hauseigenen Rudels zum Fraß vorgeworfen werden! Deine Füße werden nicht gefesselt sein, sodass du versuchen kannst, vor ihnen zu entkommen... doch der Wolf wird dich einholen, P'Tojas! Du kannst dich nicht vor ihm verstecken! Vielleicht für eine kleine Weile, doch nicht auf Dauer! Und wenn er dich gefunden hat, wird er dich vertilgen - wie Tron'Jenar es tut!"
    Jubel kam auf bei diesem Urteil, doch Iman'Dras Blick blieb steinern auf den ehemaligen Präfekten geheftet, der den Blick ebenso starr erwiderte. Er bat nicht um Gnade. Immerhin das. Wenigstens würde er nicht als völliger Feigling in den Tod gehen.
    Dann sah Iman'Dra erneut zu MiShaH. "MiShaH...!", rief sie erneut laut und der Lärm verebbte. "Du warst P'Tojas ausführende Hand! Aus Dummheit und falscher Loyalität hast du Freundschaft und Eid verraten! Er mag der Kopf dieser Operation gewesen sein, er mag all das geplant haben - doch DU warst diejenige, die die Hand gegen mich erhob! Es war dein Blutwein, den ich im Geiste der Gastfreundschaft ohne Argwohn trank, der mich betäubte! Es war dein Keller, in dem ich gefangen gehalten wurde! Es waren deine Ketten, die mich beinahe erstickten und dein Phaser, dessen Strahl mich traf! Es waren deine Worte, die mich beleidigten und verhöhnten und ich sage dir hier und heute, dass ich mein Versprechen halten werde!"
    Iman'Dra blieb stehen und sah ihr fest in die Augen. "Ich habe dir an diesem Tag versprochen, dass die Krähen das, was von dir übrig bleibt, von den Mauern der Feste kratzen müssen, wenn du mich nicht freilässt! Hier ist also dein Urteil: Morgen zur Mittagsstunde sollen dir mit einem Dolch überall am Körper Wunden zugefügt werden! Jedoch nicht schlimm genug, um dich verbluten zu lassen! Sodann sollst du an die Außenwand der Feste in Höhe der Zinnen gekettet werden, auf dass deine Wunden Vögel anlocken, die sich ihrer annehmen! Dort sollst du hängen bis zum Tod und darüber hinaus, als Mahnmal für das, was mit Verrätern geschieht!"
    Iman'Dra machte sich nicht die Mühe, die Auswirkung ihres Urteils in MiShaHs Augen zu lesen. Sie spuckte vor den beiden auf den Boden, wandte sich um, neigte den Kopf vor Epetai, Zantai und Vestai des Hauses, die auf der Tribüne standen und verließ unter den Schreien des Tribunals die Arena.

    Das Erste, was Iman'Dra wahrnahm, war das Gefühl von kaltem Wasser, das ihr über das Gesicht und in den Mund lief. Reflexartig versuchte sie zu schlucken, doch es gelang ihr nicht recht und hustend kam sie langsam zu sich. Ihre Kehle war trocken, rau und brannte trotz des Versuches, ihr Wasser einzuflößen. Doch dies war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die in ihrer Brust tobten. Selbst sie, die in ihrem Leben bereits reichlich Schmerzen durchgestanden hatte, war kurz davor zu schreien, als sie sich auch nur ein wenig zu bewegen versuchte.
    All das spürte sie noch bevor sie richtig bei sich war. Ebenso wie sie spürte, dass sie jemand hielt und wohl auf sie einsprach, doch sie konnte den Worten für den Moment nicht folgen. Es kostete sie bereits genug Mühe, die Augen aufzuschlagen und wirklich zu Bewusstsein zu kommen. Und so blinzelte sie nur mühsam und sah das Gesicht eines Mannes über sich. Eines Klingonen mit erstaunlich hellen, grün-blauen Augen, schulterlangem braunen Haar und einem Bart. Er lächelte ein wenig und wirkte freundlich, während er leise mit ihr sprach und Iman'Dra war sich sicher, dass sie ihn kannte. Aber dennoch ließ sein Griff, der sie festhielt, sie unweigerlich erschaudern.
    Plötzlich wusste sie auch warum. Die latente Taubheit, die sie durch die Bewusstlosigkeit noch immer umklammert gehalten hatte, wich aus ihrem Kopf und aus ihren Gliedern und die Wirklichkeit kehrte zumindest so weit zu ihr zurück, dass sie nun wusste, wer dieser Mann war. Es war Rag'Nar von Lao'Koon - und somit die wohl letzte Person, von der sie je wieder berührt werden wollte. Adrenalin strömte durch ihr Blut, ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. In diesem Moment des Aufwachens konnte er eine tiefe Angst in ihnen erkennen, die sie ihm sonst wohl niemals offen gezeigt hätte. Eine Angst, die auf Jahre zurückging, die längst vergangen waren. Doch das wusste sie nicht - hier und jetzt, in diesem Augenblick des Zwielichts zwischen Traum und Wachen, konnte sie nicht erfassen, wo und vor allem wann sie war. Und dass sich inzwischen alles verändert hatte.
    Reflexartig versuchte sie somit nun, von ihm wegzukommen und die schwere Brandwunde in ihrer Brust, die der Phaserstrahl hinterlassen hatte, fauchte förmlich auf bei der ruckartigen und heftigen Bewegung Iman'Dras, sodass diese aufschrie und hilflos wie selten in Rag'Nar stützende Arme zurücksackte. "Beruhigt Euch...", hörte sie ihn leise sagen. "Es ist alles gut. Ihr seid jetzt in Sicherheit."
    In Sicherheit. Würde sie je in Sicherheit sein in seiner Gegenwart? Der rationale Teil ihres Selbst wusste für gewöhnlich, dass die Zeiten, in denen er sie missbraucht hatte, der Vergangenheit angehörten und dass er selbst dazu gezwungen worden war. Ihr Verstand kannte die Geschichte, doch ihr Herz, ihre Seele oder wie auch immer man den Teil in jedem Wesen nennen mochte, dem Rationalität fremd war, würde sich nie vollständig davon erholen. In seiner Gegenwart würde sie sich immer erniedrigt, klein und hilflos fühlen. Vielleicht nicht als dominierende Emotionen, die es ihr unmöglich machten ihm in die Augen zu sehen. Vielleicht nicht einmal als Emotionen, gegen die sie bewusst ankämpfen musste. Aber als beständiges, unterschwelliges Brennen, das sich von dem ihr eigenen Stolz nähren und sie auslaugen wollte.
    "Lass mich... los...", brachte sie mit heiserer Stimme mühsam hervor. Der Ring um ihren Hals hatte so eng gesessen, dass das schwere Atmen ihre Stimmbänder angegriffen hatte. "Wie Ihr wollt", hörte sie ihn erwidern. "Nur werdet Ihr es alleine nicht schaffen." Und tatsächlich ließ er sie los und stand auf, während sie nach wie vor am Boden lag. Sowohl seine Worte als auch die Tatsache, dass es die Angelegenheit nicht angenehmer machte, dass er nun so hoch über ihr stand, ließen sie mit enormer Mühe und mit Kräften, von denen sie nicht wusste, woher sie sie nahm, zur Wand kriechen. "Sag mir nicht... was ich schaffe... und was nicht...", knurrte sie angestrengt und während sie sich hochzuziehen versuchte, formulierte sie die Frage, die sie schon im Sinn hatte, seitdem ihr klar war, wo sie war und was geschehen war. "Was... machst du hier?"
    Rag'Nar beobachtete derweil, wie die stolze Herrin der Feste sich schwer verletzt an der Wand abmühte. Es überraschte ihn nicht, doch auf eine gewisse Art bedrückte es ihn. Sie machte es sich selbst so schwer, aber er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Zu vieles war geschehen, dass jede freundliche Beziehung zwischen ihnen für immer vergiftet hatte. "Ich bin hier, um Euch zu retten, wenn Ihr erlaubt", antwortete er ihr auf ihre Frage und es klang keine Ironie in seiner Stimme dabei. Es würde tatsächlich zu ihr passen, sich von ihm nicht retten lassen zu wollen. Doch andererseits konnte er sich kaum vorstellen, dass ihr eine Reise ins Empire lieber wäre. Und so trat er näher heran, da er ihre Selbstkasteiung nicht mit ansehen konnte und reichte ihr die Hand. "Lasst Euch helfen, Herrin."
    Iman'Dra hielt in ihren kläglichen Versuchen inne und musterte die Hand schwer atmend. Dann sah sie zu ihm auf und in seine Augen. "Plötzlich... so freundlich?", forschte sie nach und eine Mischung aus Misstrauen, Zorn und Hohn war in ihrem Blick zu lesen. "Ich hätte dich... niemals mehr berühren dürfen. Waren das nicht... deine Worte?", zitierte sie einen Teil des gewaltigen Streits, den sie vor nicht allzu langer Zeit im Hof der Feste Tron'Jenars ausgetragen hatten und bei dem es nur den Bitten Dara'Jans geschuldet gewesen war, dass Rag'Nar und Ka'Thara heute noch am Leben waren. Rag'Nar senkte den Blick bei ihren Worten. "Ich hege keinen Groll mehr gegen Euch. Was ich damals sagte war falsch und verseucht von Hass. Ich tue lediglich, was ich Euch und Eurem Haus schuldig bin. Akzeptiert Ihr das?" Finster musterte Iman'Dra ihn noch einen Moment, doch sie war vernünftig genug, um zu wissen, dass sie hier heraus mussten und zu ihrem Leidwesen musste sie sich selbst eingestehen, dass sie aus eigener Kraft nicht auf die Beine kommen würde. Doch immerhin konnte es nicht schaden, wenn Rag'Nar es für ein Privileg hielt, ihr aufhelfen zu dürfen. "Glücklicherweise für dich...", begann sie und ergriff seine Hand. "... gibt es heute jemand anderen, der meinen Zorn... verdient hat." Kaum hatte sie ausgesprochen zog Rag'Nar sie auch schon hoch auf die Füße. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatte, war, dass das rasche Aufstehen einen so starken Effekt auf ihren Kreislauf haben würde. Verletzt wie sie war sackte ihr dieser weg und sie wurde blass, selbst aus ihren Lippen wich die Farbe. Sie strauchelte vor Schwindel und hörte so Rag'Nars Worte nur gedämpft an ihr Ohr dringen. Er berichtete ihr von den Verrätern, dass man sie festgesetzt hatte und wie Qin'Rako, ihr schmiedender neuer Freund, Alarm bei den Feierlichkeiten geschlagen hatte, weswegen sie nun hier waren. Als er jedoch merkte, wie es ihr ging, hielt er inne und stützte sie. "Hast du Wasser?", fragte sie mit gepresster Stimme. "Ja, natürlich... trinkt, dann werden wir nach oben gehen. Dort wird man Euch weiterhelfen. Wie ich Mogh'Tar kenne, hat er mit Sicherheit den Heiler A'Wolan mitgebracht."
    Iman'Dra nahm die Flasche und trank von dem kühlen Wasser. Innerhalb von Sekunden spürte sie, wie es ihr besser ging. Sie hatte seit Stunden nichts getrunken und ihre Ressourcen waren durch die Schusswunde und die für Stunden mangelhafte Sauerstoffzufuhr stark gedämpft. Doch als sie Rag'Nars Worte hörte, setzte sie die Flasche ab und sah ihn überrascht an. "Mogh'Tar ist hier?" Es war im Grunde keine so große Überraschung. Er gehörte zur Familie. Sie gehörte zur Familie. Sie brauchte Hilfe. Er half. So sollten theoretisch alle Familien funktionieren. Iman'Dra wusste, dass das nicht der Fall war. Weswegen sie dankbar war, einer Familie anzugehören, in der diese simple Regel wie ein Uhrwerk funktionierte. Die Mitglieder Tron'Jenars ließen einander nicht im Stich. Was sie jedoch störte an der Sache, war, dass Mogh'Tar es Rag'Nar überlassen hatte, sie aus diesem Kellerloch zu holen, obwohl er selbst da gewesen wäre. Und obwohl er wusste, wie sehr Rag'Nar ihr zuwider war. "Glaubt Ihr wirklich, er hätte sich dieses Abenteuer nehmen lassen?", fragte Rag'Nar überflüssigerweise in ihrem Rücken, doch sie ignorierte ihn. "Und mein... Bruder?", forschte sie stattdessen nach und biss die Zähne zusammen, als sie versuchsweise ein, zwei Schritte nach vorne machte. Der Schmerz trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, aber sie wollte sich aus Rag'Nars Griff lösen. "Er wurde informiert. Er wird sicher bald hier sein. Könnt Ihr laufen?", fragte er und Iman'Dra nickte. "Lu... ohne Hilfe", brachte sie ein wenig mühsam hervor und konzentrierte dann ihre ganze Kraft auf den Weg. "Wie Ihr wollt...", murmelte Rag'Nar, blieb jedoch hinter ihr, um sie notfalls vor einem Sturz bewahren zu können. Er wusste, dass sie keinerlei Interesse daran hatte, sich Mogh'Tar und den anderen Kriegern zu zeigen, während sie sich ausgerechnet auf ihn stützte. Er wusste es und sie wusste es, schon allein da sie beide ebenso wussten, dass alle, die dort oben auf sie warteten, ihrer beider Geschichte kannten.
    So schleppte sich Iman'Dra die Treppe hinauf und sie war sich nicht sicher, ob ihr ein einzelner Gang vorher schon einmal so enorme körperliche Schmerzen bereitet hatte. Wenn ja, dann in den Tagen des Bürgerkrieges im Empire und dies lag mehr als zwanzig Jahre zurück. Sie hatte die letzte Treppenstufe jedoch noch nicht genommen, als sie die laute, raue Stimme des alten Mogh'Tar bereits über sich hören konnte. "Ha! Wie konnte es nur soweit kommen?! Da schickt Kahless mich, um Euch zu retten!" Iman'Dra warf ihm einen kurzen, erschöpften Blick zu. Normalerweise gehörte es zum Alltag auf Tron'Jenar, dass sie ihre Spitzen untereinander austauschten, doch jetzt fehlte ihr die Kraft für eine ausgedehnte Antwort. Und die Muße. "Genießt diesen Moment, alter Mann...", keuchte sie darum nur. Eines jedoch musste sie ihm dennoch unbedingt sagen und sie wusste, dass er die Botschaft dahinter verstehen würde. "Ich... hätte Euch... in diesem Keller... erwartet..." Mogh'Tar nickte. Er verstand sehr wohl. "Ich weiß. Aber ich dachte, er hätte etwas mehr an Euch gut zu machen als ich", antwortete er schlicht und er reichte ihr die Hand, da er sah, wie sehr sie sich quälte. Diesmal zögerte Iman'Dra nicht und nahm die dargebotene Hilfe sofort an, bevor sie vor aller Augen den Boden unter den Füßen verlieren würde. Er war Familie. Tausendmal lieber stützte sie sich auf ihn als auf Rag'Nar.
    Mogh'Tar betrachtete sie derweil. "Kommt. Dieser Waldschrat von einem Heiler wird Euch etwas auffrischen... damit Ihr erhobenen Hauptes nach Hause kommt!" Mit diesen Worten brachte er sie zu A'Wolan, dem alten Hausheiler Tron'Jenars, der sich ihrer Wunden annahm. Er praktizierte für gewöhnlich die etwas rauere Medizin der Klingonen, die Medizin der langsamen Heilungsprozesse und der Narben. Für Klingonen war Schmerz ein Kampf, den es zu bestehen galt und Narben das Siegeszeichen. Doch als er die schwere Phaserwunde sah, griff er nach den Apparaturen der Föderation und die Schmerzen schwanden innerhalb von Minuten auf ein erträgliches Maß. Mogh'Tar stellte sich neben die beiden, während A'Wolan behandelte und berichtete ihr derweil. "Die Verräter sind festgesetzt, ihre Anhänger tot!", ließ er Iman'Dra wissen. Diese nickte. "Gut. Ich will Mi'ShaH und P'Tojas selbst haben. Sie wollten nicht nur mich ins Empire verkaufen..." Wütend blitzte es in ihren Augen auf, als sie daran dachte, dass man sich an Dara'Jan vergriffen hätte, hätte man die Gelegenheit dazu bekommen.
    "Iman'Dra!" Noch bevor Mogh'Tar antworten konnte, stand plötzlich D'Ankwar vor ihnen. Iman'Dra sah auf und spürte sofort Erleichterung in sich aufsteigen. Für gewöhnlich war sie nicht leicht zu erschüttern, aber der Verrat ihrer Freundin und der Gedanke daran, dass sie um ein Haar ins Empire gebracht worden wäre, wo man ihr schon einmal die Hölle bereitet hatte, waren zusätzlich zu ihren Verletzungen eine Belastung, die sie zumindest im Moment schwer hinter sich lassen konnte. Schon im Krieg war D'Ankwar derjenige gewesen, der aus Zufall oder Schicksal immer da gewesen war, wenn sie wirklich Hilfe gebraucht hatte. Dreimal hatte er ihr bereits das Leben gerettet, bevor das Ruustai aus ihnen Bruder und Schwester gemacht hatte. Dieses mit ihm verbundene Gefühl war ihr über all die Jahre hinweg geblieben. Wenn es brenzlig wurde, dann war D'Ankwar nicht weit. Und wenn er da war, dann würde alles gut werden.
    "D'Ankwar... wie gut dich zu sehen...", sagte sie und das erste wirkliche Lächeln seit ihrem Erwachen erschien auf ihrem Gesicht. Sofort war er bei ihr und nahm sie in die Arme. "Alles in Ordnung? Geht es dir gut, Schwester?" Die Sorge war ihm deutlich anzuhören. Die Familie war alles für ihn, so war es schon immer gewesen. Und es war noch nicht lange her, dass man bereits ein Mitglied des Hauses, SoH'rajans Ehemann Ravsai, an die Borg verloren hatte. Ein Verlust, an dem sie alle noch schwer trugen. "Lu... ich habe schon Schlimmeres überstanden", antwortete Iman'Dra und schloss einen Moment die Augen in seiner Umarmung. "Ich dachte, ich hätte schon beinahe alles erlebt. Im Krieg. Schändung. Verlust. Doch ich wurde noch nie von einem Freund verraten... bis heute." Bitter klang ihre Stimme, als sie dies sagte und D'Ankwar nickte leicht. "Vor Verrat ist man niemals sicher. Es sei denn, es ist Familie. Niemand von Tron'Jenar würde dich jemals verraten." In den meisten Familien würde man wohl müde lächeln über einen solch naiven Gedanken. Doch Iman'Dra wusste, dass es in dieser Familie der Wahrheit entsprach. Sie waren zusammengeschweißt worden in Blut, Schweiß und Schreien. Es gab keinen Verrat im innersten Kreis. "Ich weiß", erwiderte sie von daher schlicht. "Und wir werden die Unterhändler kriegen", versicherte ihr Bruder ihr. "Corum ist bereits unterwegs, um ihre Schiffe aufzuspüren." Unweigerlich musste Iman'Dra erneut lächeln, als er Corum erwähnte. D'Ankwars ältester Sohn, der Erbe des Hauses und somit Iman'Dras Neffe. Er war bereits zehn Jahre alt gewesen, als sie dem Haus beigetreten war. Ein mutterloses, scheues Kind zu dieser Zeit, aber er und Iman'Dra hatten einander schnell ins Herz geschlossen. Heute war er ein stolzer Krieger und kommandierte sein eigenes Schiff in der hausinternen Flotte, die mit der Föderation zusammen arbeitete, um die Borg im Alpha-Quadranten in Schach zu halten.
    Doch ihre Gedanken verweilten nur kurz bei ihrem Neffen, bevor sie automatisch wieder zu dem gezogen wurden, dem sie gerade erst knapp entronnen war. "Bei Kahless... das Empire... ich hätte niemals gedacht, dass ich dem Empire noch einmal so nah kommen würde. Es scheint hier so weit weg zu sein. Man wiegt sich so schnell in Sicherheit..." D'Ankwar nickte und sein Blick verfinsterte sich. "Sie versuchen es mit allen Mitteln und du warst das perfekte Opfer. Immer am selben Ort, leichter auszurechnen als alle anderen..." "Sie wollten nicht nur mich", unterbrach sie ihn und ihre ganze Haltung spannte sich an. D'Ankwar musste es spüren, da er sie noch immer festhielt. Und er würde wissen, was eine solche Reaktion bei ihr auslöste. Entsprechend spürte sie, wie auch er für einen Augenblick erstarrte. "Dara'Jan?", fragte er leise und der Schock schwang in seiner Stimme mit. "Lu. Sie wollten Dara'Jan. Bei Kahless, kannst du dir vorstellen, was im Empire mit ihr geschehen würde...?" Jetzt brach ihr die Stimme und sie lehnte ihren Kopf an D'Ankwars Schulter an. Es war selten, dass sie so sehr nach Nähe suchte, so sehr um Fassung rang, doch die Vorstellung ihrer kleinen Tochter, die den Schergen des Empires ausgeliefert war, brachte sie fast um den Verstand. Zu tief waren die Narben, die dieses in sie geschlagen hatte. Zu schwer wog der grausame Mord an zwei Familien, die die ihren gewesen waren zur Zeit des Krieges. Zu präsent waren die Bilder noch immer in ihren Verstand eingebrannt. Auch nach zwanzig Jahren noch.
    D'Ankwar hielt sie unweigerlich fester. "Es ist nicht geschehen. Und es wird niemals geschehen. Das verspreche ich dir. Komm, ich bring dich nach Hause." Er wechselte einen kurzen Blick mit A'Wolan, der ihm zunickte. Zumindest hier hatte er alles für die Herrin der Feste getan, was möglich war. Alles weitere würde auf der Festung geschehen müssen. "Sie ist das Beste, was ich je zustande gebracht habe...", sagte Iman'Dra derweil leise, mit den Gedanken noch immer bei ihrem Kind. "Niemand darf ihr jemals etwas antun." Sorgsam half D'Ankwar ihr auf die Beine. "Es geht ihr gut, Schwester. Sie ist auf der Festung und du wirst sie bald sehen. Alles ist gut. Komm." Mit diesen Worten führte er sie aus dem Haus der Verräterin hinaus und ließ sie beide zurück ins Stammhaus beamen.

    Selbst die Pferde schliefen noch, als Qin'Rako den Stall leise betrat. Er hörte, wie zwei sich in ihren Boxen aufstellten, als er hereinkam, hörte das leise Schnauben und trat schließlich an die Box heran, die das hufkranke Pferd der Herrin der Feste und ihrer Leute beherbergte. Neugierig streckte es seine Nase heraus und sog den Duft des Hafers ein, den der Hufschmied ihm auf der flachen Hand darbot. Dann öffnete es die Lippen und fraß das Kraftfutter aus seiner Hand, wobei es ausgesprochen zufrieden kaute und ihn dabei ansah. Seine Ohren waren aufmerksam aufgerichtet und als die Boxentür geöffnet und es herausgeführt wurde, machte es keinerlei Anstalten, sich die kommende Behandlung nicht gefallen lassen zu wollen.
    Qin'Rako untersuchte den Huf aufmerksam. Die Wunde war durch die modernen medizinischen Maßnahmen, die auch ihm zur Verfügung standen, um Tiere zu behandeln, gut verheilt und der Huf belastbar. Er würde ihn also jetzt beschlagen, das Pferd einige Runden laufen lassen, um zu sehen, ob es mit dem Hufeisen noch lahmte und sollte alles in Ordnung sein, würde er es der Herrin noch heute zurückbringen. SikaCh'Tria war immerhin nur eine Stunde zu Pferd entfernt.
    Und so brach er drei Stunden später nach getaner Arbeit und einem Frühstück, das ihm Vev'Jeyda zubereitet hatte, auf, um noch vor der Mittagsstunde in der Stadt anzukommen. Die Herrin hatte ihm gestern Morgen vor der Abreise gesagt, dass sie mindestens drei Tage in SikaCh'Tria verbringen müsse, um alles dort zu regeln, also musste er sich nicht beeilen. Er hatte noch immer mindestens anderthalb Tage, um ihr ihr Pferd zu bringen. Aber sicher würde sie erfreut sein, wenn er es so früh schaffte. Und Qin'Rako konnte sich schwer vorstellen, dass man sie nicht würde erfreuen wollen. Immerhin war sie die Herrin dieser Ländereien - und ein ausgesprochen angenehmer Gast.


    Als er die Stadt erreichte, waren die Spuren des Sturms, die gestern noch so deutlich zu sehen gewesen waren, beseitigt und der Weg zum Anwesen des Präfekten gestaltete sich problemlos. Dort angekommen trat er an die Wachen heran und grüßte. "Mein Name ist Qin'Rako, ich bin der Schmied des nächsten Dorfes. Die Herrin Iman'Dra ließ eines ihrer Pferde bei mir, weil es verletzt war und sagte mir, ich könne es ihr herbringen. Könnt Ihr ihr melden, dass ich hier bin und sie gerne sehen würde, wenn es ihre Zeit erlaubt?"
    Die Wachen sahen ihn einen Moment stumm an und wechselten dann einen kurzen Blick miteinander. "Die Herrin ist nicht mehr hier", erwiderte dann einer der Männer. Qin'Rako runzelte die Stirn. "Wie kann sie nicht mehr hier sein? Sie ist gestern erst hergekommen und sie sagte mir, dass es mindestens drei Tage dauern würde, den Tribut in der Stadt einzusammeln. Sie muss hier sein." Dieser Satz führte zu einem wütenden Knurren des Wachhabenden, der zuvor gesprochen hatte. "Zweifelst du an meinem Wort, Schmied?! Ich sage dir, die Herrin ist weiter gezogen! Sie wird in einigen Tagen noch einmal herkommen, um den restlichen Tribut einzutreiben! Aufgrund des Hochwassers mussten einige Dinge hier in der Stadt verschoben werden und es ist noch nicht alles geregelt gewesen. Stell das Pferd in den Stall, sie wird es mitnehmen, wenn sie zurückkommt!"
    Qin'Rako verspürte kurz den Drang, seine Faust im Gesicht dieser Wache zu versenken. Er war selten außerhalb seiner Schmiede und seines Dorfes unterwegs und seine Kunden kamen mit Tieren, die beschlagen werden mussten oder anderen Aufträgen zu ihm, was ihm immer den Vorteil des Hausrechtes verschaffte. Er war nicht sonderlich gut darin, sich sagen zu lassen wem und wem nicht er seine Meinung ins Gesicht schleudern durfte - oder eben seine Faust. Hier jedoch wusste er, dass es unschöne Konsequenzen haben konnte, wenn er sich nicht zurückhielt. Die Wachen des Präfekten anzugreifen, hieß, den Präfekten selbst anzugreifen und er hatte wenig Lust, die nächsten Tage hinter einem Kraftfeld zu verbringen.
    Er nickte also. "Gut. Zeigt Ihr mir den Weg?" Die Wache schnaubte verächtlich. "Brauchst du ein Kindermädchen, Schmied? Kriechst du so selten aus deiner Werkstatt heraus ins Tageslicht, dass du dich auf einem größeren Grundstück nicht alleine zurechtfindest? Wir haben einen Posten zu wahren hier, wir spielen nicht den Fremdenführer für dich. Die Ställe sind südlich vom Haupthaus durch den Torbogen durch, gleich neben den Koppeln. Geh und such, alter Mann." Damit ließen sie ihn mit dem Pferd der Herrin auf das Gelände. Sein Gesicht war steinern, während er die Beleidigungen der Wachen hinnahm ohne mit Worten oder Taten darauf zu reagieren. Sie suchten eine Entschuldigung, um sich mit ihm anzulegen, doch Qin'Rako würde sie ihnen nicht geben. Er wusste genau, wie eine solche Situation ausgehen musste, denn selbst wenn er sie im Kampf bezwang - und er sah recht gute Chancen dafür, denn seine tägliche Arbeit hatte ihn stark und ausdauernd werden lassen - würde man ihn am Ende für eine Sache zur Rechenschaft ziehen, die er nicht begangen hatte. Also schwieg er, auch wenn er sein Blut vor lauter Wut in den Ohren rauschen hörte und sich seine Faust fest um den Strick krampfte, mit dem er das Pferd hielt.
    Er folgte dem Weg bis zum Haupthaus, das von Weitem zu sehen war und südlich vom Tor lag, weswegen es simpel war, sich auch weiterhin in südlicher Richtung zu halten, da er schlicht am Haus vorbei laufen und auf dem Weg bleiben musste. Er passierte einen kleinen Hain und erreichte schließlich die ersten Koppeln, was das Pferd, das er führte, zu einem Wiehern veranlasste, da es seine Artgenossen witterte und sah. Die Pferde auf der Koppel hoben die Köpfe und hörten für den Moment auf zu grasen. Zwei von ihnen gaben dem Neuankömmling Antwort, doch Qin'Rako hielt sich nicht mit den Pferden auf der Koppel auf. Er sollte dieses hier in den Stall stellen und genau so würde er verfahren. Und so führte er das Pferd weiter zu den angrenzenden Stallungen, öffnete die hölzerne Tür und ging hinein, um nach einer leeren Box zu suchen. Ihn empfing der typische warme Geruch nach Tier, Leder und Heu, der jedem Stall ähnlich zu eigen war. Die hier stehenden Pferde streckten neugierig ihre Nasen heraus und ihre Ohren drehten sich aufmerksam zu dem Geräusch der klappernden Hufe ihres Freundes.
    Ihres Freundes. Qin'Rako blieb verblüfft stehen. Er hatte es gedacht, doch begriff erst jetzt, was er gedacht hatte. Begriff damit auch erst jetzt, was er sah. Diese Pferde begrüßten keinen ihnen fremden Artgenossen, sondern einen, der ihnen vertraut war aus dem heimischen Stall - denn dies waren die Pferde der Herrin Iman'Dra und ihres Trosses.
    Der Schmied schnappte einen Moment nach Luft, seine Gedanken rasten. Warum hatten die Wachen behauptet, dass die Herrin und ihre Leute weiter gezogen seien, obwohl dies ganz offensichtlich nicht stimmte? Denn wie wahrscheinlich war es schon, dass sie weiter zogen ohne ihre Tiere mit sich zu nehmen? Und hätte sie ihm nicht immerhin eine Nachricht gesandt oder wenigstens hinterlassen, um ihn wissen zu lassen, dass er das Pferd einige Tage später zu ihr bringen sollte? Nein, irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Und er musste herausfinden, was vor sich ging. Zwar war es ein verrückter Gedanke, dass irgendjemand auf Tron'Jenar-Gebiet auf die Idee käme, der Schwester des Epetai etwas anzutun - und tatsächlich hoffte Qin'Rako noch immer, dass hier ein Missverständnis vorlag - aber bevor er nicht sicher wissen konnte, dass sie und ihre Leute in Sicherheit waren und alles seine Ordnung hatte, musste er versuchen zu verstehen, was passiert war.
    Und so stellte er das Pferd rasch in eine leere Box und verließ den Stall leise, jetzt ausgesprochen froh über die Arroganz der Wachen, die ihn nicht hatten führen wollen. Immerhin waren sie ihm nicht im Weg. Er versteckte sich in dem Hain, den er vorhin erst durchquert hatte und der ihm gleichzeitig Sichtschutz und einen guten Blick auf das Haupthaus gewährte. Dort schien jedoch alles ruhig zu sein. Wenn er mehr herausfinden wollte, dann musste er näher herankommen.
    Und so schlich der alte Schmied zum Haus und um dieses herum bis er unter einem auf Spalt geöffneten Fenster im Hinterhof stehen blieb, sich nahe an die Wand drückte und dem hektischen Gespräch lauschte, dass im Raum hinter jenem Fenster geführt wurde.
    "... das Kind nicht dabei ist. Nein, nein, das habe ich Euch nicht zugesagt. Ich habe gesagt, dass die Tochter vielleicht dabei ist." Qin'Rako lauschte so intensiv er konnte, aber es schien sich keine zweite Person im Raum er befinden. Zumindest antwortete niemand in der gleichen Lautstärke und doch glaubte der Mann, eine leise Stimme zu hören. Es klang, als käme sie aus einem Terminal, doch war es zu leise, als dass er die Antwort wirklich verstanden hätte. "Aber ich habe sie! Das ist viel wichtiger, das Kind wäre doch nur ein Zusatz gewesen! Gebt mir meine Familie zurück, ich schwöre Euch, dass der Epetai von Tron'Jenar nach Eurer Pfeife tanzen wird, sobald Ihr ihm zeigt, dass Ihr seine Schwester habt. Diese Ideologie der perfekten Familie geistert doch schon immer durch D'Ankwars Kopf..." Wieder kam eine Antwort aus dem Terminal, die Qin'Rako nicht verstand. "Natürlich ist sie am Leben! Und ich hoffe für Euch, dass meine Familie auch am Leben ist! Ich will einen Austausch oder Ihr bekommt Iman'Dra von Tron'Jenar nicht lebend..."
    Qin'Rako zog sich langsam und leise vom Fenster zurück und atmete erst ein wenig auf, als er den Hauptweg in Richtung Tor wieder erreicht hatte, wo er keinen Verdacht erregte. Zügigen Schrittes ging er zu diesem zurück, lief an den Wachen vorbei, dankte ihnen mit einem Nicken und verschwand rasch, bevor man ihn aufhalten konnte. Er musste zum Stammhaus Tron'Jenar, so schnell wie möglich. Er wusste nicht genau, wo die Herrin war und was mit ihr passiert war. Aber er wusste, dass er Hilfe holen musste, bevor noch Schlimmeres geschehen würde.

    Es roch nach frischem Brot, Schinken, eingelegtem Fisch, Kräutern aller Art, altem Holz und dem etwas modrigen Eigengeruch, der Kellern zu eigen war, als Iman'Dra allmählich wieder zu sich kam. Sie nahm die Gerüche und den nackten Steinboden unter ihrem Körper wahr noch ehe sie sich recht erinnerte, was geschehen war. Erst als sie versuchte sich hoch zu stemmen und dabei von einem starken Gewicht um ihren Hals gehindert wurde, da es ihr beinahe die Luft abschnürte, kamen die Bilder zurück und ließen Leben in sie kommen. Sie riss die Augen auf, legte ihre Hände um das Ding um ihren Hals und bemerkte, dass es ein Halsring war, gefertigt aus schwerem Eisen und verbunden mit einer Kette, die man an der Wand befestigt hatte. Sie setzte sich rasch auf und versuchte sich umzusehen so gut sie konnte, was nicht leicht war, da der Ring so eng saß, dass sie sich auf das Atmen konzentrieren musste. Auch um ihre Füße hatte man Ketten gelegt, nur die Arme konnte sie bewegen, doch ohne die Schlüssel würde sie die Ketten ohnehin nicht loswerden können.
    Nachdem sie sich orientiert hatte, stellte sie tatsächlich fest, dass Mi'ShaH sie offenbar in ihrer Vorratskammer im Keller untergebracht hatte. Um sie herum standen Fässer voller Blutwein und gepökeltem Fleisch und Fisch, auf den Regalen stapelten sich Brote, Käse, Bündel voller getrockneter Kräuter und Früchte, Gläser voll mit Eingemachtem und Säcke voller Salz, Zucker und anderer Gewürze. Iman'Dra konnte all das nur schemenhaft wahrnehmen, denn es war recht dunkel, nur ein wenig fahles Licht fiel durch den Schacht vor dem kleinen Kellerfenster. Es musste sehr früher Morgen oder später Abend sein. Iman'Dra hatte keine Ahnung, wie lange sie außer Gefecht gesetzt worden war.
    Wäre die Situation nicht so undurchschaubar und entsprechend ernst für sie, hätte Iman'Dra aufgrund ihrer Absurdität wohl lachen können. So jedoch lauschte sie allerdings schlicht und nach einer Weile hörte sie tatsächlich Schritte näher kommen und ihre Augen, die sich inzwischen an die Dunkelheit um sie herum gewöhnt hatten, richteten sich auf die Tür aus, als diese einen Spalt geöffnet wurde. Sie wusste, dass es Mi'ShaH war.
    "Wirklich?", knurrte Iman'Dra leise und der Schatten in der Tür zuckte zusammen. Offenbar hatte sie damit gerechnet, dass ihre Gefangene noch schlafen würde. "Du betäubst mich und kettest mich wie ein Tier in deiner Vorratskammer an? Ist das dein Ernst? Hast du den Verstand verloren?" Das plötzliche Licht, welches aufflammte, als Mi'ShaH die Deckenbeleuchtung einschaltete, blendete Iman'Dra und sie schloss reflexartig die Augen. Als sie sie langsam wieder öffnen konnte, sah sie Mi'ShaH am anderen Ende des Raumes stehen, ihr genau gegenüber, einen Phaser in den Händen, mit dem sie auf sie zielte. Iman'Dra schnaubte verächtlich. "Was? Hast du Angst oder warum zielst du damit auf mich? Angst vor einer Angeketteten? Tu doch nicht so, als würdest du mich erschießen wollen. Wenn du mich, aus welchem Grund auch immer, hättest töten wollen, hättest du bereits reichlich Gelegenheit dazu gehabt. Also, nimm das Ding runter und sag mir, was das hier soll."
    Mi'ShaH schien ihr nicht zuzuhören, der Phaser blieb weiterhin auf Iman'Dra gerichtet. "Eine falsche Bewegung von dir und du wirst gleich schön weiterschlafen...", drohte sie und Iman'Dra seufzte. "Ich bin angekettet, Mi'ShaH. Hör mit dem Geseier auf und sag mir, was hier vor sich geht! Du kommst nicht aus Lust und Laune nach zehn Jahren auf die Idee, mich zu betäuben und in deinem Keller festzuhalten, während du eine Waffe auf mich richtest. Also was? Bist du eine Spionin und ich zu blind, um es zu sehen?" Mi'ShaH schnaubte wütend auf. "Dafür hälst du mich? Für eine Empire-Spionin?" Iman'Dra hob die Brauen. "Ich sitze festgekettet in deiner Vorratskammer und du richtest eine Waffe auf mich", wiederholte sie erneut und fragte sich für einen Moment ernsthaft, ob Mi'ShaH nicht doch schlicht und ergreifend verrückt geworden war. "Warum solltest du das tun, wenn nicht für das Empire?"
    Eine Weile schwieg Mi'ShaH und man sah ihr an, dass sie mit sich rang, ob sie Iman'Dra nun eine Antwort geben sollte oder nicht. Doch offenbar war sie der Meinung, ihre sehr zweifelhafte Ehre verteidigen zu müssen. "Ich bin keine Spionin!", brach es aus ihr heraus. "Aber sie haben seine Familie, sie haben sich mit ihm in Verbindung gesetzt und sie wollen ein Mitglied des Fürstenhauses im Austausch! Das Haus Tron'Jenar ist dem Empire schon so lange ein Dorn im Auge und sie wollen ein Druckmittel gegen den Epetai! Und als er mich fragte, ob ich ihm helfe, als klar war, wann du in die Stadt kommen würdest, da... bei Kahless, ich liebe ihn!", fauchte Mi'ShaH Iman'Dra so wütend an, als sei die ganze Sache ihre Schuld, während deren Verwirrung immer mehr wuchs. "P'Tojas Familie?" Denn sie wusste genau, wen Mi'ShaH liebte, auch wenn sie es nie hatte zugeben wollen. "Die, die seit zehn Jahren tot ist? Diese Familie? Ist euch beiden Genies schon einmal der Gedanke gekommen, dass das Empire lügen könnte?" "Sie lügen nicht... die Aufnahmen, die sie geschickt haben, zeigten seine Frau und seine Kinder, die inzwischen erwachsen sind. Sie sind seit Jahren in Gefangenschaft."
    Iman'Dra fielen auf Anhieb sehr viele Dinge ein, die an dieser Geschichte faul sein könnten. Sie zweifelte nicht daran, dass Mi'ShaH die Wahrheit sagte und das Empire P'Tojas erpresste, doch sie wagte sehr arg zu bezweifeln, dass der versprochene Preis tatsächlich vorhanden war und - falls doch - tatsächlich gezahlt werden würde. Doch eine Sache verwirrte sie noch mehr und sie zog irritiert die Brauen zusammen. "Und... warum... hälst DU mich dann gefangen und nicht P'Tojas? Was hast du damit zu schaffen?" "Ich sagte doch schon, ich liebe ihn! Er bat mich um meine Hilfe, weil er weiß, dass wir befreundet sind und weil er weiß, wie sehr ich ihn liebe und... ich konnte es ihm nicht abschlagen." Iman'Dra konnte nicht anders, sie musste lachen bei dieser Antwort. Ein sehr zynisches, freudloses Lachen. Hämisch geradezu. Ein Lachen, das in den Ohren schmerzte. "Und du tust all das, um P'Tojas dabei zu helfen, seine Frau zurückzubekommen? Damit er sich, sobald er sie wieder hat, von dir lossagt und du mit deiner Liebe allein da stehst? Ohne Heim, weil er sich mit dir auf der Flucht sicher nicht mehr belasten würde und du dich nirgendwo auf dem Gebiet des Hauses Tron'Jenar mehr sehen lassen könntest, wenn du auch nur mit einer Handbewegung an der Überführung der Schwester des Epetais ins Empire beteiligt gewesen wärst? Dafür riskierst du deine Ehre und dein Leben? Du lässt dich von ihm benutzen? Ich hatte dich für sehr viel klüger gehalten, Mi'ShaH!" "Oh, erspar mir deine Weisheiten!", fauchte diese ihr wütend entgegen. "Wer hat sich denn monatelang missbrauchen lassen, um ihr kleines Liebesgeheimnis zu schützen? Wer hat die Befehle des Epetai ignoriert und hinter seinem Rücken eine heimliche Beziehung geführt, weil sie den kleinen Schmied nicht gehen lassen konnte? Warst das nicht du? Also hör auf mich zu belehren, was man und was man nicht alles aus Liebe tut!"
    Nun sah Iman'Dra sie mit Todeskälte im Blick an. Dies waren Erinnerungen, an denen man besser nicht rühren sollte und die sie nicht jedem anvertraut hätte. Dass eine der Personen, die sie für vertrauenswürdig genug gehalten hatte, um ihr ihre Geschichte zu erzählen, jetzt vor ihr stand und bereit war, sie dem Empire auszuliefern, machte sie rasend vor Wut. Doch mühsam zwang sie ihren Zorn zurück, er würde ihr jetzt keine Hilfe sein. "Na schön...", sagte sie leise. "Dann versuch ich es dir anders begreiflich zu machen: Du wirst sterben, wenn du dich noch weiter in diese Sache verstrickst. Du hast genau eine Chance, mit einem blauen Auge aus dieser Angelegenheit herauszukommen - lass mich frei. Jetzt sofort. Lös die Ketten und hilf mir, P'Tojas zu stellen als der Verräter, der er ist. Tu das und du wirst leben. Tu es nicht und die Krähen werden das, was von dir übrig bleibt von den Außenmauern der Feste kratzen müssen, wenn ich mit dir fertig bin." Mi'ShaH lächelte nur dünn. "Spar dir deine Drohungen, Herrin der Feste. Du wirst bald im Empire sein und sie werden sich enorm freuen, dich dort zu sehen. Vermutlich haben sie schon ein ganzes Programm für deine Begrüßungsfeier zusammen gestellt. Ich habe gehört, ihre Foltermethoden sollen inzwischen sehr fortschrittlich sein. Dumm nur, dass du deine Kleine zu Hause gelassen hast. Eigentlich wollte das Empire euch beide haben. Du weißt schon... Mutter und Kind für Mutter und Kind. Außerdem glaubte man, der Epetai würde schneller auf die Drohungen anspringen, wenn man ihm seine kleine Nichte in gewissen... Positionen vorführen könnte."
    Iman'Dra wusste kaum, wie ihr geschah, denn als Mi'ShaH das sagte, wallte der Zorn so mächtig in ihr auf, dass es ihr Blut schier zum Kochen brachte und sie fuhr auf, blind vor Hass. Weit kam sie jedoch nicht. Der enge Ring um ihren Hals drückte bei der ruckartigen Bewegung so rapide auf ihren Kehlkopf, dass sie hustend und würgend zurückprallte. Im selben Moment traf sie Mi'ShaHs Phaserstrahl aus nächster Nähe und brannte sich so brutal schmerzhaft in ihre Brust, dass sie aufschrie und im selben Moment aufgrund der betäubenden Wirkung des Strahls bewusstlos zusammen brach. Und nur das stabile Knochengerüst der Klingonen sorgte wohl dafür, dass sie diesen Schuss überlebte.

    Am nächsten Morgen hatte Iman'Dra eine reichlich verkaterte Truppe vorgefunden, die sich murrend und widerstrebend kurz nach Sonnenaufgang auf ihre Pferde begeben hatten. Nichts, was Iman'Dra wirklich ernst genommen hätte, sie kannte die Missstimmung, die einer Nacht voller Blutwein folgte gut genug, um zu wissen, dass die Krieger nach ein paar Meilen schon munter werden würden. Bis dahin würde der Raktajino seine Wirkung entfalten und wenn das noch immer nicht half, würde sie ihnen mit Freude einzeln den Kopf unter Wasser stecken und ihn dort halten bis sie ein wenig Wasser eingeatmet hatten. Das würde sie vielleicht lehren, sich auf der Tributreise nicht um den Verstand zu saufen und am nächsten Tag nicht einsatzfähig zu sein.
    Da diese Behandlung der Herrin bereits bei früheren Reisen tatsächliche Anwendung gefunden hatte, forderte es diesmal allerdings niemand heraus und die Stimmung besserte sich wie Iman'Dra es vorausgesehen hatte. Der Sturm war über Nacht vorüber gezogen, das kranke Pferd würde bei Qin'Rako unterkommen bis der Huf vollkommen ausgeheilt war und der Reiter hatte sich im Dorf ein anderes Pferd ausleihen können, sodass dem Aufbruch nichts entgegen gestanden hatte.
    Der Sturm hatte ausreichend gewütet, um die Straßen zum Teil unpassierbar zu machen und sie mussten wesentlich weitere und durchaus schwierige Umwege in Kauf nehmen, um zu ihrem Ziel zu gelangen und Iman'Dra schickte einige ihrer Leute aus, um bei den umliegenden Höfen nachzufragen, ob sie mit den Sturmschäden zurechtkamen oder Hilfe von der Stadt SikaCh'Tria brauchten, auf die sie nun zu ritten.
    Doch auch SikaCh'Tria hatte der Sturm nicht unerheblich beschädigt, wie sie feststellten, als sie auf dem Weg zum Hause des Präfekten am Flussgebiet vorbeikamen. Dieser war über die Ufer getreten und hatte ein Chaos hinterlassen, dem die Stadtbewohner gerade mühsam Herr zu werden versuchten. Trümmer von Häusern, Stoff, Abfall, Haushaltsgegenstände, Körbe, Nahrungsmittel, Werkzeuge, ganze Fahrzeugteile - all das schwamm in einem wilden Durcheinander im Hochwasser nahe des Flusses.


    "Herrin Iman'Dra", grüßte der Präfekt, als sie schließlich im Hof seines Anwesens ein ritten und verneigte sich tief vor ihr. "Es war alles vorbereitet für Euer Eintreffen und dann kam uns dieses Unwetter dazwischen. Ich bitte um Verzeihung, dass ich deswegen nun ein wenig in Eile bin. Aber der Tribut der Stadt steht bereit für Euch und ebenso ist Unterkunft in meinem Haus für Euch und die Euren vorbereitet worden. Ihr könnt Euch gerne von der Reise ausruhen und heute Abend speisen wir zusammen..." Iman'Dra sah ihn freundlich an, da sie merkte, wie sehr er sich trotz des Hochwassers bemühte, es ihr so recht wie möglich zu machen. "Macht Euch keine Mühe, P'Tojas, wir haben nur zwei Stunden bis hierher gebraucht und haben reichlich Kraft übrig. Aufgrund des Sturms haben wir in einem Eurer Dörfer nur eine Stunde entfernt übernachtet. Die zweite Stunde haben wir lediglich wegen der Umwege gebraucht, die wir reiten mussten, um den Sturmschäden auf der Straße aus dem Weg zu gehen. Also, ich stelle Euch gerne meine Leute zur Verfügung, um bei den Aufräumarbeiten behilflich zu sein und werde mich selbst mit der Festung in Verbindung setzen, damit man Leute und Material schickt, die in der Stadt und im umliegenden Gebiet gebraucht werden. Um den Tribut kümmern wir uns später." P'Tojas wirkte enorm erleichtert nach dieser Ansage und so folgten die etwas mehr als zwanzig Krieger, die Iman'Dra bei sich hatte, ihrem Wort und halfen den Stadtbewohnern bei der Beseitigung der Hochwasserschäden und sie selbst schloss sich, nach dem Gespräch mit der Feste, den Arbeiten an.


    Und so verging der Tag. Er war anstrengend, aber auf eine gute, lohnende Art und Weise, da man die Fortschritte deutlich sehen konnte, nachdem das Wasser sich nach und nach zurückzogen hatte. Als die Dunkelheit hereinbrach, waren sie alle rechtschaffen erschöpft und wurden dafür im Haus des Präfekten P'Tojas üppig verköstigt. "Ich muss sagen, Herrin Iman'Dra", führte er mit seiner tiefen Stimme. "Ihr kamt gerade zur rechten Zeit hierher." "Und ich muss sagen, P'Tojas, dass es mich sehr verwundert, dass Ihr noch nichts dagegen unternommen habt, dass der Fluss so leicht über die Ufer treten kann bzw. dass Ihr zugestimmt habt, dass hier so unklug gebaut wurde. Die Häuser stehen viel zu nah am Ufer. Ich habe Euch schon einige Male gesagt, dass es sinnvoller wäre, Polder zu arrangieren und diese mit Dämmen zu umgeben. Wenn Ihr dieses Bauprojekt dem Fürstenhaus vorstellen würdet, würdet Ihr Unterstützung erhalten. Wieso tut Ihr es nicht?" Verlegen rutschte P'Tojas auf seinem Stuhl herum. "Weil die Diskussionen mit den Hausbesitzern doch recht hässlich wurden. Sie weigern sich verständlicherweise Ihre Häuser abreißen zu lassen." Iman'Dra brummte. "Nun, dann müssen sie wohl damit leben, dass sie bei jedem stärkeren Sturm weggeschwemmt werden. Idioten. Häuser kann man neu aufbauen. Das werden sie noch früh genug lernen, wenn sie ihre Häuser wegen Hochwasserschäden zum vierten und fünften Mal grundsanieren müssen." P'Tojas murmelte etwas und Iman'Dra ließ das Thema fallen. Zwar gehörte die Stadt zu ihrem Einzugsgebiet, doch sie war nicht dafür verantwortlich, was in ihr geschah. Dies fiel mit dem Präfekten zu, dem sie Rat geben konnte, doch letztendlich oblag es seiner Verantwortung, wie die Stadt geführt wurde. Ebenso wie sie sich um die Führung des Dorfes in unmittelbarer Nähe zur Feste kümmerte.


    Nach dem Essen erhob sie sich und bat den Präfekten darum, sie zu entschuldigen. Den ganzen Tag hindurch hatte sie sich hier in SikaCh'Tria bereits auf eine bestimmte Sache gefreut und jetzt hatte sie endlich Zeit dafür. Und so verließ sie das Anwesen und ging schnellen Schrittes über die dazugehörigen Ländereien bis sie die einfachen Häuser der Arbeiter erreichte, die dem Haus des Präfekten unterstanden. Es waren kleine, solide gebaute Steinhäuser und in den meisten Fenstern konnte sie das Feuer sehen, das im Inneren brannte und sich in den Scheiben wiederspiegelte. Ein köstlicher Duft nach verschieden zubereiteten Mahlzeiten lag in der Luft und ebenso ein Geruch, der typisch für diese Umgebung war. Eine süß-herbe Mischung von Pflanzendüften, die eingefangen ein verführerisches Parfum ergeben würde, dessen war sich Iman'Dra sicher. Doch sie mochte den natürlichen Duft lieber, woraus auch immer er sich zusammen setzte. Zielstrebig ging sie auf eines der Häuser zu und als sie die ihr wohlbekannte rote Bank vor der Haustür sah, musste sie lächeln. Dies war unverkennbar Mi'ShaHs Haus.
    Als sie anklopfte, hörte sie, wie drinnen ein Besteck niedergelegt und ein Stuhl gerückt wurde und rasche, leichte Schritte kamen zur Tür. Als sie geöffnet wurde, erhaschte Iman'Dra noch ebenso den Blick in ein paar bernsteinfarbene Augen, bevor man ihr mit einem Freudenschrei um den Hals fiel. Sie lachte auf und fing Mi'ShaH ab, schloss sie ebenfalls einen Moment in die Arme und ergriff sie dann bei den Schultern, um sie um Armeslänge von sich fort zu halten und anschauen zu können.
    Mi'ShaH war eine Klingonin um die vierzig, die trotz starker Muskulatur recht zierlich für diese Spezies zu sein schien. Irgendwie erweckte sie immer ein wenig den Eindruck, als schwebe sie über dem Boden, während Iman'Dra im Gegensatz dazu etwas unwahrscheinlich Geerdetes an sich hatte. Mi'ShaHs Haar war lang und tiefschwarz und wie gewöhnlich trug sie es in Rastalocken beinahe bis zur Hüfte hinab. Ihr Gesicht war ebenso schmal wie alles an ihr, sie hatte eine gut ausgeprägte Stirnwölbung, eine gerade, spitz zulaufende Nase, volle Lippen und ein breites Lächeln, das sie Iman'Dra nun zeigte. "Da bist du ja endlich! Den ganzen Tag hab ich mich schon gefragt, wann du wohl auftauchst! Wolltest du nicht gestern schon hier sein? Komm rein!" Und mit diesen Worten wurde Iman'Dra ins Haus gezogen, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre, eine Antwort zu formulieren.
    Drinnen war es warm und Mi'ShaH führte sie rasch zu ihrer etwas ungewöhnlichen Sitzecke, die größtenteils aus Kissen bestand, die auf eine sehr akribische Art und Weise auf dem Boden angeordnet waren. Einige Felle dazu und der Kamin in nächster Nähe machte diesen Ort zu einem der bequemsten, den Iman'Dra kannte. Und sie wusste ihn durchaus seit vielen Jahren zu schätzen, obwohl sie jedes Mal unweigerlich an die Räuberhöhle denken musste, die Dara'Jan und SoH seit Jahren nutzten, um gemeinsame Zeit zu verbringen. Bei dieser handelte es sich um ein Zelt, das sie im Garten, der zur Feste gehörte, aufstellten und in etwa so ähnlich einrichteten, wie Mi'ShaH ihre Sitzecke. "Wir sind wegen des Unwetters gestern in einem Dorf geblieben, nicht weit von hier. Ich habe die Gastfreundschaft des dortigen Hufschmieds genossen", lächelte sie vielsagend. Offenbar ein wenig zu vielsagend, denn Mi'ShaH brach in Gelächter aus. "Seine 'Gastfreundschaft'? Wie 'gastfreundlich' war er denn?", zwinkerte sie und Iman'Dra verdrehte die Augen. "Nicht das, was ich meine! Er hat mich in seiner Schmiede schlafen lassen -allein!- und es war... ein vertrautes Gefühl. Eine schöne Erinnerung." Mi'ShaH lächelte. "Oh, gut für dich. Warte, ich bring dir was zu trinken." Und damit verschwand sie in ihrer Küche, während Iman'Dra ihr nachsah.
    Sie hatte Mi'ShaH vor etwa zehn Jahren kennen gelernt, als sie gemeinsam mit P'Tojas nach Tron'Jenar gekommen war. Er hatte es erstaunlich lange im Empire ausgehalten, doch dort Frau und Kinder durch J'Mpoks Politik der Reinheit verloren und war daraufhin mit seinen Leuten geflohen. Wie so vielen Anderen hatte man ihnen Zuflucht auf Tron'Jenar gewährt und nach und nach hatte er sich in seine heutige Position hochgearbeitet. Mi'ShaH war es damals gewesen, die für P'Tojas mit Iman'Dra gesprochen hatte, da er sich zu Beginn von einer schweren Verletzung hatte erholen müssen und Iman'Dra hatte sie spontan gemocht. Bis klar gewesen war, wo man sie ansiedeln würde, hatten sie eine Weile im Dorf bei der Feste gelebt und seit dieser Zeit waren sie befreundet. Iman'Dra war sich allerdings bis heute nicht ganz im Klaren darüber, welche Beziehung Mi'ShaH zu ihrem Herrn pflegte. Doch da sie nie so recht eine Antwort auf diese Frage bekommen hatte, hatte sie sie irgendwann damit in Ruhe gelassen.
    "Wo ist Dara'Jan?" Mit dieser Frage auf den Lippen kam sie mit zwei Krügen zurück, reichte Iman'Dra einen davon und ließ sich dann neben ihr nieder. "Zu Hause", antwortete Iman'Dra und leerte in einem Zug den halben Krug. "Sie wollte nicht mitkommen. Sie hatte Pläne mit ihren Freundinnen, mit denen sie übrigens Waffenbruderschaften eingeht. Das Mädchen wird wohl erwachsen." Mi'ShaH musterte sie. "Und das gefällt dir nicht...", stellte sie fest. "Doch. Natürlich gefällt es mir, so ist der Lauf der Welt. Ich bin stolz auf jeden Schritt, den sie sich weiterentwickelt. Das Kind in ihr wird mir nur fehlen, das jetzt immer weiter verschwinden wird", meinte Iman'Dra nachdenklich. "Es ist schade, dass sie nicht hier ist. Ich hatte mich wirklich auf sie gefreut." "Lu... jeder freut sich auf sie. Sie ist hat ein außergewöhnlich einnehmendes Wesen. Ich bin wirklich..." Iman'Dra schloss einen Moment die Augen. "... wirklich stolz auf sie. Ich hoffe, sie wird..." Wieder unterbrach sie sich und streckte sich leicht auf den Kissen aus. "Bei Kahless...", murmelte sie. "Der Tag war wohl anstrengender, als ich dachte...", murmelte sie. "Bist du müde?", fragte Mi'ShaH sanft nach. "Dann solltest du schlafen. Schlaf ruhig ein hier..."
    Es war irgendetwas in ihrem Ton, das Iman'Dra aufhorchen ließ und plötzlich merkte sie bewusst, wie merkwürdig es war, dass sie auf Schlag so unglaublich müde war. Ein Adrenalinstoß ließ sie bei diesem Gedanken auffahren und sie versuchte auf die Beine zu kommen. "Was... geht hier vor?", brachte sie mühsam hervor, die Worte wollten ihr nicht richtig gehorchen, sie lallte, als habe sie ein halbes Fass Blutwein alleine getrunken. Mi'ShaH lächelte nur. "Du solltest nicht dagegen ankämpfen, liebste Freundin. Es bringt ohnehin nichts. Es tut mir leid, ehrlich. Aber es muss sein." Mit einer Mischung aus Panik und Unverständnis im Blick sah Iman'Dra auf die Frau, die sie bis vor ein paar Sekunden für ihre Freundin gehalten hatte und die jetzt vor ihren Augen verschwamm. Und bevor ihr die Beine wegknickten und das Betäubungsmittel sie zu Boden zwang, war ihr letzter Gedanke, wie erleichtert sie darüber war, dass Dara'Jan in Sicherheit war.

    Iman'Dra und ihre Truppe hatten das Weingut seit etwa vier Stunden hinter sich gelassen, als das Wetter umzuschlagen begann. Wolken zogen am Himmel auf und das Unwetter, dass sie vor zwei Nächten erwartet hatte, schien sich nun über ihnen zu manifestieren. "Beeilen wir uns!", rief sie nach hinten. "Das Wetter wird nicht mehr lange halten!"
    Die Geschwindigkeit des Trosses zog an und eine Weile waren sie recht zügig unterwegs, als sie ein Stück hinter sich ein lautes Fluchen, dann ein schrilles Wiehern und schließlich murrende Stimmen hörte. Sie drehte sich um. "Was geht da vor?", verlangte sie zu wissen. Man informierte sie darüber, dass J'Torqan, einer der neusten Mitglieder in ihrem Tross, gerade dabei war, auf sein Pferd einzuschlagen, da es offenbar nicht recht hinter den anderen herkam. Iman'Dra runzelte die Stirn, zog die Zügel herum und ließ ihr Pferd zum hinteren Drittel des Trosses reiten, wo sie die Szene selbst sehen konnte.
    Der junge Klingone saß auf seinem panischen Pferd, welches die Ohren angelegt hatte und mit den Augen rollte vor Angst, klammerte sich hartnäckig mit den Schenkeln an ihm fest, sodass es ihn nicht abwerfen konnte und schlug mit der Gerte und der flachen Hand auf das sich sträubende Tier ein, das hektisch versuchte, seinen Reiter abzuwerfen, erstaunlicherweise jedoch nicht durchging. Derweil fluchte J'Torqan und schrie wütend auf das Tier ein, was dazu führte, dass er überhaupt nicht auf seine Umgebung achtete.
    Iman'Dra sah sich das Ganze nur einen kurzen Augenblick an, bevor sie näher herankam, ihre eigene Gerte hob und sie dem Krieger schnell, präzise und hart ins Gesicht schlug. Sofort riss die Haut auf und es begann in Strömen zu bluten. Das Blut der Platzwunde lief ihm in sein linkes Auge und der Überraschungsmoment dieses Angriffs ließ seine Konzentration schwinden, sodass das Pferd ihn endlich abwerfen konnte. Während er im Dreck landete, beobachtete Iman'Dra wie das Tier hinkend zu flüchten versuchte. "Fangt es. Und zwar sanft", wies sie die Krieger um sich herum an, dann sah sie zu J'Torqan. "Und du stehst auf, wenn du die richtige Peitsche nicht spüren willst, die wir sicher irgendwo im Gepäck haben!", fuhr sie ihn an. Er war kaum auf die Füße gekommen, als die anderen Krieger bereits mit dem Pferd zurückkamen, das noch immer nervös schnaubte und die Ohren ab und an zurücklegte, aber schon ein wenig ruhiger wirkte. Iman'Dra stieg ab, ging zu dem Tier hin und fuhr sachte über seinen Hals und seine Seiten, spürte den Schweiß des Pferdes unter ihren Händen, der von Angst und Anstrengung gleichermaßen herrühren mochte und beugte sich schließlich hinab, um die Hufe zu kontrollieren. Beruhigend sprach sie auf es ein, während sie es nacheinander die Beine anheben ließ, sodass sie nachsehen konnte. Die linke Seite schien in Ordnung zu sein, als sie jedoch zum rechten Vorderhuf gelangte, sah sie das Problem sofort. Sie richtete sich auf. "Komm her!", herrschte sie J'Torqan an, der diesem Befehl unverzüglich nachkam. "Dein Pferd lahmt und dir fällt nichts Besseres ein, als es zu schlagen? Sieh es dir an, du Idiot!", verlangte sie, ließ das Pferd das Bein wieder heben und nun konnte auch J'Torqan sehen, dass das Hufeisen fehlte. Es musste auf dem Weg verloren gegangen sein. Ein gutes Stück des Hufes war mit dem Eisen abgebrochen. Zwar blutete es nicht, doch es musste dem Tier Schmerzen bereiten, sonst würde es nicht lahmen. "Muss ich mich um so etwas wirklich kümmern? Seid ihr nicht in der Lage, gut mit dem eigenen Reittier umzugehen und zu sehen, dass es Futter und Wasser bekommt und gesund ist? Kinder behandeln ihre Pferde besser als du!", knurrte sie wütend.
    In diesem Moment begann es zu regnen. Iman'Dra sah kurz zum Himmel auf, dann zu dem Krieger, der neben ihr die Zügel des eingefangenen Pferdes hielt. "Binde es an eines der Packpferde an und lass sie im Schritt führen." Dann sah sie zu J'Torqan. "Und du wirst dem Tross zu Fuß folgen bis wir das nächste Dorf erreichen, dass einen Hufschmied hat. Es sollte etwa eine Stunde entfernt sein im normalen Reittempo. Jetzt werden es wohl mindestens zwei Stunden werden." Damit ließ sie ihr Pferd wenden und ritt wieder an die Spitze des Zuges zurück.
    Und so erreichten sie in gedrosseltem Tempo und völlig durchnässt das nächste Dorf. Eigentlich war es zu klein, um für die Tributeintreiber interessant zu sein. Es gehörte zu einer Kleinstadt, die noch eine weitere Stunde zu Pferd entfernt lag und die das eigentliche Ziel der Tagesreise gewesen wäre. Doch es wurde allmählich dunkel und das Wetter war so schlecht, dass Iman'Dra plante, die Nacht hier zu verbringen und erst am Folgetag weiter zu reiten, wenn Pferde und Reiter ausgeruht waren und das Wetter sich bestenfalls ausgetobt hatte.
    Die Schmiede des Ortes war nicht schwer zu finden. Iman'Dra, die sieben Jahres ihres Lebens beinahe alle Nächte und reichlich viele Tage in einer solchen verbracht hatte, erkannte die Geräusche, die aus dem kleinen Haus kamen auch ohne die Einheimischen fragen zu müssen. Und so stieg sie ab, als sie endlich angekommen waren und öffnete die Tür, die vermutlich nur wegen des Regens geschlossen war. Es empfing sie der vertraute Klang eines Hammers, der mit mächtigen Schlägen auf heißen, rotglühenden Stahl geschlagen wurde, um diesen in die Form zu zwingen, die ihm bestimmt war durch die Hand des Schmieds, der so konzentriert war, dass er die Hereinkommende gar nicht bemerkte. Dafür sah eine junge Frau auf, die neben ihm stand und ihm bei der Arbeit zusah. Sie trug Arbeitskleidung, ebenso wie er, weswegen Iman'Dra davon ausging, dass sie wohl seine Mitarbeiterin war. "Qapla!", grüßte die junge Frau und sah zu der durchnässten Klingonin, die in der Tür stand. "Furchtbares Wetter... kommt doch rein und wärmt Euch auf. Kann ich Euch helfen? Oder braucht Ihr nur einen trockenen Platz?" Es war offensichtlich, dass sie keine Ahnung hatte, wer die Frau war, die ihr gegenüberstand, doch das störte Iman'Dra nicht. Sie hatte nichts anderes erwartet, immerhin lag dieser Ort nicht auf ihrer gewöhnlichen Route. "Ghobe", antwortete sie und strich sich die tropfenden Haarsträhnen zurück, damit das Wasser ihr nicht ins Gesicht lief. "Ich bin Iman'Dra Tai Tron'Jenar und mit meinem Tross auf dem Weg, die Tribute einzutreiben. Wir haben 27 Pferde bei uns, eines davon hat sich ein Hufeisen abgelaufen und ein Teil des Hufes ist wohl ebenso abgerissen. Das Tier lahmt. Könnt Ihr Euch um den Huf kümmern? Es neu beschlagen und auch bei den anderen Pferden nachsehen, ob alles in Ordnung ist? Falls noch weitere Pferde beschlagen werden müssen, wäre es gut, wenn es hier erledigt werden könnte, da wir die Nacht ohnehin hier verbringen. Bei diesem Wetter macht es keinen Sinn, noch weiter zu reiten. Es wird sowieso bald dunkel." Sie sprach ruhig weiter, während der jungen Klingonin für einen Moment die Gesichtszüge entglitten, als sie realisierte, dass ein Mitglied der Fürstenfamilie Tron'Jenar vor ihr stand. Doch als die erste Überraschung überwunden war, nickte sie eifrig. "Natürlich, Herrin, das ist kein Problem. Wisst Ihr denn schon wo Ihr und Euer Tross die Nacht verbringen könnt? Bei diesem Regen ist es schließlich nicht ratsam draußen zu kampieren. Hier ist leider viel zu wenig Platz für all Eure Leute, wir könnten nur ein oder zwei hier unterbringen. Aber es gibt ein Gasthaus im Dorf, das sicher Platz für zehn hat. Dort kann man fragen, wo die Restlichen noch unterkommen dürfen. Sicher finden sich Einheimische, die Euch und den Euren Quartier geben würden", sprudelte sie geschäftig hervor. Iman'Dra lächelte ob ihrer lebhaften Hilfsbereitschaft. "Gut. Wie kommen meine Leute zu diesem Gasthaus?" Die Frau drehte sich um und rief laut in das kleine Haus hinein: "GreHr'Tog! Lauf zum Gasthaus und sag ihnen dort Bescheid, dass die Herrin von Tron'Jenar und ihr Tross Quartier brauchen! Und Essen! Und Futter und Stellplätze für über zwanzig Pferde! Und sag Mart'jAh, dass sie nicht so tun soll, als könne sie's nicht aufbringen nur weil sie eine faule Targhkuh ist! Los jetzt!" Nach dieser Ansage stürmte ein etwa vierzehnjähriger Junge nach einer gemurmelten Begrüßung an Iman'Dra vorbei und lief los. "Euer Sohn?", forschte Iman'Dra schmunzelnd nach. "Lu", erwiderte die Frau. "Er soll das Handwerk hier lernen, genauso wie ich es gelernt hab, als ich mit ihm schwanger war. Seit er ein Kleinkind war, bin ich jeden Tag mit ihm hergekommenn. Qin'Rako war so nett uns damals zu helfen", erzählte sie und der Schmied, der wohl auf den Namen Qin'Rako hörte und seine Arbeit gerade beendet hatte, kam nun auf sie zu. "Herrin Iman'Dra", grüßte er sie mit tiefer Stimme. Er war bereits ein älterer Mann, doch stark wie ein Baum durch die Arbeit, die er täglich verrichtete, das sah man ihm an. "Ich habe von drüben mitgehört. Bitte entschuldigt, dass ich nicht gleich zu Euch gekommen bin, aber der Stahl musste geschlagen werden solange er die richtige Temperatur hatte." Iman'Dra lächelte. "Ich weiß", erwiderte sie. Während der Schmied nun hinausging, um sich den Huf des Pferdes anzusehen, das beschlagen werden musste, wandte sie sich wieder der Mitarbeiterin zu. "Ich würde gerne hier übernachten, wenn das möglich ist." "Oh, im Gasthaus wird bestimmt ein schönes Zimmer für Euch frei sein, macht Euch keine Sorgen, Herrin, Ihr müsst heute nicht mehr weiter, ich..." "Ghobe", unterbrach Iman'Dra sie. "Ich meine nicht in diesem Ort. Ich meine hier. Bei Euch. In dieser Schmiede."
    Nun starrte ihr Gegenüber sie einen Augenblick fassungslos an. "Hier? Aber wieso, Herrin? Das hier ist nur eine alte Schmiede, im Gasthaus..." "... hätte ich es bequemer", beendete Iman'Dra ihren Satz. "Ich weiß. Denkt Ihr, ich brauche besondere Bequemlichkeiten nur weil ich den Namen Tron'Jenar trage? Ich schlafe auf dem nackten Boden einer Höhle, wenn es nötig ist. Und ich habe lange nicht mehr in einer Schmiede geschlafen, in der die Feuer noch brennen." "In der die Feuer noch...?" Jetzt endlich schien ihr aufzugehen, worüber Iman'Dra sprach. Es verwunderte sie nicht, dass sie Bescheid wusste. Der halbe Kontinent hatte Geschichten gehört und sich das Maul zerrissen über die Beziehung und spätere Ehe zwischen Iman'Dra, der Herrin der Feste und Henry, dem merkwürdigen Schmied, dem Zauberkräfte nachgesagt worden waren. "Oh...", äußerte sie so nun auch und nickte leicht. "Lu, wenn das so ist... Ihr seid hier bestimmt willkommen. Ich rede mit Qin'Rako."
    In diesem Moment kam der junge GreHr'Tog zurück und schüttelte sich die nassen Haare aus wie ein Hund sein Fell nach einem Regenguss. "SoS, im Gasthaus ist alles bereit, sagt Mart'jAh. Und sie sagt außerdem, wenn du nochmal über sie sagst, dass sie eine Targhkuh sei, würde sie herkommen und dich verprügeln. Ich hab ihr gesagt, dass du ihr den Stiefel so tief in den Hintern rammen würdest, dass er am Mund wieder rauskommt. Und dass wir hier gute Hammer haben", grinste der Junge und die beiden Frauen brachen spontan in Gelächter aus. Iman'Dra sah ihm amüsiert nach, als er wieder in den Tiefen der Schmiede verschwand. "Ein kräftiger Junge", meinte sie zu seiner Mutter. "Und er scheint einen wachen Verstand zu haben. Es wird sicher ein starker Krieger aus ihm." "Lu, das hoffe ich. Nicht so ein Nichtsnutz wie sein Vater. Ist abgehauen, kaum dass ich schwanger war. Habt Ihr Kinder? Lu, nicht wahr? All die Tron'Jenar-Geschwister haben doch Kinder? Ich muss gestehen, dass ich manchmal durcheinander bringe, wer welches Kind hat. Nur die Namen kennt man irgenwie", grinste die Frau verschämt. "Ist das so?", fragte Iman'Dra halb im Scherz und halb im Ernst nach. "Dann solltet Ihr Euer Wissen über das Fürstenhaus, dem Ihr dient, noch einmal auffrischen. Lasst mich Eurem Gedächtnis auf die Sprünge helfen: Mein Bruder D'Ankwar, der Epetai, hat drei Kinder. Corum'Takeru, der der nächste Epetai sein wird, inzwischen bereits erwachsen ist und in der Flotte dient, Sharon Khi'LeisaH, die einzige Prinzessin aus der direkten Linie des Epetai und sein erstes Kind mit der jetzigen Zantai und Keanu Arju'Tai, das derzeit jüngste Hausmitglied. Meine Schwester SoH'rajan, jo'Aj der Flotte und Vestai des Hauses, hat eine erwachsene Tochter namens Ssihanna, die bei den Streitkräften der Föderation dient und ich habe ebenfalls eine Tochter, Dara'Jan, die jetzt zwölf Jahre alt ist. Und jetzt würde mich Euer Name interessieren", fuhr Iman'Dra gleich fort, nachdem sie ihre kleine Zusammenfassung der Familie beendet hatte. "Bei Kahless!", rief die Schmiedegehilfin aus. "Nicht vorgestellt hab ich mich... VeV'Jeyda ist mein Name, Herrin. Es ist mir eine Ehre."


    Etwa vier Stunden später war alles geklärt. Die drei Pferde, bei denen das Beschlagen nötig gewesen war, standen zufrieden in dem kleinen Stall, der zur Schmiede dazugehörte - immerhin brauchte ein Hufschmied Kundschaft - alle anderen Pferde und ein Teil ihrer Reiter waren im Gasthaus untergekommen. Die Übrigen waren quasi über das Dorf hinweg verteilt worden, nachdem sie sich im Gasthaus satt gegessen und freudig betrunken hatten. Iman'Dra ahnte, dass es heute Nacht einige Betten geben würde, die den Kriegern und Kriegerinnen durch Leute aus dem Dorf gewärmt wurden. Ihr war es gleich, sie war zufrieden wo sie war. Qin'Rako hatte ihr sofort seine Gastfreundschaft angeboten, als er erfahren hatte, dass sie gerne bleiben wollte und sie, er und VeV'Jeyda, die sich spontan zum Bleiben entschlossen und ihnen allen eine Mahlzeit zubereitet hatte, hatten einen unterhaltsamen Abend verbracht. Es hatte eine Weile gedauert, sicher bis zum etwa achten Blutwein, bis der Schmiedemeister den Mut aufgebracht hatte, sie nach ihrem verstorbenen Gatten zu fragen. "Verzeiht mir, Herrin, aber ich hatte nie die Ehre, ihn zu treffen. Unter den Schmieden hier wird immer noch von seinen Arbeiten gesprochen, aber die Wenigsten kannten den Meister selbst. Ich meine..." Verlegen brummte er und schwieg, offenbar nicht so ganz wissend, wie er dieses Gespräch führen sollte, da er wohl eher selten mit trauernden Witwen zu tun hatte. Iman'Dra jedoch, von Wein und guter Gesellschaft angeheitert, war selber erstaunt, wie wenig es ihr ausmachte, dass er Henry ansprach. Wie gern sie, im Gegenteil, plötzlich von ihm reden wollte. "Er gehörte nicht zu denen, die gerne Fremde getroffen haben", nahm sie Qin'Rako die Last des Gesprächs ab. "Er war am liebsten für sich in seiner Schmiede und entschied selbst, wann und in welchem Ausmaß er mit anderen Leuten zu tun haben wollte. Ich war eine Ausnahme, die er sich zeitlebens wohl selbst nicht so recht erklären konnte", schmunzelte sie leicht. "Aber ja, er war ein außergewöhnlicher Schmied. Es war wohl eine Technik, die die Klingonen nicht lernen, sondern die bei den Menschen auf Terra in einem bestimmten Land gelehrt wurde und die er im Laufe der Zeit perfektionierte. Ich werde nicht so tun, als hätte ich Ahnung von dem, was er getan hat. Aber wenn Ihr eines seiner Meisterwerke sehen wollte, dann..." Sie stand auf und zog ihr mächtiges Schwert aus der Scheide, um es Qin'Rako zu präsentieren. Der Griff aus festem, guten Leder, durch die jahrelange Verwendung bereits mit ein paar Gebrauchsspuren versehen, lief nach oben hin in einen Wolfskopf aus und schmiegte sich nach unten hin um den beginnenden Stahl der Klinge. Diese verlief nach unten gebogen bis sie schließlich weit unten nach oben schwang und das spitze Ende sich drohend aufwärts reckte. Der elegante Schwung der Klinge erinnerte in seiner Form an ein Raubtier, das auf das nächste Blut der Beute lauerte und dieser Eindruck wurde nur noch durch den schwarzen Schatten verstärkt, der leicht, zur Zeit kaum sichtbar, durch die Klinge huschte und in ihr pulsierte. "Das ist Mithrodin", sagte Iman'Dra leise. "Es ist perfekt auf mich abgestimmt", fügte sie hinzu, während Qin'Rako und VeV'Jeyda das Schwert bewundernd betrachteten. "Und ist es wirklich..." Vev'Jeyda druckste ein wenig herum. "... magisch?", brach es schließlich aus ihr heraus. Iman'Dra schmunzelte. "Ihr hört zu viele Geschichten hier oben", erwiderte sie sachte. "Man erzählt sich viele Dinge über Henry." Sie wusste, dass das keine richtige Antwort war. Und sie wusste ebenso, dass sie log, wenn sie behauptete, dass Mithrodin durch Henry keine besonderen Fähigkeiten erhalten hatte. Aber so sehr sie die beiden mochte, kannte sie sie doch zu wenig, um ihnen die Geheimnisse Henrys und dieser Klinge anzuvertrauen. Im übrigen war es ihr nur recht, wenn das Gerede um Henry den Hexer sich ein wenig beruhigte. Sie würde nichts tun, um es noch weiter anzuheizen.
    Und so schlief sie in dieser Nacht einmal mehr unter dem Dach einer Schmiede ein, in der noch gearbeitet wurde. Sie zog die groben Decken, die Qin'Rako ihr gegeben hatte, fester um sich und spürte dem kratzigen Stoff nach, während sie dabei lauschte, wie der Schmied unten seine Werkzeuge aufräumte und wie der Regen gegen das kleine Haus gepeitscht wurde. Diesmal waren die Erinnerungen keine Qual, sondern ein freundlicher Wink aus einer anderen Zeit. Und ihre Hand wanderte zu der diamantenen Figur, die sie an einer Kette um den Hals trug, bevor ihr letztendlich die Augen zufielen.

    Als die Krieger früh am nächsten Morgen erwachten, fanden sie zu ihrer Überraschung eine Iman'Dra von Tron'Jenar vor, die wie verwandelt wirkte. War sie gestern noch still, kurz angebunden, schroff und schlecht gelaunt gewesen - kurz gesagt jemand, von dem man sich fernhalten sollte, wenn man seinen Kopf noch ein wenig länger behalten wollte - so schien sie an diesem Tag das vollkommene Gegenteil zu sein. Glücklicherweise war es gestern beim Kampf tatsächlich nicht zu Toten gekommen, sodass ihrem Befehl Folge geleistet worden war. Der Verlierer hatte zwar drei Finger eingebüßt, tat dies aber mit einem Wink ab und erklärte der Herrin der Feste, er sei trotz allem vollkommen einsatzfähig, sodass sie nichts zu beanstanden haben konnte.
    Und das hatte Iman'Dra tatsächlich nicht. Es war ein milder Morgen und die Wolken, die gestern noch Regen angekündigt hatten, hatten sich über Nacht verzogen ohne einen einzigen Tropfen über ihnen auszugießen. Die Sonne schien warm und die Natur um sie herum schien sich in ihrem Licht wohlig zu räkeln. Das Frühstück war schmackhafter als sonst, wie es ihr vorkam und als sie dies äußerte, erklärte ihr Tri'MogH, einer ihrer langjährigen Mitstreiter, dass dies sicherlich an der hervorragenden Gesellschaft läge, in der sie es einnehme, was sie zum Lachen brachte. "So muss es sein", stimmte sie zu. "Wer könnte eine Mahlzeit unter freiem Himmel in der Gesellschaft solcher herausragender Krieger nicht genießen? Den Kriegern von Tron'Jenar!", rief sie laut genug, dass man allgemein die Krüge hob - manche mit Raktajino, manche bereits mit dem ersten Blutwein gefüllt - und einen zustimmenden Schrei erschallen ließ.
    Und so machte sich die Truppe bester Stimmung auf den Weg, um die weiteren Tributzahlungen einzutreiben, die unterschiedlichster Art waren. Zwei Dörfer, die vor allem Milch und Korn produzierten, dem Haus ihren Teil abgaben und dafür von diesem mit anderen notwendigen Lebensmitteln, Medizin sowie dem Wohn- und Arbeitsrecht auf ihrem Grund und Boden versorgt wurden, hatten sie bereits gestern passiert. Heute würde man sich zunächst auf den Weg zu den Weingütern machen.
    Erfahrungsgemäß war dieser Teil der Reise weniger angenehm und Iman'Dra war ausgesprochen gespannt, was sie erwarten würde, als sie auf das Anwesen zu ritten, dass dem Verwalter der Weingüter in der Provinz Nim'ChuQej gehörte. "Was, wenn Dra'BoR wieder nicht den Ertrag erbringen kann, den er schuldig ist?", raunte Tri'MogH. Iman'Dra sah ihn an und stellte, wie schon so oft, still für sich fest, dass sie diesen Krieger für einen von Mogh'Tars Bastarden hielt. Erstens sah sie eine gewisse Ähnlichkeit und zweitens hatte sie das Gefühl, dass seine Mutter ihn nicht umsonst Tri'MogH genannt haben könnte. Davon abgesehen hatte er mit seiner Frage allerdings nicht unrecht. Vorletztes Mal hatte Dra'BoR sie nur in Teilen, letztes Mal gar nicht bezahlen können. Es war nicht offiziell ausgesprochen worden, doch sie alle wussten, dass er nur noch diese eine Chance hatte, um nicht nur den fälligen Tribut, sondern auch seine Schulden zu begleichen. Iman'Dra war nicht bekannt dafür, sich auf Dauer zum Narren halten zu lassen. Und sie wusste durchaus, dass Dra'BoR unter vorgehaltener Hand als bester Säufer seines eigenen Weins und nebenbei als eifriger Dabo-Spieler bekannt war. "Wir werden sehen", erwiderte sie nur.
    Als sie das Anwesen zur frühen Mittagsstunde erreichten, öffneten sich dort bereitwillig alle Tore für den Tross der Tributeintreiber und eine ganze Fülle von Personal erschien prompt, um sich um die Pferde zu kümmern und den Reitern Erfrischungen anzubieten. "Eine neue Weinsorte", murmelte Tri'MogH, während er aus dem Krug probierte, der ihm gereicht worden war. "Eisgekühlter Blutwein. Nicht schlecht... ungewöhnlich, aber nicht schlecht." Iman'Dra erwiderte nichts darauf und warf dem Diener, der an sie herantreten wollte, einen scharfen Blick zu. "Wo ist dein Herr?", verlangte sie zu wissen. "Er ist noch nicht im Haus, Herrin. Er hat Befehl gegeben, es Euch und Euren Leuten bis zu seinem Eintreffen so angenehm wie möglich zu machen. Wenn Ihr mir folgen wollt..." "Ghobe!", unterbrach sie ihn unwirsch. Sie hatte Mühe, ihren Zorn zu zügeln. "Ruft ihn. Wo auch immer er ist, wenn er nicht innerhalb einer Stunde vor mir steht, dann wird er nie wieder Gelegenheit zum Stehen haben! Jetzt!" Der Diener machte, dass er davon kam, ohne den Versuch einer Diskussion aufzunehmen.
    Iman'Dra stand einen Moment starr und sah ihm nach. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Dra'BoR hatte gewusst, wann sie kamen. Eine entsprechende Nachricht war von der Feste aus früh genug abgeschickt worden. Und er war kein Bauer, der auf die Felder musste, um zu arbeiten. Er war der Verwalter eines riesigen Weinguts, Andere arbeiteten für ihn. Wenn er nicht hier war, um sie zu begrüßen, dann war dies seine freie Entscheidung gewesen und keiner Notwendigkeit geschuldet.


    Aber eine Stunde verging und ebenso eine zweite. Als sich die dritte dem Ende zuneigte, verlangte Iman'Dra Einsicht in die Bücher des Weinguts zu erhalten. Sie hatte dies mit Dra'BoR gemeinsam tun wollen, aber wenn er es nicht für nötig hielt, ihren Befehlen zu gehorchen, dann konnte sie dies auch sehr gut ohne ihn erledigen. Sie sah den Dienstboten, die ihr die Dateien schließlich öffneten, an, wie ungern sie dies taten. Wie unwohl sie sich dabei fühlten, während sie sich unsichere Blicke zuwarfen und offenbar auf etwas warteten. Und nachdem Iman'Dra sich die Buchführungen eine Weile genauer angesehen hatte, wusste sie auch, worauf. Sie warteten darauf, dass sie explodieren und den Nächstbesten töten würde, der ihr vor die Klinge lief und tatsächlich hätte sie gute Lust dazu.
    "Wo ist dein Herr genau?", fragte sie allerdings stattdessen relativ ruhig nach, stand von ihrem Stuhl auf und ging auf eine Dienerin zu, langsam, Schritt für Schritt und die Frau wich erschrocken im selben Rhythmus zurück. "Ich habe dir eine Frage gestellt und ich werde sie nicht wiederholen. Also?" Die Klingonin straffte sich ein wenig, bevor sie sich eine Antwort abring. "Auf dem Shepard Space Center, Herrin. Er spielt. Man ließ Eure Botschaft ausrichten, doch er... hofft noch immer, die fälligen Schulden im Spiel zurückzugewinnen, bevor er Euch gegenüber treten muss." "Holt ihn zurück. Sagt ihm, seine Herrin erwartet ihn und wenn er in Ehren gehen will, so soll er sich hier einfinden. Sein Spiel ist ohnehin zu Ende. Sagt ihm das. Ich erwarte ihn hier vor Sonnenuntergang. Und sagt ihm, dass sein Schicksal auch dann nicht anders aussehen wird, wenn er gewinnt."
    Damit verließ sie den Raum und ging zu den Leuten ihrer Wache, um kurz zu berichten und sie anzuweisen, sich auf Shepard zu beamen und darauf zu achten, dass der Mann nicht floh. Sie konnten keine Feinde gebrauchen, die sich auf Tron'Jenar nicht mehr blicken lassen konnten und somit auf die Idee kommen könnten, mit dem Empire gegen Tron'Jenar gemeinsame Sache zu machen. Denn auch wenn sich Iman'Dra sicher war, dass das Empire ihn letztendlich töten würde, würden sie dennoch zunächst jeden willkommen heißen, der ihnen Informationen über das abtrünnige Haus geben konnte.
    Wie sich herausstellte, war dies eine gute Entscheidung gewesen. Als die Sonne im Sinken begriffen war, kamen die Wachen zurück und sie hielten Dra'BoR eisern im Schlepptau. Er schien es inzwischen aufgegeben zu haben sich zu wehren, doch sein Gesicht und seine gebrochenen Knochen erzählten Iman'Dra genug, um sie wissen zu lassen, dass er sich sicherlich nicht freiwillig hatte abführen lassen. Sie erwartete ihn im Hof seines Anwesens, wo man ihn ihr vor die Füße warf. Die gesamte Hausmannschaft stand an den Fenstern und in den Türen, um zu sehen, was weiter geschehen würde.
    "Dra'BoR... was für eine Schande, dass wir uns auf diese Weise wiedersehen. Ich hatte mich auf den Tag auf deinem Anwesen gefreut. Doch ohne den Hausherrn ist es nie so recht dasselbe, nicht wahr?", begrüßte sie ihn scheinbar gelassen. "Herrin Iman'Dra, Ihr wisst, Ihr seid in meinem Haus immer willkommen. Ich sehe, Ihr habt die kleine Prinzessin Dara'Jan gar nicht mitgebracht. Traurig. So ein reizendes kleines Mädchen. Ich hatte gehofft, sie noch einmal wiederzusehen", erwiderte Dra'BoR mit demselben zynischen Unterton, der ihm gegeben worden war. "Dazu wird sich leider keine Gelegenheit mehr ergeben. Ich richte ihr deine Grüße aus", antwortete Iman'Dra ohne die geringste Absicht zu haben, dies wahrhaftig zu tun. Dann hockte sie sich vor ihn, sodass sie ihm in die Augen sehen konnte. "Du hast mich belogen, Dra'BoR. Du hast meinen Befehlen nicht gehorcht. Deine Spielsucht und deine Trinkerei hat das Weingut bis kurz vor den Ruin getrieben. Dachtest du, ich würde es nicht merken? Dachtest du, ich kann keine Zahlen lesen? Oder dass ich ein gutmütiges Weibchen bin, das du nach Gutdünken an der Nase herumführen kannst? Falls du auch nur irgendetwas davon gedacht hast, informiere ich dich hiermit darüber, dass du falsch liegst. Dass meine Wache dich zu mir schleppen musste, beweist mir außerdem, dass du ein ehrloser Feigling bist und wie ein solcher wirst du sterben."
    Damit richtete sie sich wieder auf und rief nun laut genug, damit alle sie hören konnten: "Dra'BoR ist es durch seine eigene Schwäche und Ehrlosigkeit, aufgrund von Lüge, Betrug und Ungehorsam und damit Eidbruch dem Hause Tron'Jenar gegenüber, dem zu dienen er geschworen hat, nicht mehr würdig weiterzuleben! Mehr noch, ist er es nicht würdig, in Ehren zu sterben, da er seinem Urteil nicht wie ein Krieger entgegentrat, sondern vor diesem zu fliehen versuchte!" Mit diesen Worten spuckte sie vor Dra'BoR auf den Boden und drehte sich demonstrativ von ihm fort, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand. Dies war die klingonische Art der Entehrung, wie sie im Empire eigentlich nur vom Hohen Rat selber vollzogen wurde. Doch hier gab es kein Empire mehr und sie, Iman'Dra, war die oberste anwesende Instanz der Fürstenfamilie Tron'Jenars, sodass jene Geste in diesem Moment nur ihr oblag. Sie hörte, wie man Dra'BoR nun aufrichtete und zum Richtblock brachte. Sie sah nicht hin, während ihr Todesurteil an ihm vollstreckt wurde. Nicht, weil es schwer für sie gewesen wäre, dabei zuzusehen, sondern weil er der Ehre ihrer Aufmerksamkeit nicht mehr wert war. Hätte er sich anders verhalten, hätte er sich ihr mit seiner Schuld gestellt, so hätte sie das Urteil sehr wahrscheinlich selbst vollstreckt. Als er tot war, wandte sie sich wieder um, sah kurz zu der Leiche und dann zur versammelten Hausmannschaft. "Ihr werdet nicht für Dra'BoRs Schuld zur Rechenschaft gezogen werden!", rief sie. "Ihr werdet weiterhin hier leben und arbeiten dürfen, es wird sich nichts für euch ändern! Doch zwei Bedingungen knüpfe ich an diese Entscheidung! Erstens: Dem Haus Tron'Jenar, nicht Dra'BoR und seinem Haus, gilt eure Loyalität! Und zweitens: Ihr werdet jeden neuen Verwalter, der durch mich als Stimme des Epetais hier eingesetzt wird, als euren neuen Herrn akzeptieren ohne dagegen zu murren! Jedem, dem diese Bedingungen nicht zusagen, steht es jetzt frei zu gehen! Solltet ihr euch zum Bleiben entscheiden, gelten diese Regeln ab morgen früh!" Niemand rührte sich, als Iman'Dra nach dieser Ansprache den Hof verließ.


    Nachdem sie die Nacht auf dem Anwesen verbracht hatten, ließ Iman'Dra früh am nächsten Morgen nach Tri'MogH schicken. Als er eintrat, sah er die Herrin am Tisch sitzen, eine diamantene Figur in ihren Händen, um die sich ihre Finger schlossen, als die Tür sich öffnete. "Guten Morgen, Herrin", grüßte er sie und sie gebot ihm mit einer Handbewegung sich ihr gegenüber zu setzen, was er tat. "Ich habe mir einige Gedanken gemacht, Tri'Mogh", begann sie. "Und will nicht lange darum herumreden. Wie würde es dir gefallen, der neue Verwalter dieses Weinguts zu werden?" Sie schmunzelte, als er sah, wie ihm die Gesichtszüge vor Staunen entgleisten. "Bevor du etwas dafür oder dagegen sagst... dieses Weingut ist das größte auf dem direkten Gebiet des Hauses Tron'Jenar, das weißt du. Dra'BoR hat dafür gesorgt, dass es bei den Ferengi verschuldet ist, was ich hausintern zu regeln gedenke. Aber ich brauche jemanden hier, dem ich vertrauen kann und der dafür sorgt, dass die Arbeit wieder so aufgenommen wird, dass sie den reichen Ertrag bringt, den wir von diesem Gut benötigen. Ich weiß, du kennst dich aus mit Blutwein. Vielleicht nicht mit dem Anbau direkt, aber du hast Auge und Geschmack dafür und lernst schnell. Der Vater deiner Mutter baute ebenso Wein an, ich bin sicher, sie wird dir gerne mit Rat und Tat zu Seite stehen. Und abgesehen davon solltest du dein Mädchen endlich heiraten - hier wäre Platz genug für eine Familie." Tri'Mogh blinzelte und senkte dann ergeben den Blick. "Es... es wäre mir eine große Ehre, Herrin. Ich danke Euch dafür. Aber... was ist mit der Tributreise?" Iman'Dra schmunzelte. "Lass das meine Sorge sein. Auch wenn es schade ist, dass du uns hier verlässt, aber hier jemanden zu haben, der nach dem Rechten sieht wäre mir wichtiger. Wirst du das tun?" Tri'Mogh sah zu ihr auf und schlug sich mit der Faust auf die Brust, genau über die Stelle an der sein Herz schlug. "Euer Wort ist mein Befehl und Eure Großzügigkeit ehrt mich! Qapla!"
    Und so ließ Iman'Dra ihren treuen Wegbegleiter hinter sich und zog mit dem Tross weiter. Nur wenig Tribut hatten sie vom Weingut eintreiben können, doch sie war sich sicher, dass dies beim nächsten Besuch bereits ganz anders sein würde.

    Iman'Dra verließ die Feste und trat in den Innenhof, durchquerte auch diesen und passierte das Außentor, vor dem ihr Tross auf sie wartete. Mit geübtem Blick musterte sie diesen, während einer der Krieger ihren schwarzen Hengst zu ihr führte und ihr mit der Neigung des Kopfes die Zügel überreichte. Dann ging er fort. Er wusste, sie wollte keine Hilfe beim Aufsteigen.
    Es war wieder einmal Zeit, die Tribute auf den nahe gelegenen Ländereien einzutreiben, den Ländereien, die direkt durch die Leute des Hauses Tron'Jenar bestellt wurden. Natürlich war der gesamte Kontinent dem Haus tributpflichtig, doch um die Eintreibung und Übersendung kümmerten sich dort die Oberhäupter der jeweiligen Häuser, die dem Haus Tron'Jenar die Treue geschworen hatten. Die Ressourcen des Hauses selbst jedoch, die durch die Bauern und Arbeiter in der Nähe der Feste erwirtschaftet wurden, trieb Iman'Dra in ihrer Stellung als Herrin der Feste halbjährlich selbst ein.
    Sie hätte verlangen können, dass man ihr die Tribute lieferte, doch im Grunde genommen hatte es ihr immer Spaß gemacht, für diese Zeit einmal aus der Feste herauszukommen, andere Leute und andere Gegenden zu sehen und unter freiem Himmel oder in kleinen Gasthäusern zu übernachten. Es erinnerte sie an andere Zeiten. Frühere Zeiten. Zeiten, in denen sie jahrelang unter dem Dach einer kleinen Schmiede eingeschlafen war.
    Dieser Gedanke ließ einen scharfen, stechenden Schmerz durch ihr Herz und ihre Seele jagen. Wie immer. Und nie gewöhnte sie sich daran. Sie war eine Kriegerin, eine starke sogar und hatte in ihrem Leben bewiesen, dass sie vielen Widrigkeiten standhalten und vielen Wetten zum Trotz schwere Situationen überleben konnte - doch an diesen einen Schmerz würde sie sich nie gewöhnen. Und sie war sich ziemlich sicher, dass sie einmal daran sterben würde, wenn nicht vorher jemand so freundlich wäre, ihr ein Schwert durch ihr schmerzendes Herz zu rammen.
    Grimmig stieg sie auf ihr Pferd und gab das Zeichen zum Aufbruch und die ganze Gesellschaft kam in Bewegung. Sie würden eine Weile fort sein, eine oder vielleicht zwei Wochen, je nachdem, was sich unterwegs ereignete und wie die Wetterbedingungen sein würden. Iman'Dra wusste, dass in dieser Zeit die Kriegerweihe Ka'TharaHs von Lao'Koon auf dem Gelände der Feste stattfinden würde und wenn es etwas gab, das ihr die Laune noch ein wenig mehr verhageln konnte, dann war es dieser Umstand. Wie hatte sie mit D'Ankwar darüber gestritten. Es war ihr vollkommen gleichgültig gewesen, wie sehr sich diese kleine Bratze im Kampf gegen die Borg hervorgetan hatte. Hätte sie Ravsai den Borg lebend entrissen, dann vielleicht hätte sie sich dazu herabgelassen, diese Entscheidung in Erwägung zu ziehen, denn ihrer Meinung nach wäre DAS das Mindeste gewesen, was es bedurft hätte, um die ungeheure Unverschämtheit des ehrlosen Vaters dieses Mädchens, Rag'Nar von Lao'Koon, soweit zu sühnen, dass die beiden dieses Gelände auch nur erneut hätten betreten dürfen.
    Aber nein, der Epetai war ja anderer Meinung gewesen. Und natürlich hatte sie sich ihm letztendlich fügen müssen. D'Ankwar war der Herr im Haus, daran gab es nichts zu rütteln und es wäre Iman'Dra auch niemals in den Sinn gekommen, dies in Frage zu stellen. Es war nicht das erste Mal, dass sie gerade wegen Rag'Nar aneinander gerieten und es würde wohl nicht das letzte Mal sein.
    Ihr Pferd schnaubte und zog den Kopf nach unten, um mit der Nase an seinem Bein entlang zu schrubben und nebenbei an den würzigen Grashalmen zu riechen. Es spürte sofort, dass seine Reiterin abgelenkt und nachlässig war und nutzte dies aus. Iman'Dra wurde von dem Ruck allerdings ins Hier und Jetzt zurückgeholt, griff die Zügel kürzer und zwang das Pferd entschlossen dazu, den Kopf wieder zu heben. "Wenigstens du wirst nicht einfach machen, was du willst, so lange ich etwas dazu zu sagen habe", knurrte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, damit sie niemand in ihrer Nähe hören konnte. Selbst ihre Tochter hatte nicht auf sie hören wollen. Das kam selten genug vor, aber diesmal hatte sie sich schlichtweg geweigert, sie auf ihrer Tributreise zu begleiten, was erst letztes Jahr noch ein großes Ereignis für sie gewesen war. Diesmal allerdings war die junge Kriegeranwärterin, die sie nun war, stur geblieben und hatte behauptet, für ihre Schulstunden auf Shepard und auch auf Tron'Jenar zu viel zu tun zu haben, um einfach zwei Wochen wegzugehen. Außerdem habe sie Pläne mit ihren Freundinnen Khi'LeisaH und Adina, auf die sie nicht verzichten wolle. Sie würde nur mitkommen, wenn es ganz wichtig und nicht anders möglich sei. Da es natürlich weder das eine noch das andere war, hatte Iman'Dra ihr ihren Willen gelassen. Natürlich hatte Dara'Jan vollkommen recht, wenn sie anführte, dass sie ja nicht allein im Haus sei, dass Onkel D'Ankwar und Tante Angel im Moment abends regelmäßig nach Hause kämen, außerdem ihr Onkel Mogh'Tar immer da sei und es nebenbei noch eine ganze Schar von Bediensteten gab, die sich um die Kinder und ihr Wohl kümmern konnten. Dara'Jan würde weder verhungern noch an einer Krankheit sterben noch würde hoffentlich die Feste in die Luft gehen in der Zeit, in der Iman'Dra fort sein würde. Und doch. Sie hätte sie gerne dabei gehabt.
    'Du wirst eine sentimentale, alte Frau', schalt sie sich im Geiste. 'Sie wird groß, so soll es sein. Die Kerze ist entzündet, der Weg zur Kriegerin geebnet. Du solltest stolz sein. Nicht verbittert.' Ja, vor ein paar Tagen erst hatten Dara'Jan und Khi'LeisaH nach einem gemeinsamen Jagdabenteuer ihre aus dem Fett der Beute gemachten Kerzen angezündet, die brennen würden bis zu ihrer Kriegerweihe, wenn sie 16 Jahre alt waren. Es erstaunte und erschreckte Iman'Dra, wenn sie daran dachte, wie bald dies sein würde. Das kleine Mädchen, das ihre ganze Freude war, wurde groß. Und es war ein erschreckender Gedanke, dass sie sie einmal nicht mehr brauchen könnte.
    Den ganzen weiteren Tag brütete Iman'Dra über finsteren Überlegungen, wenn sie nicht gerade abgelenkt wurde durch die Ankunft in den zwei Orten, in denen sie zuerst den Tribut einsammelten. Erst beim dritten, während die Sonne allmählich unterging, beendeten sie die Reise für heute und schlugen das Lager auf. Da der Ort zu klein war für ein Gasthaus, blieb man auf dem freien Feld und zündete ein Feuer an, an dem sich alle versammelten. Bald schon roch es nach gebratenem Fleisch und Blutwein und die Krieger aßen, tranken, redeten, sangen, tanzten und gröhlten. Eine Weile lange beteiligte sich Iman'Dra an dem Treiben, stillte Hunger und Durst und fiel in die Texte und Melodien der bekannten Lieder ein, sah zu, wie zwei der Krieger über ein unüberlegt gesprochenes Wort in Streit gerieten und schließlich aufeinander losgingen. "Klärt das ohne Tote! Ich brauche jeden morgen!", wies sie die beiden Streithähne scharf an, dann stand sie auf und verließ das Feuer. Ihr war es gleich, wer diesen Kampf gewann. Sollte einer der beiden dabei sterben trotz ihres eindeutigen Befehls, würde derjenige, der ihn getötet hatte, ihm morgen früh folgen.
    Sie zog sich zurück zu ihren Fellen, wickelte sich darin ein und tastete beim hellen Licht des Vollmonds nach mehreren Bögen dicken Papiers, die sie zu sich zog und sanft mit den Lippen berührte. Einen Moment blieb sie so liegen, dann öffnete sie die Augen, drehte sich auf den Bauch und begann die Worte zu lesen, die sie bereits so sehr auswendig konnte, dass sie sie im Geiste sprach, noch bevor ihre Augen sie erreicht und erfasst hatten.
    "Geliebte Kriegerin, ich wünschte, du müsstest diese Zeilen niemals lesen, niemals mein schlimmstes Geheimnis erfahren..."